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Parlamentswahl in Weißrussland
Die Opposition ohne faire Chance

Bei der Parlamentswahl in Weißrussland an diesem Sonntag sind keine Überraschungen zu erwarten. Nur wenige Kandidaten der Opposition sind überhaupt zugelassen. Zudem hat das Parlament in dem autoritär regierten Land kaum politisches Gewicht. Viele Wählerinnen und Wähler haben resigniert.

Von Florian Kellermann | 15.11.2019
Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, hält eine Rede auf dem 2. Minsker Dialogforum der Regionen im Oktober 2019
Der Präsident Weißrusslands Alexander Lukaschenko im Oktober 2019 (Imago/Piotr Sivkov)
Polina Scharendo-Panasjuk sagt, was sie denkt. Das beweist ihr erster und wohl für immer einziger Auftritt im weißrussischen Staatsfernsehen. Als Kandidatin für die Parlamentswahl am kommenden Sonntag durfte sie fünf Minuten sprechen. Und da sagte sie Dinge wie diese:
"Ich danke allen, die für meine Kandidatur unterschrieben haben. Ich werde Sie jedoch nicht aufrufen, zur Wahl zu gehen. Denn wir haben seit 1994 keine Wahlen mehr. Der Diktator Lukaschenko hat uns das Recht zu wählen genommen. Diese ganzen Jahre über sind wir getäuscht worden. Der Staat arbeitet nicht dafür, dass das Land sich entwickelt, sondern dass der Diktator die Macht behält. Daraus ergeben sich fast alle unsere Probleme, von den alltäglichen bis zu den gesamtstaatlichen Problemen."
Kandidatin nach Kritik wieder abgesetzt
Nachdem das gesendet wurde, war die 44-Jährige nicht mehr lange Kandidatin bei der Wahl. Die staatliche Wahlkommission setzte sie umgehend ab. Sie hätte sich im Wahlkampf gar nicht mit Präsident Alexander Lukaschenko beschäftigen dürfen, so eine der Begründungen. Schließlich stehe jetzt eine Parlamentswahl an. Bis jetzt ist unklar, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der Auftritt von Polina Scharendo-Panasjuk wirklich ausgestrahlt wurde.
"Die Behörden dachten wohl, ich würde über ein paar kleinere Mängel in unserem Land sprechen oder in welcher Farbe wir unsere Hauseingänge anmalen sollten. Aus dem Staatsapparat haben wir gehört, dass die hohen Tiere in Minsk am liebsten ganze Abteilungen des Geheimdienstes und der Polizei hier in Brest entlassen hätten. Dafür, dass sie das auf Sendung gehen ließen."
Der Video-Blogger "Nechta" hat in Minsk zu einer Versammlung aufgerufen.
Video-Blogger vs. Lukaschenko
Am Sonntag findet in Weißrussland die Parlamentswahl statt. Wer die 110 Abgeordneten werden, lege die Staatsmacht im Vorhinein fest, sagen alle Experten. Deshalb werden inzwischen nicht Politiker als Gegenpol zur Staatsmacht wahrgenommen, sondern immer mehr Video-Blogger wie "Nechta".
Ein kleiner Sieg für Polina Scharendo-Panasjuk, eine kleine Genugtuung nach den vielen Jahren der Erniedrigung. In vieler Hinsicht verlorene Jahre, so jedenfalls empfindet es Scharendo-Panasjuk. Staatspräsident Alexander Lukaschenko habe ihr Leben geprägt, gegen ihren Willen.
"Lukaschenko ist an die Macht gekommen, als ich gerade die Schule abgeschlossen hatte. Ich habe also noch mitbekommen, dass wir ein paar Jahre Demokratie hatten nach dem Zerfall der Sowjetunion. Er hat dann sofort die Verfassung geändert. Aus unserer parlamentarischen Demokratie ist - auf dem Papier - eine vom Präsidenten geführte Demokratie geworden. Seitdem regiert uns ein von Russland abhängiger Politiker. Es war nur folgerichtig, dass Lukaschenko wieder Russisch als Staatssprache eingeführt hat und wieder zu sowjetischen Symbolen zurückgekehrt ist."
Unter anderem hat er damals, vor fast 25 Jahren, die Fahne der Sowjetrepublik Weißrussland wieder einführen lassen, mit einigen Abänderungen.
Leben unter prekären Bedingungen
Polina hat Geschichte studiert. Doch Geld verdienen könne sie mit ihrer Ausbildung nicht, sagt sie. Ja, es gebe freie Stellen, in Kindergärten oder Schulen etwa, und nach den Bewerbungsgesprächen bekomme sie auch oft sofort eine Zusage. Doch schon wenige Stunden später klingele das Telefon. "Es tut uns leid, wir müssen leider absagen", heißt es dann, "sie wissen ja, wir dürfen sie nicht einstellen". Wer sich in Weißrussland wie Polina über den Staatspräsidenten äußert, den beschäftigt der Staat nicht.
"Deshalb müssen wir immer wieder von Zeit zu Zeit nach Polen fahren. Hier leben wir dann von dem, was wir dort verdient haben. Ich arbeite in Archiven, mein Mann auf dem Bau. So geht es Tausenden. Aber auch viele, die hier Arbeit finden, wollen weg. Als ich die Unterschriften für meine Kandidatur gesammelt habe, war das eine der häufigsten Fragen: Wie Sie, wie man nach Polen ausreisen kann?"
Polina Scharendo-Panasjuk, eine Kandidatin für die Parlamentswahl in Weißrussland
Polina Scharendo-Panasjuk, eine Kandidatin für die Parlamentswahl in Weißrussland (Deutschlandradio / Kellermann )
Viel leisten können sich Polina und ihr Mann nicht. Die beiden mieteten eine Wohnung in einem Plattenbau am Stadtrand von Brest. Die Großstadt liegt ganz im Südwesten von Weißrussland. Polina schaut auf ihren Sohn im Kindergartenalter, wie er am Boden mit Autos spielt. Auch er bereitet ihr Kopfzerbrechen.
"Wenn Kinder, wie es im Behördenjargon heißt, sozial gefährdet sind, dann kann der Staat sie den Eltern wegnehmen. Dazu werden nicht nur Alkoholiker-Familien gezählt, sondern auch Oppositionelle wie wir, weil wir nirgends offiziell arbeiten. Immer wieder kommen deshalb die Betreuer vom Kindergarten oder die Lehrer vorbei und müssen einen Bericht über uns anfertigen."
Deshalb denken Polina und ihr Mann darüber nach - wie Hunderttausende andere Weißrussen auch – das Land zu verlassen und auszuwandern.
Politologe: "Die Machthaber haben Angst"
Die Staatsmacht gibt sich kaum Mühe, die anstehende Parlamentswahl demokratisch erscheinen zu lassen. Nur etwa zehn Prozent der Kandidaten, die der Opposition angehören, durften antreten. Die anderen wurden aus zumeist fadenscheinigen Gründen abgewiesen. Und von denen, die antreten durften, wurden viele wieder gestrichen, wie Polina Scharendo-Panasjuk. Damit sei die Wahl noch fragwürdiger als frühere, meint der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch:
"Das lässt sich damit erklären, dass die Machthaber eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung wahrnehmen. Der Wohlstand steigt einfach seit Langem nicht mehr. Seit zehn Jahren heißt es, das Durchschnittsgehalt werde bald auf 500 US-Dollar pro Monat steigen. Aber es klappt einfach nicht. Die Machthaber haben einfach Angst."
Bislang nur zwei Oppositionsabgeordnete
In vielen der 110 Wahlkreise, in denen jeweils ein Abgeordneter bestimmt wird, steht also gar kein Oppositionskandidat zur Wahl. Auch eine zweite Zahl illustriert, dass es sich um eine Pseudo-Wahl handelt. Die Oppositionsparteien haben nur genau 21 Vertreter in den Wahlkreis-Kommissionen. Sie machen dort also weniger als 0,1 Prozent aus. Eine Kontrolle, wie die Stimmen abgegeben und ausgezählt werden, ist somit unmöglich. Im amtierenden Parlament gibt es lediglich zwei Oppositionsabgeordnete. Alle Experten gehen davon aus, dass die Machthaber sie absichtlich ins Parlament einziehen ließen. Ein Signal an den Westen, dass Lukaschenko die Zügel etwas lockerer lasse. Eine der Abgeordneten ist Anna Kanopatzkaja. Sie bewertet ihre drei Jahre in der weißrussischen Politik positiv:
"Ich habe vier Gesetzesvorlagen eingebracht. Eine ist angenommen worden. Sie betrifft die Wirtschaft. Mit ihr wurde der Begriff aus unserem Strafrecht gestrichen, der nur schwer zu erklären ist. Pseudo-Unternehmer, heißt er. Früher hat man sich de facto strafbar gemacht, wenn ein Unternehmen keinen Gewinn abwarf. Das gibt es jetzt nicht mehr."
Parlament als Attrappe
Auf ihre Vorstöße, das Land demokratischer zu machen, gingen die Lukaschenko-treuen Abgeordneten allerdings nicht ein. Die vorgeschlagene Wahlrechtsreform kommt für sie nicht in Frage. Drei Jahre war Anna Kanopatzkaja Abgeordnete. Und damit soll ihre politische Karriere auch schon wieder beendet sein, wenn es nach den Machthabern geht. Auch sie wurde nicht mehr als Kandidatin zugelassen. Experten meinen: Wenn wieder Oppositionelle ein Mandat zugesprochen bekommen, dann weitgehend unbekannte Personen. Schließlich solle niemand außer Lukaschenko politisches Gewicht aufbauen können. So sieht es auch Anna Kanopatzkaja:
"Nach Umfragen auch von russischen Instituten bin ich nach Lukaschenko heute die zweitpopulärste Politikerin des Landes. Vor der Präsidentenwahl im kommenden Jahr wollte man mich deshalb unbedingt ins Abseits stellen. Aber ich werde in der Politik bleiben."
Aufgeben und einfach wieder ins Privatleben zurückkehren will die 43-Jährige nicht. Sie schließt nicht aus, dass sie im nächsten Jahr bei der Präsidentenwahl antreten will.
Lenin-Statue vor dem Parlamentsgebäude auf dem Platz der Unabhängigkeit in Minsk. 
Kandidat vom Wahlzettel gestrichen
Nach ihren Protesten gegen Luftverschmutzung dürfen Aktivisten in der weißrussischen Stadt Brest nicht zur Parlamentswahl antreten. Zumindest beklagen Sie, dass Behörden ihre Namen kurzerhand vom Wahlzettel gestrichen haben – oder sie gar nicht erst registriert haben.
Das weißrussische Parlament ist eine Attrappe. Es nickt im Wesentlichen die Gesetze einfach ab, die aus der Präsidialverwaltung kommen. Eine Debatte über die wichtigsten Probleme des Landes findet nicht statt. Auch nicht über die derzeit wichtigste Frage: Wie geht es weiter im Verhältnis mit Russland? Anna Kanopatzkaja:
"Es gibt sehr viele Bürger, die einen Anschluss an Russland befürworten. Sie glauben der Propaganda im russischen Fernsehen, dass dort alles billiger ist, vor allem das Gas und das Benzin. Bei uns werden die Gehälter und Renten zwar pünktlich ausgezahlt, aber sie reichen kaum zum Leben. Viele Lebensmittel sind bei uns teurer als etwa in Deutschland."
Kompliziertes Verhältnis zu Russland
Vor einem Jahr äußerte sich der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew zum kleinen Nachbarn im Westen. Er erinnerte Lukaschenko an einen uralten Vertrag. Darin verpflichtete sich Weißrussland, eine immer engere Partnerschaft mit Moskau einzugehen. Ein Art Bundesstaat solle geschaffen werden, der immer stärker zusammenwächst. Beginnen sollte es mit einer Währungsunion und einem gemeinsamen Gerichtshof. In der Perspektive soll es auch ein gemeinsames Parlament, eine gemeinsame Regierung geben. Wer dabei das Sagen hätte, liegt auf der Hand: Russland, der mit großem Abstand stärkere Partner. Deshalb betonte Lukaschenko in den vergangenen Monaten wie nie zuvor, wie viel ihm die weißrussische Unabhängigkeit bedeutet. Bei einem Treffen mit Journalisten sagte er im September:
"Wir werden uns nie mit irgendjemandem gegen Russland verbünden. Das würde auch unsere Nation nie zulassen. Ehrlich gesagt: Außer Russland, neben China, gibt es ja auch kein Land in der Welt, das uns unterstützt. Aber wir sind ein souveräner Staat und werden ein souveräner Staat bleiben. Wir werden unsere Unabhängigkeit noch stärken, was immer uns das auch kosten wird."
Russland übt Druck aus
Alexander Lukaschenko unterschrieb das Dokument einst, um von Russland weiterhin großzügige finanzielle Unterstützung zu bekommen. Er habe aber gar nicht daran gedacht, das alles auch umzusetzen, meint Artjom Schreibmann, Gründer der Minsker Denkfabrik "Sense Analytics":
"Lukaschenko wird sich auf kein engeres Bündnis mit Russland einlassen. Ich weiß nicht, wann er das deutlich machen wird, vermutlich im kommenden Jahr. Er will seine Macht im Land erhalten, das steht für ihn an erster Stelle. Das bedeutet natürlich, dass sich die russisch-weißrussischen Beziehungen in den kommenden Jahren deutlich verschlechtern werden."
Moskau beließ es diesmal nicht dabei, Lukaschenko an den alten Vertrag zu erinnern. Der Kreml zog gleichzeitig die wirtschaftlichen Daumenschrauben an. Weißrussland profitierte in den vergangenen Jahren nämlich erheblich davon, dass es russisches Öl billig bezog. Weißrussische Raffinerien machten daraus Treibstoffe, die unter anderem in die Europäische Union verkauft wurden. Über die Jahre bedeutete das Zig Milliarden Euro an indirekten russischen Subventionen. Doch seit diesem Jahr steigt der russische Ölpreis für Weißrussland an, schrittweise. Artjom Schreibmann:
"Weißrussland wird dadurch ärmer werden. Wir werden eine Rezession erleben. Noch mehr Menschen werden ins Ausland auswandern. Das bedeutet allerdings nicht, dass unser Staat zusammenbricht wie ein Kartenhaus."
Putins Kalkül
Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hätte ein russisch-weißrussischer Bundesstaat einen willkommenen Nebeneffekt. 2024 endet nämlich Putins zweite Amtszeit in Folge. Laut russischer Verfassung dürfte er dann nicht noch einmal antreten, es sei denn, bis dahin entstünde ein ganz neuer Staat. Die Feier ist für den 8. Dezember geplant. Dann treffen sich Putin und Lukaschenko und sollen das enge Bündnis besiegeln. Doch noch immer rätseln Experten und Beobachter, wie es im Einzelnen aussehen wird - zu welchen Schritten auf dem Weg zur Integration sich Lukaschenko letztendlich bereit erklärt. Artjom Schreibmann vermutet:
"Ich verstehe diese Logik aus russischer Sicht: Wir zahlen, also schaffen wir auch an. Wir bringen Weißrussland auf diese weiche Art und Weise unter unsere Herrschaft. Aber für mich ist das russische Utopie. Ein autoritäres Regime wie das von Lukaschenko kann man nur durch äußersten wirtschaftlichen und politischen Druck zum Einlenken bringen. Und ich glaube nicht, dass Moskau bereit ist, so weit zu gehen."
Die Regierungen von Russland und Weißrussland arbeiten an insgesamt 31 so genannten Road-Maps. Sie sehen nur eine wirtschaftliche Annäherung vor, etwa eine Angleichung der Steuergesetze oder der Agrarsubventionen. Das scheint zwar auf den ersten Blick beiden Seiten wenig zu nutzen. Die Zeitung "Kommersant" jedoch zitierte vor kurzem russische Insider mit der Einschätzung, dass dies nach und nach den Druck auf Minsk erhöhen soll, auch gemeinsame politische Institutionen zu schaffen. Auf lange Sicht könne Weißrussland nur unabhängig bleiben, wenn es eine eigenständige Wirtschaft aufbaue, meint Artjom Schreibmann.
"Die Position derer wird stärker, die in Lukaschenkos Umgebung wirtschaftliche Reformen fordern, eine Liberalisierung. Ein bisschen haben wir damit schon begonnen. In den vergangenen sieben Jahren ist die Zahl derer, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, um ein Viertel gesunken. Und diese Leute sind vom privaten Sektor absorbiert worden. Und das ganz ohne große Reformen. Schon fünf Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet die private IT-Branche."
GRODNO REGION, BELARUS - MAY 21, 2019: The medals unveiled at the Mir Castle ahead of the 2019 Europaspiele scheduled to start in Minsk on June 21. Natalia Fedosenko/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0AC16E
Dossier: Europaspiele in Minsk - wie Politik den Sport missbraucht
Die Europaspiele finden ab dem 21. Juni zum zweiten Mal statt, diesmal in Weißrusslands Hauptstadt Minsk. Wie bei der ersten Auflage 2015 in Baku gibt es Kritik am Gastgeber. Weißrussland wird von Präsident Lukaschenko autokratisch geführt, die Meinungsfreiheit wird unterdrückt und die Todesstrafe vollstreckt. Hintergründe, Analysen und Interviews zum "europäischen Olympia".
Helfen könnten dabei mehr Investitionen aus der EU. Der jüngste Besuch von Alexander Lukaschenko in Wien wurde nicht zuletzt deshalb im Heimatland als großer Erfolg gefeiert. Es war nämlich der erste Besuch des weißrussischen Staatsoberhaupts in einem EU-Land seit fast zehn Jahren, sieht man von einer Audienz beim Papst ab. Er fand statt, obwohl Lukaschenko sein Land autoritär regiert. Auch die Todesstrafe ist dort nicht nur in Kraft, sondern wird auch vollstreckt. Es sei nicht nur Österreich, das die Annäherung suche, sondern die EU insgesamt, sagt der Politologe Walerij Karbalewitsch:
"Die Haltung der EU hat sich 2014 geändert, als Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hat. Seitdem haben geopolitische Erwägungen Vorrang vor demokratischen Werten. Weißrussland hat Russland im Konflikt mit der Ukraine nicht unterstützt - und das wurde in der EU anerkannt. Das ist heute wichtiger als die Demokratie oder die Menschenrechte in Weißrussland."
Geringe Wahlbeteiligung erwartet
Daran wird auch die Parlamentswahl am Sonntag nichts ändern, so undemokratisch sie auch sein mag. Sie wird international wohl weitgehend ignoriert - wie auch von vielen Weißrussen. Walerij Karbalewitsch:
"Es herrscht eine große Apathie. Das berichten diejenigen, die Unterschriften gesammelt haben für Kandidaten und die deren Prospekte verteilen. Die Wahlbeteiligung wird sehr niedrig sein - die tatsächliche, nicht diejenige, die später bekannt gegeben wird. Das gilt vor allem für die Hauptstadt Minsk."
Wer sich in einem kleinen Park in Minsk umhört, erfährt: Die meisten wissen gar nicht, welche Kandidaten zur Wahl stehen. Ändern werde sich ja sowieso nichts, sagt Sergej, ein 21-jähriger Ingenieur-Student. Sergej behauptet am Anfang des Gesprächs, Weißrussland entwickle sich doch gar nicht so schlecht. Er deutet auf einen städtischen Linienbus, der mit Strom betrieben wird. Ein weißrussisches Modell, sagt er stolz. Aber mit jeder Minute redet sich der junge Mann mehr in Rage. Er erzählt von seiner Oma, die sich wichtige Medikamente nicht leisten kann, vom schlimmen Wehrdienst, bei dem ältere Soldaten die Rekruten regelmäßig verprügelten, von den zwei Jahren, die er nach seinem Studium für den Staat ableisten muss:
"Der Staat wird mich irgendwo in die Provinz schicken. Als künftiger Bauingenieur muss ich dann mit Leuten arbeiten, die noch weniger verdienen als die Minsker. Leute, die oft betrunken zur Arbeit kommen. Und ich werde auch noch dafür verantwortlich sein, dass ihnen bei der Arbeit nichts zustößt. Ich kann nur beten, dass ihnen nichts passiert, sonst komme ich vor Gericht."
GRODNO REGION, BELARUS - MAY 21, 2019: A person dressed as Lesik the Baby Fox, the official mascot, outside the Mir Castle hosting a ceremony to unveil the medals ahead of the 2019 Europaspiele scheduled to start in Minsk on June 21. Natalia Fedosenko/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0AC171
Europaspiele: Chance auf Wandel?
Umstritten waren die Europaspiele in Minsk. Ein Vorwurf: Solche Spiele würden nur dem Autokraten Lukaschenko nützen, der damit sein Image aufpolieren könne. Befürworter sahen die Spiele als Möglichkeit, eine Öffnung des Landes und eventuell sogar Reformen anzustoßen.
Die Wahlen seien also sein geringstes Problem, meint Sergej. Zufrieden mit ihrem Land äußern sich dagegen die älteren Menschen, die im Park spazieren gehen. Eine 61-Jährige, die bereits in Rente ist:
"Irgendetwas gibt es doch in jedem Land zu verbessern. Wissen Sie, ich kümmere mich nicht um Politik. Ich kann ab und zu verreisen, ins Theater gehen und mit meinen Freundinnen Kaffee trinken. Und alle in meiner Familie sind gesund, das ist die Hauptsache."
Sie werde zur Wahl gehen, auch wenn sie die Kandidaten nicht kenne, sagt die Rentnerin. Das sei schließlich ihrer Bürgerpflicht.