Fatim-Zara fühlt sich ausgestoßen. Sie hat die Hände übereinander gefaltet, immer wieder dreht sie nervös an einem kleinen silbernen Ring, den sie am Finger trägt. Verheiratet ist sie nicht. Und da liegt das Problem. Fatim-Zara lächelt, wenn sie erzählt. Aber nicht mit den Augen. Sie selbst sagt, meine Geschichte ist traurig.
Fatim-Zara ist nicht einmal 20, als sie schwanger wird. Von einem Jugendfreund aus der Nachbarschaft, in den sie sich verliebt hat, der sie heiraten will. Als sie schwanger wird, will er nichts mehr von ihr wissen. Wer weiß, von wem das Kind ist, habe er gesagt. Schließlich vertraut sie sich ihrer Mutter an.
"Sie hat gar nichts gesagt. Sie hat mich einfach nur angeschaut, geweint und gesagt: Warum hast du mir das angetan, Fatim-Zara? Jetzt liebt sie mein Baby sehr, aber immer wieder sagt sie mir: Du hast mir das angetan. Das sagt sie mir immer wieder."
"Ein Kind, das in Unzucht geboren wurde, wird als Bastard angesehen"
Ihre Mutter schickt sie zu Aicha Ech-Chenna. Die 76-jährige Frauenrechtlerin ist marokkoweit bekannt, sie kämpft seit über 30 Jahren für unverheiratete Mütter. In ihrer Nichtregierungsorganisation "Frauensolidarität" können die Mädchen bleiben; werden drei Jahre lang in Berufen ausgebildet, erhalten Lohn, ein Dach über dem Kopf und Betreuung für ihre Kinder. Auch wenn für die Kinder und Mütter gesorgt ist, bleibt das Leben für sie schwer, sagt Aicha Ech-Chenna. Festgeschrieben durch das Gesetz:
"Der Artikel 446 sagt: Ein Kind, das in Unzucht geboren wurde, wird als Bastard angesehen und muss Bastard bleiben, selbst wenn der Vaterschaftstest positiv war und der Vater sein Kind anerkennt. Und das ist heute immer noch Gesetz. Im Jahr 2016!"
In der Schule, der Universität oder beim Job – überall, wo die Geburtsurkunde vorgezeigt werden muss, bleibt erkennbar, wer unehelich geboren wurde. So werden diese Kinder ihr Leben lang diskriminiert. Selbst wenn der Vater sein Kind anerkennt, muss er keinen Unterhalt zahlen und sich nicht kümmern. Das führe oft dazu, erzählt Ech-Chenna, dass diese Kinder auf der Straße landen, sich prostituieren, Ärger machen oder sich umbringen. Andere – vor allem Jungs - entwickelten einen Hass gegen ihre Mütter oder Frauen im Allgemeinen. Ein Teufelskreis. Gegen den man ankämpfen könne, sagt Ech-Chenna. Zum Beispiel mit Prävention.
Sexuelle Aufklärung sei der Schlüssel
Richtige sexuelle Aufklärung das sei der Schlüssel, findet sie. Die findet in Marokko von staatlicher Seite überhaupt nicht statt. Für ihr Engagement wird Ech-Chenna gehasst und angefeindet – vor allem von Islamisten, die ihr vorwerfen, Prostitution fördern zu wollen. Ech-Chenna wird aber auch geliebt: In den Straßen von Casablanca geht kaum einer ohne ein Schwätzchen an ihr vorbei. Frauen begrüßen sie mit herzlichen Küssen, behandeln sie fast wie eine verehrte Großmutter. Ihre beiden Telefone klingeln fast ununterbrochen. Ein neuer Fall, ein neuer Schützling, neue Sorgen. Ech-Chenna spricht mit jedem, sagt sie. Mit Linken, Islamisten, Menschen von der Straße, sie war sogar zwei Mal beim König. Mit Erfolg? Begrenzt, gibt sie zu.
"Die Marokkaner müssen ihre Mentalität ändern. Die Männer müssen verstehen, dass die sexuelle Freiheit nicht nur für sie gilt. Mit wem haben sie denn Sex? Mit der Schwester ihres Freundes, mit ihren Nachbarinnen oder was weiß ich. Und die Frauen müssen sich auch ändern. Es gibt Ärzte, die sich darauf spezialisiert haben, die Jungfernhäutchen operativ wieder herzustellen. Ich war die erste Frau, die über solche Probleme öffentlich gesprochen hat. Aber ich habe das Gefühl, ich spreche ins Leere."
Nachbarn grüßen nicht, Mutter und Baby erhalten böse Blicke
Die junge Mutter Fatim-Zara bekommt diese Doppelmoral am eigenen Leib zu spüren. Die Nachbarn grüßen nicht, werfen ihr und ihrem zehn Monate altem Baby böse Blicke zu oder beschimpfen sie sogar auf offener Straße, sagt sie. Ihre Geschwister besuchen sie nicht, ihr Baby ist am Telefon ein Tabuthema. Den Kontakt zum biologischen Vater ihres Kindes hat Fatim-Zara abgebrochen, weil er keinen Vaterschaftstest machen wollte.
"Er lebt vor sich hin, das ist nicht wichtig für ihn. Er interessiert sich nicht für sein Kind, er ist frei, macht, was er will. Das ist nicht fair, das ist nicht fair."
Sie sagt, sie fühlt sich oft allein. Aber ihr bleibe ein Gedanke: "Wenn ich mein Kind sehe – dann bin ich stark."