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Parteien in der Demokratie
Struktur in der Vielfalt der Meinungen

Parteien scheinen derzeit nicht den besten Ruf zu genießen. Sie gelten als abgehoben, unbeweglich und repräsentierten nicht den Willen des Volkes. Dabei übernehmen Parteien wichtige Aufgaben in der Demokratie, wie auf einem Symposium an der Universität Düsseldorf deutlich wurde. Vielleicht, so eine Vermutung, hat die Unzufriedenheit auch ganz andere Ursachen.

Von Barbara Weber | 14.04.2016
    Buntstifte in den Farben der wichtigsten Parteien (v.l.n.r.) Grüne, Die Linke, AfD, SPD, CDU, die sich bei der Landtagswahl am 13.03.2016 in Sachsen-Anhalt um die Wählergunst bewerben, aufgenommen am 19.02.2016.
    Buntstifte in den Farben der Parteien (picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    "Ich muss hier nicht vortragen, dass sich die Zahl der in den politischen Parteien organisierten Mitglieder in Deutschland in den letzten 20, 25 Jahren ziemlich genau halbiert hat", so Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert in seinem Festvortrag. "Während in der gleichen Zeit eine Institution wie der ADAC seinen Mitgliederbestand nicht nur gehalten, sondern weiter ausgebaut hat. So stehen in diesem Land 19 Millionen ADAC-Mitgliedern 1,2 Millionen Parteimitglieder gegenüber."
    Die Lage ist ernst, sagt nicht nur der zweite Mann im Staat, sondern auch Prof. Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden, der bemerkt, Parteien seien, "ja keine göttlichen Schöpfungen vom Nachmittag des 7.Schöpfungstages. Sie sind historische Gebilde, die sich naturgemäß wandeln, und die Zeit der Mast- und Apparateparteien, auf die hin wir immer denken, professionalisierte große Mengen von Menschen, die sich um Politik kümmern und Programmkommissionen haben und Stabsabteilungen und so weiter, sie gehen ein. Nicht seitens der Apparate, dafür sorgt unsere üppige Parteienfinanzierung. Sie gehen aber ein seitens der Bevölkerung."
    Parteien sind notwendig für eine Demokratie
    Andererseits: "Ohne Parteien geht es nicht", sagt Prof. Martin Morlok, Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Universität Düsseldorf. "Ohne Parteien keine Demokratie, jedenfalls nicht in einer größeren Gesellschaft unseren Typus. Wenn sieben Leute sich zusammensetzen, können sie sich ohne Organisation einigen, wenn es achtzig Millionen sind, braucht man zwingend Organisationen, die Struktur in die Vielfalt der Meinungen bringen. Also, Parteien sind notwendig für eine Demokratie."
    Aber spiegeln sie den Bürgerwillen auch wider? Und wie ist es um die innerparteiliche Demokratie bestellt? Nicht immer zum Besten, meinte Prof. Peter Huber, Minister a. D. und Richter des Bundesverfassungsgerichts. "Wenn man die letzten Parteitage der großen Parteien sich anschaut, ist mein Eindruck, dass etwa die nicht ganz so gute Performance des Wirtschaftsministers auf dem SPD-Parteitag weniger die Besorgnisse der Mitgliedschaft durchaus getroffen hat, als die von der Mitgliedschaft ein Stück weit abgegrenzten Befindlichkeiten der Parteigranden.
    Wenn man auf den CDU-Parteitag in Karlsruhe guckt, wird man sagen können, dass vermutlich nicht alle Hundertprozent, die zehn Minuten Applaus geklatscht haben für die von der Kanzlerin verfolgte Linie in der Flüchtlingspolitik, das auch reinen Herzens und voller Begeisterung getan haben, sondern vermutlich andere Mechanismen dahinter eine Rolle gespielt haben."
    Wahlen sind politische Entscheidungsakte
    Zum Beispiel die, dass genannte Politiker natürlich ein gewichtiges Wort bei der Vergabe von Posten mitzusprechen haben und Parteigranden selbst bis auf Kreistagsebene Einfluss nehmen können. Auch die Frage, inwiefern gewählte Abgeordnete dem Fraktionszwang unterliegen, wird in der Öffentlichkeit immer wieder breit diskutiert.
    "Diese Diskussion läuft in der Öffentlichkeit im Normalfall nach meinem Eindruck völlig schräg und schief", sagt Prof. Martin Morlok.
    "Wir wählen ja nicht Abgeordnete, weil das besonders vortreffliche Menschen sind, die sich dann in ihr stilles Kämmerlein zurücksetzen und überlegen: Was rät mein Gewissen mir? Nein, Wahlen von Abgeordneten sind politische Entscheidungsakte: Ich ziehe jemanden dieser politischen Partei jemanden einer anderen politischen Partei vor. Und wenn die gewählten Leute nicht in ihrer Parteiorientierung sich aufhalten, wäre das ja der Betrug des Wählers. Das ist eine völlig unpolitische Vorstellung, zu meinen, die Leute sollten nur in sich hineinhören nach ihrem Gewissen."
    Zudem ist nicht jeder Abgeordnete Spezialist auf jedem Gebiet, das heißt, diese müssen sich im Rahmen der Parteiorientierung darauf verlassen können, dass Entscheidungen, von Spezialisten vorbereitet, dem Parteiprogramm entsprechen. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu:
    "Wir entscheiden in der Demokratie mit Mehrheit. Mehrheiten fallen nicht vom Himmel, sondern müssen organisiert werden. Wenn 600 Bundestagsabgeordnete zusammenkommen, und jeder horcht auf sein Gewissen, dann gibt es nie eine Mehrheitsentscheidung. Und deswegen muss man Kompromisse schließen, auch Kompromisse, die einem wehtun."
    Vorschläge zur Reform des Wahlrechts
    Andererseits haben Parteien inzwischen eine große gesellschaftliche Machtfülle erlangt. Der Parteienkritiker Prof. Hans-Herbert von Arnim sieht die Gewaltenteilung bedroht, wenn zum Beispiel an oberste Gerichte Mitglieder von Parteien berufen werden. Auch sei der Wettbewerb der Parteien geschwächt, da sie sich im Kampf um die Wähler in der Mitte immer ähnlicher würden. Der Jurist fordert eine Reform des Wahlrechts:
    "Da ist einmal die Einführung der relativen Mehrheitswahl, welche die Bestimmung der Abgeordneten und die Bestimmung der Regierung den Wählern in die Hand gibt." Dabei wird eine Person mit Mehrheit direkt gewählt, die anderen Stimmen entfallen. "In ähnliche Richtung geht der Vorschlag, die Verhältniswahl zwar beizubehalten, der stärksten Fraktion aber – nach italienischem Vorbild – einen Bonus in Form zusätzlicher Mandate zu geben."
    Ob direkte Beteiligung zu einer höheren Akzeptanz führt, ist fraglich
    Um somit eine stabile Mehrheit zu garantieren. "Ferner die Präsidialdemokratie, in der die Bürger den Regierungschef direkt wählen und die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament wieder herstellen."
    Doch ob direkte Beteiligungselemente zu einer höheren Akzeptanz der Demokratie in der Bevölkerung führen, ist fraglich. Vielleicht könnte das mangelnde Interesse an politischer Arbeit und die Gleichgültigkeit gegenüber demokratischen Institutionen auch mit anderen Gründen zusammenhängen. Bundestagspräsident Norbert Lammert:
    "Ich persönlich glaube, dass ein Teil der mäßigen Begeisterung des geneigten Publikums über die Performance unserer politischen Institutionen weniger mit deren offenkundigen Fehlleistungen und Defiziten zu tun hat, sondern mit der vergleichsweise beachtlich gut gelingenden Erledigung der diesem System anvertrauten Aufgaben. Oder, um es mal so zu formulieren, in der Politik ist kaum eine andere Aufgabe schwieriger zu lösen, als für eine Demokratie im Normalzustand Leidenschaft zu entwickeln."