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Wahlprogramm von CDU und CSU
Der lange Weg zurück zur Gemeinsamkeit

CDU und CSU stellen ein gemeinsames Wahlprogramm auf - vor einigen Wochen war das angesichts des Streits um die Flüchtlingspolitik noch nahezu undenkbar. Die Schwesterparteien fanden aber wieder zusammen und klammern nun Streitthemen aus. Die CSU setzt dennoch auf eigene Themen - mit dem Bayernplan.

Von Stephan Detjen und Katharina Hamberger | 02.07.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sitzen während der Fraktionsvorsitzendenkonferenz von CDU und CSU
    Angela Merkel und Horst Seehofer - monatelang war das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU angespannt. (picture alliance /dpa /Sven Hoppe)
    "Der Horst Seehofer und Angela Merkel – oder Angela Merkel, Entschuldigung, und Horst Seehofer haben noch immer für alles eine Lösung gefunden: Wenn das dein Motto in den nächsten Wochen ist, dann bist du wieder herzlich eingeladen."
    Parteitag der CSU im November 2015. Es sind die Schlussworte einer Rede, die von den meisten Beobachtern so interpretiert wird, dass Horst Seehofer hier die CDU-Chefin vorführen will. Angela Merkel ist zu Gast bei der CSU in München, muss nach ihrem eigenen Auftritt fast 15 Minuten wortlos neben Seehofer stehen - seine Rede, in der er deutlich macht, dass die CSU eine andere politische Richtung einschlagen möchte, über sich ergehen lassen.
    Es ist der erste Höhepunkt im Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Monatelang wird das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien angespannt bleiben. Ein gemeinsamer Wahlkampf, wie er nun im Jahr 2017 stattfinden soll – damals ist er kaum vorstellbar.
    "Das war einfach für viele Neue und viele Junge eine ganz schön schwierige Zeit, weil man sich auch mit Kollegen ganz massiv auseinandergesetzt hat."
    Erzählt Emmi Zeulner. Für die 30-jährige CSU-Politikerin war es die erste Legislaturperiode als Abgeordnete.
    "Ältere Kollegen haben gesagt, dass es eben der schwierigste Konflikt war, den sie jemals in ihrer Zeit, die manchmal zehn, 20 Jahre im Bundestag war, der schwierigste Konflikt innerhalb der CDU/CSU war, den sie je erlebt haben."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 28.05.2017 in München (Bayern) bei einem gemeinsamen Wahlkampftermin von CDU und CSU in einem Bierzelt auf der Truderinger Festwoche. 
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht in München bei einem gemeinsamen Wahlkampftermin von CDU und CSU in einem Bierzelt auf der Truderinger Festwoche. (dpa / picture alliance / Matthias Balk)
    Was aber trotz des Streits beiden Seiten stets bewusst ist: CDU und CSU brauchen sich, auch, wenn es darum geht, das Label der Volkspartei zu erhalten. CSU-Politiker und Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der jetzt am gemeinsamen Wahlprogramm der Union mitarbeitet, sagt:
    "Wir wissen, dass wir zwei Parteien sind. Und wir wissen, dass wir in der Demokratie in Deutschland eine große Aufgabe haben, nämlich als Volksparteien dafür zu sorgen, dass die Ränder nicht stärker werden. Und dafür zu sorgen, dass sich viele Menschen in der Parteienfamilie auch wohl fühlen oder bei dieser Parteienfamilie auch ihre Heimat finden."
    Die Unionsanhänger wurden durch den Streit um die Flüchtlingspolitik möglicherweise stärker gespalten als ihre Parteien:
    "Ich könnte jetzt nicht sagen, ich kann jetzt für meinen Kreisverband sprechen, sie waren jetzt alle gegen Merkel oder sie waren jetzt alle für Merkel, sondern es war wirklich so, dass es unterschiedlichste Meinungen gab."
    Berichtet Emmi Zeulner, deren Wahlkreis Kulmbach-Lichtenfels-Bamberg ganz im Norden Bayerns liegt. Sowohl Christsoziale als auch die Christdemokraten mussten erkennen, dass Teile der eigenen Wähler mit dem jeweils anderen Lager sympathisiert haben. Der Politikwissenschaftler Michael Weigl von der Uni Passau:
    "Also, so wie sich dann Unzufriedene in der CDU, also unzufrieden in dem Sinne mit dem Kurs Merkel in der CDU, sich etwas annähern konnten an die CSU, und froh waren, dass es die gibt als Korrektiv. So gab es auch in der CSU natürlich Anhänger, Sympathisanten, Unterstützer, die eigentlich froh waren, dass es da eine Merkel gibt."
    In der CSU wollten sich viele weigern
    In der CSU wollten sich viele weigern, mit Merkel als gemeinsame Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf zu ziehen. Mancher raunte schon, dass womöglich die Fraktionsgemeinschaft aufgelöst werden könnte, so wie es die CSU 1976 schon einmal wollte. Damals ging es vor allem um den Machtkampf Kohl gegen Strauß. Der Streit rund 40 Jahre später hatte eine andere Qualität.
    "Es ging tatsächlich ja nicht nur um so Fragen also wie die Flüchtlingsfrage oder so was, was wir im Vordergrund diskutiert haben. Sondern es geht vor allem um die Frage, wie soll sich die Union in Zukunft denn aufstellen, wie soll sie sich positionieren. Und insofern war das schon ein sehr grundlegender Konflikt."
    So die Analyse des Politikwissenschaftlers Michael Weigl. Angeheizt wurde der Streit durch immer neue Provokationen aus München. Sogar mit einer Verfassungsklage wurde der Bundesregierung – an der die CSU beteiligt ist – gedroht. Das Vertrauen zwischen den Parteien schien nahezu aufgebraucht. Insofern ist es schon erstaunlich, wie sich die Union heute wieder hinter einer unangefochtenen Kanzlerkandidatin Merkel versammelt.
    Bundesverkehrsminister Dobrindt im Bundestag. Er spricht zum Thema Maut.
    Bundesverkehrsminister Dobrindt im Bundestag. (dpa/picture-alliance/Soeren Stache)
    "Wir wissen sehr genau, bei all den Herausforderungen, die es gibt, in Deutschland, in Europa, auf der Welt, Angela Merkel diejenige ist, die das höchste Ansehen mit genießt, die ein Stabilitätsfaktor, auch gerade in Europa, ist. Deutschland ist das zentrale Land in der Mitte Europas, hat viele, viele Partner. Aber viele verlassen sich auch darauf, dass Deutschland die Stabilität in Europa hält. Und das geht dann mit Angela Merkel am allerallerbesten."
    Solche christsozialen Loblieder auf die CDU-Chefin wie von Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat man nach Angela Merkels "Wir schaffen das" lange nicht mehr gehört.
    Dass die Schwesterparteien im Jahr der Bundestagswahl noch einmal soweit zusammenfinden würden, dass sie nun auch wieder mit einem gemeinsamen Wahlprogramm – die Parteien sprechen wie auch die SPD von einem Regierungsprogramm – um Stimmen werben, das hatten selbst Unionsinsider lange bezweifelt. Immer wieder hatte Horst Seehofer schließlich geraunt, man könne programmatisch getrennte Wege zur Bundestagswahl gehen. Ob das ernst gemeinter Separatismus oder nur taktische Drohkulisse war, blieb bewusst unklar.
    Roadmap zum unionsinternen Frieden
    In jedem Fall bedurfte es vor der Arbeit an einem gemeinsamen Wahlprogramm eines Wiederannäherungsprozesses wie aus den Drehbüchern der internationalen Krisendiplomatie: Auf Diskussionsveranstaltungen und Grillabenden für die Parteispitzen musste Gesprächsfähigkeit wieder eingeübt werden. Am Ende führte die Roadmap zum unionsinternen Frieden auch die persönlich tief zerstrittenen Vorsitzenden wieder zusammen.
    "Es geht ja nicht bei null los, sondern in der Tat haben wir im letzten Jahr mit sechs sogenannten Deutschlandkongressen mit den großen Themen noch einmal wirklich genau hingeschaut: Wie stark sind die Gemeinsamkeiten der beiden Unionsparteien? Und am Ende dieses Prozesses, jetzt zu Beginn des Jahres auf einer Klausurtagung in München, haben wir festgestellt: Sie sind groß, gerade mit Blick auf die Zukunftsherausforderungen. Und deswegen haben wir gesagt, wir werden dieses Mal - wie die letzten Male auch - ein gemeinsames Wahlprogramm schreiben."
    CDU-Generalsekretär Peter Tauber gehört mit seinem CSU-Counterpart Andreas Scheuer zu den Strategen, die das Versöhnungswerk organisierten. Tauber gesteht, dass er Zweifel an seinem Erfolg hatte:
    "Sicher war ich natürlich nicht. Sonst hätten wir uns diese Mühe und den Aufwand mit den Deutschlandkongressen auch schenken können."
    Selbst in ihrer Schlussphase geriet die unionsinterne Paartherapie noch einmal zu einer spektakulären Demonstration des wechselseitigen Verdrusses. Nach einem zweitägigen Versöhnungstreffen in München zeigte sich Angela Merkel Anfang Februar bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit Horst Seehofer so unverstellt griesgrämig, als ertrage sie es schier physisch kaum noch, sich neben dem CSU-Chef zu zeigen.
    - "Na, Bayern gehört ja immer noch zur Bundesrepublik Deutschland."
    - "Was ich gerne bestätige."
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gestikuliert im Landtag
    Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer im Bayerischen Landtag (picture alliance/ dpa/ Andreas Gebert)
    Die Frotzelei des CSU-Vorsitzenden konnte nicht mehr überspielen, wie tief der Zwist das Vertrauen Angela Merkels in die bayerische Schwesterpartei und vor allem in Horst Seehofer persönlich genagt hatte.
    "Gut, wenn die Pressekonferenz noch mal gezeigt hat, dass das der Endpunkt eines mühsamen Prozesses ist und wir nicht von heute auf morgen sozusagen in Fröhlichkeit verfallen, sondern zeigen, as war ernsthaft und das war auch anstrengend, dann ist das am Ende gut. Und jetzt scheint das auch so zu sein – das ist meine Wahrnehmung –, dass diese Geschlossenheit, die wir neu gefunden haben, uns auch abgekauft wird. Und das war wichtig."
    Beteuert CDU-Generalsekretär Tauber. Je länger seine Partei damit beschäftigt war, die Wunden der vergangenen Jahre zu lecken, vor allem aber, je stärker die SPD im Frühjahr von der Martin-Schulz-Euphorie beflügelt wurde, desto lauter drängten Skeptiker und Ungeduldige wie das jüngste CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn ihre Partei, endlich in die Offensive zu kommen.
    "Jetzt kommt es darauf an, dass wir als CDU/CSU auch noch etwas stärker in den Walkampfmodus kommen, um auch unterschiedliche Konzepte herauszuarbeiten."
    Erfolg lässt Merkel-Kritiker verstummen
    Die spektakulären Erfolge bei den drei Landtagswahlen der ersten Jahreshälfte ließen Stimmen wie diese erst einmal wieder verstummen. Bei ihren Wahlkampfauftritten im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hatte auch Angela Merkel gezeigt, dass sie aus der Phase der Selbstzweifel und des Haderns herausgefunden hatte. Die Kanzlerin nahm wieder den echten Gegner ins Visier:
    "Die Sozialdemokraten haben bis heute noch nicht die Kraft, sich zu dem zu bekennen, was auch dazu mitgeholfen hat, dass wir das heute erreichen konnten, nämlich zu der Agenda 2010. Sie hadern, sie sind immer weiter in der Vergangenheit befangen. Ein Wahlkampf, zwei Wahlkämpfe, drei Wahlkämpfe, jetzt kommt der vierte. Und wieder hadern sie mit der Agenda 2010, immer im Rückblick, nie sagen können, dass man stolz auf etwas ist, das man geschafft hat."
    Auch das Konrad-Adenauer-Haus, die Parteizentrale der CDU am Berliner Tiergarten, wurde auf Wahlkampfmodus umgestellt. Nicht nur Werbeagenturen und externe Berater wurden angeheuert. Generalsekretär Tauber kündigte auch wuchtige Verstärkung aus Angela Merkels Machtzentrum an:
    "Auch hier wollen wir Kräfte bündeln. Und ich habe daher den Gremien heute auch vorgeschlagen, dass Peter Altmaier neben mir federführend die Erarbeitung des Regierungsprogramms übernimmt."
    Peter Altmaier ist Chef des Bundeskanzleramts. Dass er zugleich, wie Peter Tauber formulierte, "neben mir federführend" Autor des Wahlprogramms sein sollte, sorgte nicht nur für Kritik an der Doppelfunktion in Partei- und Regierungszentrale. Der Wechsel Altmaiers wurde auch als Teilentmachtung des Generalsekretärs interpretiert.
    Wenige Tage vor der Präsentation des gemeinsamen Wahlprogramms von CDU und CSU aber sitzt Tauber entspannt in seinem Büro am Berliner Tiergarten - und lässt den Chef des Kanzleramtes vor der Türe warten, um die zentralen Kapitel des Programms zu erläutern:
    "Wir wollen uns auf drei Kernbotschaften fokussieren in diesem Wahlkampf und bei diesem Regierungsprogramm. Das heißt, wir reden natürlich über Sicherheit, das ist das Thema der Union. Wir reden über Sicherung guter Arbeitsplätze, eine starke Wirtschaft. Das ist die zweite Säule. Und als dritten Punkt – das ist sicherlich stärker als in den letzten Wahlkämpfen Thema für uns – die Unterstützung von Familien, gerade Familien mit kleinen Kindern."
    Videoüberwachung für die innere Sicherheit, Milliarden Steuerentlastungen für den Mittelstand, bessere Betreuungsangebote für Kinder – das sind die Wohlfühlbotschaften, mit denen die CDU in den kommenden Wochen und Monaten um Stimmen werben will.
    Streit um doppelte Staatsbürgerschaft
    Das Thema aber, das die Unionsparteien seit dem Sommer 2015 innerlich zerrissen und die Öffentlichkeit wie kein anderes bewegt hat, wird im Wahlproramm zum Randthema: Die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ist aus Sicht der Union längst eine Sache für Historiker. Zweifel an der Kanzlerin und parteiinterne Spannungen haben sich an anderen Themen entladen, die auch die Autoren des Wahlprogramms vor eine schwierige Aufgabe stellten. Noch einmal eine Rückblende:
    "Antrag C 28 auf Seite 45."
    Auf dem Bundesparteitag der CDU im Dezember kam es zur offenen Revolte gegen Merkel und ihre Regierung, als der Sitzungsleiter Antrag C 28 aufrief, mit dem die Junge Union die von Merkels Regierung beschlossene Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft attackierte.
    "Ich will kein Land, in dem die Bevölkerung in Auch-Deutsche und Nur-Deutsche geteilt ist. Das ist auch eine klare Entscheidung für die deutsche Staatsbürgerschaft. Und deshalb möchte ich Sie bitten, bei diesem Antrag C28 mit der JU zu stimmen gegen das Votum der Antragskommission."
    Ein deutscher und ein türkischer Pass werden am 15.12.2016 während der Landtagssitzung in Kiel (Schleswig-Holstein) in die Kamera gehalten. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft wird die Parlamentarier in ihrer Sitzung am Freitag (16.12.2016) beschäftigen. 
    Ein deutscher und ein türkischer Pass (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Rief Bastian Schneider, der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU-Nachwuchsorganisation, den Delegierten zu. Bei dem Parteitreffen sollte eigentlich die Nominierung Angela Merkels für die Kanzlerkandidatur ganz im Mittelpunkt stehen. Mit ihrem Vorstoß gegen den Doppelpass öffnete die Junge Union aber ein Ventil, durch das lange aufgestauter Unmut entwich. Innenminister Thomas de Maizière versuchte, zu mäßigen:
    "Es ist aber so, dass wir einen Teil der Leute, die sich dazu bekennen, Deutsche werden zu wollen, vor den Kopf stoßen, weil wir ihnen sagen, ihr müsst leider nur Türke bleiben. Ich finde, das ist auch für jemanden, der für deutsche Staatsbürgerschaft kämpft, das ist auch kein sehr starkes Argument."
    Die Stimmung in der Essener Gruga-Halle kippte jedoch vollends, als sich auch der prominenteste Führungsnachwuchs der CDU, Jens Spahn, dem Aufbegehren gegen den Kurs der Regierung anschloss, der er als Finanzstaatssekretär zugleich selbst angehört.
    "Liebe Freundinnen und Freunde, jetzt fühlte ich mich doch durch die Wortmeldung ermuntert, doch noch mal was zu sagen. Denn natürlich muss man in Koalitionen Kompromisse machen, aber wir sind hier auf dem CDU-Bundesparteitag und reden darüber, was wir als Partei wollen."
    Mit deutlicher Mehrheit legte sich der Parteitag nach diesem Appell auf einen Kurs fest, der vor allem die Kanzlerin und frisch nominierte Kandidatin düpierte. Angela Merkel hatte die Debatte schweigend verfolgt – und erklärte erst nach dem Ende des Parteitages vor den Fernsehkameras, was sie vom Beschluss der Unionsbasis hielt.
    "Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt einen Wahlkampf über einen Doppelpass führen sollten, wir das früher mal gemacht haben. Wir haben keine generelle doppelte Staatsbürgerschaft, im Gegenteil. Es ging hier um eine kleine Gruppe von Menschen. Und aus meiner Sicht ist diese Regelung jetzt getroffen. Und damit sollte man leben."
    Wenn das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU an diesem Montag veröffentlicht wird, dürfte sich indes zeigen, dass die Kanzlerin den Beschluss des Parteitages nicht einfach ignorieren konnte. Merkel werde sich auf eine Aussage zur Einschränkung der Doppelten Staatsbürgerschaft einlassen müssen, hieß es zuletzt in Unionskreisen. Einmal mehr wird sich die Kanzlerin als programmatisch flexibel erweisen.
    Wahlprogramm soll Gemeinsamkeiten betonen
    Das Wahlprogramm von CDU und CSU soll die Gemeinsamkeiten betonen, wird deshalb auch kaum Zuspitzungen beinhalten. Damit allein lässt sich allerdings aus Sicht der Christsozialen die Wahl nicht gewinnen. Sie haben Bayern im Blick und brauchen noch ein Alleinstellungsmerkmal:
    "Nebenbei wird es auch Elemente geben, die der CSU besonders wichtig sind, die wir auch hervorheben wollen. Und wenn das in einem gemeinsamen Wahlprogramm nicht stattfindet, was in der Vergangenheit übrigens auch so war, dann wird das in einem Bayernplan noch mal sehr deutlich skizziert werden."
    Sagt Alexander Dobrindt. Als Generalsekretär der CSU erfand er 2013 den sogenannten Bayernplan. Dieser war damals schon kürzer und in Teilen radikaler als das gemeinsame Wahlprogramm – es enthielt etwa die Pkw-Maut als eigenständiges CSU-Projekt. Am 23. Juli soll nun der nächste Bayernplan vorgestellt werden – und auch der ist wieder Ausdruck eines bayerischen Sonderweges. Neben der Mütterrente, die die CSU ausweiten will, die CDU aber nicht, steht im Bayernplan jetzt auch ein Thema, das die Gemüter im Streit um die Flüchtlingspolitik angeheizt hat:
    "Die Obergrenze selber, klar, kommt in den Bayernplan."
    Sagte Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU, Anfang dieser Woche nach der CSU-Vorstandssitzung. Eine Obergrenze von 200.000 für die Aufnahme von Flüchtlingen - immer wieder hatte die CSU das im vergangenen Jahr gefordert, auch, wenn sie eine konkrete Antwort schuldig blieb, wie das praktisch funktionieren sollte. Sie drang bei der CDU damit jedoch nicht durch. Also wurde die quantitative Begrenzung zum CSU-eigenen Projekt erklärt, gleichzeitig verbal abgerüstet – zumindest für den Wahlkampf, um den Unionsfrieden nicht zu gefährden. Wer im Moment nach der Obergrenze fragt, erhält solche Antworten:
    "Wir haben eine Vorstellung darüber, dass Integration ja auch nur dann gelingen kann, wenn sie bewältigbar ist. Und bewältigbar ist sie eben auch nur dann, wenn die Zahl derjenigen, die zu uns kommen, die integriert werden wollen und sollen, in einem Ausmaß ist, das bewältigbar ist. Und das ist der Hintergrund, warum wir über eine Obergrenze reden."
    Eigener Bayernplan der CSU
    Der frühere Generalsekretär und derzeitige Verkehrsminister Dobrindt wird für die kommende Legislaturperiode als Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag gehandelt. Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl ist er dennoch nicht, sondern der jetzige bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Ihn will Parteichef Seehofer als starken Mann aus München in Berlin installieren. Das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass aus Seehofers Sicht die Landesgruppe sich ein wenig zu stark an den Bedingungen einer Koalition mit der CDU in Berlin orientiert hat und sich nicht wie die Landtagsfraktion in München, die allein regieren kann, aufgeführt hat.
    "Es gibt natürlich viele Gründe, warum welcher Kandidat wie gesetzt wird, aber grundsätzlich zeigen solche Personalentscheidungen schon eine gewisse Schwäche, oder deuten auf eine gewisse Schwäche der Landesgruppe hin."
    In Berlin würde der Analyse von Politikwissenschaftler Weigl niemand öffentlich zustimmen. Natürlich stünden die Abgeordneten geschlossen hinter Herrmann, er sei ein gemeinsamer Kandidat, heißt es. Die CSU-Abgeordnete Zeulner:
    "Wir wollen mit dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann ein Angebot machen, mit jemandem, der auf Länderebene einfach bewiesen hat, dass er ganz, ganz hohe Kompetenz hat, dass er sich auch mit viel Know-how einbringen kann."
    Dieses Angebot, den bayerischen Innenminister im weiteren Regierungsfall zum Bundesinnenminister zu machen, bedeutet jedoch noch etwas, nämlich, der CSU das Durchsetzen der Obergrenze zu überlassen. Die Christsozialen haben die Obergrenze, wie einst die Maut, zur Koalitionsbedingung gemacht. Sie fordern diese Möglichkeit zur Profilierung für das kommende Jahr. Denn dann wird in Bayern der Landtag gewählt.