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Parlamentswahlen
Was Marokkos Frauen erwarten

Die islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) in Marokko möchte ihren Erfolg von 2011 bei den Parlamentswahlen wiederholen. Frauenverbände werfen der PJD vor, mit einem rückständigen Frauenbild für Stillstand zu sorgen. Aber auch für Marokkos Homosexuelle wird der Ton zunehmend rauher.

Von Dunja Sadaqi | 06.10.2016
    Eine Frau sitzt im Innenhof der Ben Youssef Medersa in Marokko, einer ehemaligen Koran-Schule in Marrakesch
    Bildung, Arbeit, persönliche Freiheit - das wünschen sich viele junge Marokkanerinnen. (Imago)
    Auf die Frage, ob er wählen wird, schüttelt der 25-jährige Ismaël Bakka belustigt den Kopf:
    "Nein, ich boykottiere die Wahl."
    Er boykottiert. Ismaël ist Menschenrechtsaktivist, gehört zu MALI, einer marokkanischen Menschenrechtsorganisation, die sich für individuelle Freiheitsrechte einsetzt – unter anderem für die Rechte von Homosexuellen. Die haben es schwer in Marokko, werden per Gesetz verfolgt. Und es wird schlimmer, sagt Ismael.
    "Die Situation von Schwulen und Lesben in Marokko verschlechtert sich immer mehr. Das hat auch mit der islamistischen Regierung zu tun, die uns Sorgen macht. Aber auch mit dem Paragrafen 489, der Sex mit dem gleichen Geschlecht unter Strafe stellt. All das legitimiert ja auch, dass die Menschen eingreifen, wenn sie auf Homosexuelle treffen."
    Der Ton gegenüber Homosexuellen sei aggressiver geworden, sagt Bakkar: Immer wieder kommt es zu brutalen Übergriffen. Er selbst habe das erst vor kurzem am eigenen Leib erfahren, sei willkürlich von Polizisten inhaftiert, misshandelt worden. Bakkar beobachte, dass Marokko immer konservativer werde. Daran werde auch seine Stimme in der Wahlurne nichts ändert, denkt er.
    Unverheiratet schwanger zu werden, ist ein großes Problem
    Ähnlich sieht es Aicha Ech-Chenna. Die 76-jährige Frauenrechtlerin ist marokkoweit bekannt, sie kämpft seit über 30 Jahren für unverheiratete Mütter. Mädchen und Frauen, die in Marokko unverheiratet schwanger werden, haben ein großes Problem. Sie haben die Familienehre beschmutzt, werden oft von ihren Familien verstoßen, vom Staat im Stich gelassen.
    In ihrer Nichtregierungsorganisation "Frauensolidarität" bietet Aicha Ech-Chenna Frauen und ihren Kindern Schutz und Hilfe an. Vertrauen hat Ech-Chenna lediglich in den König. Vor allem von der gemäßigt islamistischen Regierungspartei verspricht sie sich wenig:
    "Es sind Islamisten. Sie werden nichts ändern. Sie sagen, sie machen positive Dinge. Aber sie reden überhaupt nicht über die unverheirateten Mütter. Im besten Fall bleiben sie einfach stumm, wenn man es nett ausdrücken will. Ich warte auf eine wirkliche Regierung, die tatsächlich regiert. Und ein Parlament, das wirklich dem Volk zuhört und auf die Probleme antwortet, die einfach existieren. Ich habe das Gefühl, es sind vor allem die sozialen Dinge, die die Politiker einfach nicht angepackt haben."
    Viele junge Leute sind von der Politik frustriert
    Endlich Probleme anpacken. Bildung, Arbeit, persönliche Freiheit. Wie viele junge Marokkaner will das auch Loubna El Yousfi. Die 25-Jährige gehörte zur Bewegung des 20. Februars – die marokkanische Version des sogenannten Arabischen Frühlings. Enttäuscht von der neuen Verfassung, die sie als Kosmetik bezeichnet, boykottierte sie die Parlamentswahlen vor fünf Jahren. Viele ihrer Altersgenossen seien frustriert von der Politik, sagt Loubna, weil sie meinen, es ändere sich doch eh nichts. Loubna hat sich dieses Mal anders entschieden. Sie wird wählen gehen.
    "Die Spielregeln ändern sich gerade, es bewegt sich was. Deswegen müssen wir jetzt gucken, ob wählen etwas bewirkt. Denn, wenn wir unsere Stimme nicht einsetzen, können wir auch nicht an der Veränderung im Land teilnehmen – auch wenn sich nur langsam etwas bewegt."
    Traditionell ist die Wahlbeteiligung in Marokko aber recht niedrig. Bei so viel Skepsis gegenüber politischen Parteien, verwundert das nicht.