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Parlamentswahl in Estland
Russlands Nachbar sorgt sich um seine Sicherheit

In Estland finden am morgigen Sonntag Parlamentswahlen statt. Der Wahlkampf war geprägt unter anderem von der Ukraine-Krise. Estland fürchtet wie auch die beiden anderen ehemaligen Sowjetstaaten Lettland und Litauen, dass Russland Machtansprüche erheben könnte.

Von Randi Häussler | 28.02.2015
    Eine Wahlurne in Estland.
    Familienförderung, Steuererleichterungen und höheren Mindestlöhne: Praktisch alle Parteien in Estland haben bei dieser Wahl soziale Themen auf der Agenda. (picture alliance / dpa - Valda Kalnina)
    Es sind vor allem zwei Themen, die die Esten bewegen und im Wahlkampf eine Rolle spielen - Soziales und Sicherheit vor Russland.
    Gut 25 Prozent der Einwohner Estlands sind russisch-stämmig, und es geht die Sorge um, dass Russland an der Souveränität der baltischen Staaten rühren könnte. Estlands amtierender Ministerpräsident Taavi Rõivas: "Der Krieg, der die Ukraine erschüttert hat, zeigt, dass die Gefahren, die wir immer vor Augen hatten, Realität werden können. Inzwischen finden Kriege nicht mehr nur mit Panzern, Raketen und Soldaten ohne Herkunftsabzeichen statt. Er stützt sich nicht nur auf Spione. Er wird mit Computertastaturen geführt, mit Propaganda."
    Taavi Rõivas, Chef der liberalen Reformpartei, hat laut Umfragen Chancen, bei der Wahl auf dem Posten des Ministerpräsidenten bestätigt zu werden. Er hat allerdings einen ernstzunehmenden Rivalen: Edgar Savisaar, Bürgermeister der Hauptstadt Tallinn und Vorsitzender der linksgerichteten Zentrumspartei - es könnte zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden kommen. Savisaar hat vor allem das Vertrauen der Rentner - und der russischsprachigen Minderheit im Land.
    Savissaars Zentrumpartei ist keine eindeutig pro-russische Partei. Doch um die Sicherheitslage mit Russland zu verbessern, spricht er sich eher für einen engeren Kontakt mit Moskau aus - im Gegensatz zur derzeitigen Regierung, sie wünscht sich mehr NATO-Präsenz im Land.
    Das Land blutet aus
    Dass sich durch die Wahl etwas an der westlichen Orientierung Estlands ändern könnte, glaubt die Politikwissenschaftlerin Raili Nugin nicht. "Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass Estland vom europäischem Kurs abweichen könnte. Eine andere Frage ist jedoch, inwieweit es möglich ist, vorhandene Spannungen im Land aufzuheizen, insbesondere im Nordosten von Estland - durch die russischen Medien."
    Im Nordosten des Landes lebt der Großteil der russischstämmigen Bevölkerung. Hier - wie im gesamten Baltikum - gibt es bislang ausschließlich von Russland gemachte russisch-sprachige Fernsehkanäle. Das soll sich bald ändern - die Reformpartei will bis zum Herbst einen estnischen, russisch-sprachigen Fernsehsender einführen.
    Praktisch alle Parteien in Estland haben bei dieser Wahl soziale Themen auf der Agenda. Estland hat sich zwar nach den schweren Schlägen der Euro-Krise vorbildlich erholt - es hat unter anderem die geringste Staatsverschuldung innerhalb der EU. Doch die Geburtenrate ist niedrig, und die Arbeitslosigkeit ist höher als vor der Krise. Viele Menschen sehen in Estland keine Zukunft und wandern aus. Das Land blutet. Politikwissenschaftlerin Nugin: "Viele gehen ja nach Finnland zum Arbeiten, und dazu sehen sie sich gezwungen, damit sie genügend Geld verdienen. Es gehen junge Männer nach Finnland, arbeiten da als Bauarbeiter, oder sogar Mütter und Väter arbeiten dort, und die Kinder bleiben unterdessen hier in Estland."
    Der Abwanderung wollen die Parteien zum Beispiel mit Familienförderung, Steuererleichterungen und höheren Mindestlöhnen entgegenwirken.
    Der amtierende Ministerpräsident Taavi Rõivas möchte aus Estland ein Land nach skandinavischem Vorbild machen: Dazu gehörten, so Rõivas, neben Sozialschutz und Wachstum auch Fokus auf die Familie und europäische Werte.