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Jung, modern, konservativ

Sie gilt als Nachwuchstalent und ist oft als die Hoffnung der CDU beschrieben worden: Diana Kinnert. Die 26-Jährige hat nun ein Plädoyer für einen modernen Konservativismus veröffentlicht. Mit ihrem Buch will sie Denkanstöße liefern, wie sich die CDU erneuern kann. Sie will ihre Partei für junge Menschen attraktiver machen.

Von Mirjam Kid | 18.09.2017
    Buchcover: Diana Kinnert "Für die Zukunft seh' ich schwarz: Plädoyer für einen modernen Konservatismus", rowohlt-Verlag, vor grau gemustertem Hintergrund.
    Der politische Konservatismus sei den Rändern überlassen worden, findet die Buchautorin, obgleich er eine reflektierte Haltung der Mitte sein sollte. (Buchcover: rowohlt / Hintergrundbild: unsplash)
    Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel und mehr. Wir leben in einer Welt des beschleunigten Wandels. Genau der richtige Zeitpunkt für eine konservative Politik, konstatiert Diana Kinnert, Autorin des Buchs "Für die Zukunft seh‘ ich schwarz". Wenn sich vieles verändert, würden sich die Menschen nach Beständigkeit sehnen und nach einer stärkeren Vergewisserung ihrer selbst:
    "Zu keiner Zeit war der Ruf nach zeitgemäßer konservativer Politik dringender und berechtigter als heute. Denn Moderne und Konservatismus bedingen sich: Ohne Wandel besteht kein Bedarf nach Konservierung."
    Doch was ist zeitgemäße konservative Politik? Sicherlich keine Diskurs- und Debattenverschiebung hin zum Rechtsnationalismus, erklärt die 26-Jährige, die seit ihrem 17. Lebensjahr Mitglied der CDU ist und die Arbeitsgruppe Jugend der Parteireformkommission leitet:
    Die wirklich Konservativen sind gefordert
    "Im Zuge des Aufkommens eines neuen Populismus, von verführerischen Scheinlösungen und neuen Formen von Reaktionismus und Faschismus unter dem Deckmantel des Konservativen sind die wirklich Konservativen aufgefordert, dem selbstbewusst entgegen zu stehen."
    Der politische Konservatismus sei den Rändern überlassen worden, findet sie, obgleich er eine reflektierte Haltung der Mitte sein sollte. Ein solcher Satz zielt natürlich auch auf Wählerstimmen der Mittelschicht - immerhin erschien das Buch wenige Monate vor der Bundestagswahl. Und längst nicht alle Konservativen werden dem Ideal gerecht, populistische Äußerungen zu vermeiden - auch nicht in der CDU:
    "Mein Konservatismus ist Haltung und Inhalt zugleich: Haltung deshalb, weil er sich durch die Annahme von Wirklichkeit auszeichnet, differenziert und konstruktiv und evolutiv ist. Inhalt deshalb, weil er auf immerwährende Grundprinzipien setzt, die jedoch in einer sich wandelnden Welt in neue Programmatik übersetzt werden müssen."
    Nicht ein stures zurück in vergangene Zeiten, sondern prinzipientreu die Zukunft gestalten - so geht konservativ sein im 21. Jahrhundert, meint Kinnert. Der Konservative müsse sich mit offenen Augen für die Wirklichkeit, realistisch und nüchtern immer wieder den aktuellen Gegebenheiten anpassen.
    Die besten Konzepte abwägen
    Dieses Plädoyer für Anpassungsfähigkeit liest sich zugleich wie ein Lob für die Politik der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel: Der Ausstieg aus der Atomenergie, die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare, ihre Flüchtlingspolitik - immer wieder wird die CDU-Vorsitzende mit dem Vorwurf konfrontiert, sie entferne sich zu sehr vom konservativen Kurs, rücke die CDU gar nach links. Diana Kinnert hat für diese Kritik kein Verständnis - dabei gehe es mehr um oberflächliche Labels, als um ein Abwägen der besten Konzepte, konstatiert sie:
    "Der faire und transparente demokratische Ideenwettstreit ist einem unübersichtlichen Streit um begriffliche Deutungshoheiten gewichen. Kein Beispiel bescheinigt dies so sehr wie die Debatten um den Kurs und den Kern der Christdemokratie."
    Kursfragen ließen sich heutzutage eben gerade nicht mehr mit "linearen Gesinnungsmetaphern" beantworten - wie die Autorin es beschreibt:
    "Ich will, dass die CDU links wird, wenn links werden bedeutet, für Chancengleichheit, Bildungsoffensive, Familienförderung und Diversität einzustehen. Ich will, dass die CDU rechts wird, wenn rechts werden bedeutet, Integration als Angebot und Pflicht auszulegen, eindeutige Anreize für Ausbildung und Arbeit zu setzen und innere Sicherheit durch die Durchsetzung von Recht und Ordnung zu gewährleisten. Ich will nicht, dass die CDU rechts wird, wenn rechts werden bedeutet, Menschen mit Migrationshintergrund mit Stereotypen zu belegen, mit Generalverdächtigungen zu begegnen und sie als minderwertig herabzusetzen."
    Entscheidungen lieber langsam treffen
    Kinnert erklärt, dass bei allem Wandel eine konservative Politik doch stets von einer bewussten Behäbigkeit geprägt sei: Abwägen, ein kritischer Blick auf Neues, und eine breite Mehrheit an Befürwortern seien schnellen Entscheidungen vorzuziehen.
    In ihrem Buch taucht der Leser in sämtliche Debatten der Gegenwart ein: Brexit, Volksentscheide, Globalisierung, Leitkultur, Identitätspolitik, Europäische Union und die zunehmend hasserfüllten Kommentare im öffentlichen Raum. Obwohl es in der analytischen Tiefe sicherlich keinen wissenschaftlichen Kriterien genügt, ist ihre Streitschrift doch vielfach ein guter Gedankenanstoß.
    Immer wieder flankiert sie ihre Thesen auch mit Einblicken in die eigene Biographie. Ihr Vater wurde in Polen, ihre Mutter auf den Philippinen streng katholisch geprägt. Die Tochter erzogen die Eltern dagegen liberal, frei von Sittenvorstellungen und Zwangsmoral. Diese Erfahrungen sind die Grundlage von Kinnerts konzeptionellen Ideen für eine moderne konservative Politik. Etwa wenn es um Integration geht:
    "Das Selbstbild von Deutschen wie mir bewegte sich eben nicht mehr auf einer linearen Achse zwischen Herkunfts- und Gegenwartskultur. Es schlug eine Entscheidung zwischen dem ersten und zweiten Augenpaar aus und bekannte sich zum dritten. [...] Identitätsbildung kann so viel mehr sein als verschlossenes Beharren und als widerspruchslose Nachahmung."
    Politisiert in der Wuppertaler Schwebebahn
    Anschaulich erzählt sie auch die Geschichte ihrer Politisierung - in der Wuppertaler Schwebebahn, dem Wahrzeichen ihrer Heimatstadt. Die Fahrt führte vorbei an alten Jugendstilbauten und Bankenvierteln, schmuddeligen Waschbeton-Fassaden und Müllcontainern, hinter denen Obdachlose in Unterkünften aus Pappkartons hausten:
    "Meine ganze Kindheit und Jugend hindurch, bis zum Studium und auch danach, immer und immer wieder fuhr ich mit der Schwebebahn. Die Schwebebahn zwangskonfrontierte, sie zwangspolitisierte mich. Sie gewährte mir Einblicke, nach denen ich nicht gefragt hatte und vor denen ich manchmal lieber hätte die Augen verschließen wollen. Doch die Schwebebahn nahm mir die Blindheit. Sie nahm mir die Taubheit. Und sie nahm mich in die Pflicht."
    Erfrischend offen übt Kinnert Kritik an der eigenen Partei. Etwa wenn sie von ihrer ersten Sitzung als Neumitglied der CDU erzählt, bei der sie zunächst ignoriert und dann für die Kellnerin gehalten wurde. Auch der ein oder andere ideologieschwangere Seitenhieb in Richtung SPD, Grüne und Linke bleibt im Buch nicht aus. In Zeiten des Wahlkampfs versteht sich das von selbst.
    Nichtsdestotrotz bietet die Autorin in "Für die Zukunft seh` ich schwarz" einen ehrlichen Einblick in ihren politischen Lebensweg und überrascht positiv mit einem anregenden und bisweilen unkonventionellen Entwurf für ein Umdenken in der konservativen Politik.
    Diana Kinnert: Für die Zukunft seh' ich schwarz: Plädoyer für einen modernen Konservatismus
    rowohlt Verlag, 208 Seiten, 9,99 Euro