Müller: Guten Morgen.
Zagatta: Frau Müller, was bedeutet denn dieser Parteitag für die Regierungsarbeit? Sind die Grünen nun etwas berechenbarer geworden?
Müller: Erstens war das eine sehr klare Entscheidung für rot/grün. Zum zweiten hat der Parteitag überraschend klar den Kurs von Fraktion und Regierung mitgetragen, das heißt klare Unterstützung und insofern auch eine Grundsatzentscheidung getroffen. Die Mehrheit hält begrenzte militärische Maßnahmen als letztes Mittel für legitim, wenn sie eingebettet sind in ein politisches Gesamtkonzept. Das ist eine Entscheidung, die auch über den Tag hinaus tragen wird.
Zagatta: Sie glauben nicht, dass eine ähnliche Auseinandersetzung bei nächster Gelegenheit wieder aufflammen könnte?
Müller: Da ist der Beschluss klar und auch die Reden waren dort sehr deutlich. Ich habe sehr deutlich, Joschka Fischer und andere haben sehr deutlich gesagt, wenn ihr hier mit ja stimmt, auch für eine Fortsetzung der Koalition, dann trefft ihr in gewisser Weise auch eine Grundsatzentscheidung, dass man in Ausnahmefällen wie gesagt als letztes Mittel begrenzte militärische Maßnahmen nicht immer ausschließen kann. Dies war den Delegierten klar. Auch der Ernst der Lage war den Delegierten insofern klar.
Zagatta: Diese Klarheit ist ja ursprünglich durch die Vertrauensfrage herbeigeführt worden, die Gerhard Schröder gestellt hat. Müssen Sie dem Kanzler da nicht geradezu dankbar sein?
Müller: Nein. Sie wissen, dass die Grünen nicht gerade sehr glücklich waren mit der Verknüpfung, aber das ist nun Schnee von gestern. Jetzt muss man nach vorne blicken. Durch diese sehr deutliche Entscheidung kommen die Grünen gestärkt aus diesem Parteitag und ich glaube auch mit dieser sehr klaren Aussage für rot/grün werden wir sehr, sehr selbstbewusst in den Wahlkampf 2002 gehen. Was wir alles geschafft haben, auch das hat auf dem Parteitag eine Rolle gespielt: Staatsbürgerschaftsrecht, Zuwanderung, Atomausstieg, erneuerbare Energien, Agrarwende. Aber auch das, was eben noch ansteht, wofür wir einen klaren Wählerauftrag haben, dem werden wir uns jetzt wieder zuwenden.
Zagatta: Über die Bewertung des Parteitages gibt es, wenn man heute in die Zeitungen blickt, ja recht unterschiedliche Einschätzungen. Die "TAZ" hat ja schon geschrieben, die Grünen würden geschrödert. Kann Ihnen das jetzt auch in der Innenpolitik passieren, denn es gibt wohl Bestrebungen, das Anti-Terror-Paket, das Sie mit Innenminister Schily ausgehandelt haben, jetzt noch einmal zu verschärfen?
Müller: Man muss auch nicht alles ernst nehmen, was so in der Presse geschwätzt wird, vor allen Dingen nicht bei bestimmten Zeitungen. - Das Anti-Terror-Paket ist ja sehr mühsam ausgehandelt worden. Wir haben an ganz entscheidenden Punkten von grüner Seite Veränderungen und Verbesserungen am Sicherheitsgesetz durchgesetzt, so dass wir es nun für rechtstaatlich vertretbar halten. Es ist ganz klar: die Fraktionen - da ist sich die Fraktion der Grünen auch mit der SPD-Fraktion einig - werden keine weiteren Verschärfungen am Gesetz vornehmen, insbesondere natürlich nicht an den zentralen Punkten, wo wir uns durchgesetzt haben. Da haben wir uns mit dem Kollegen Stiegler verständigt.
Zagatta: Die SPD will also nicht mehr neu verhandeln, so wie der Eindruck entstanden ist?
Müller: Nein. Wir werden jedenfalls nicht an den Punkten verhandeln, wo wir mühsam einen Kompromiss gefunden haben. Man muss einfach sehen: Ich halte etwa auch das, was dort vom Bundesrat vorgeschlagen wird, man soll die demokratische Kontrolle der Geheimdienste, die wir ja als Grüne durchgesetzt haben, lieber wieder ein bisschen relativieren, also nicht durch G10-Kommission, für aberwitzig. Wenn man die Befugnisse der Geheimdienste ausweitet - das war immer unsere Position -, dann muss es auch eine Kontrolle durch die Bürgerinnen und Bürger geben: eine parlamentarische zum einen und zum zweiten auch entsprechende Datenschutzrechte der Bürger, so dass sie auf Löschung bestehen können, so dass sie auf Einsicht bestehen können. Gerade diese Punkte sind mit uns nicht verhandelbar, und das ist auch nicht rechtstaatlich vertretbar, hier die parlamentarische Kontrolle zu entfernen. Da sind sich die Fraktionen, Rechtspolitiker, Innenpolitiker, Vorstand der Fraktionen, SPD und Grüne einig.
Zagatta: Aber Sie sind ja auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen. Müssen Sie da nicht doch noch an dem einen oder anderen Punkt nachgeben, oder lassen Sie dann das ganze Paket lieber scheitern?
Müller: Ich glaube nicht, dass das scheitert. Ich bin da sehr gelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union, die ja im Moment doch in ziemlich schweren Fahrwassern ist und angeblich doch für das Thema Sicherheit auch steht, ein solches vernünftiges Sicherheitsgesetz scheitern lässt. Dann wäre sie ja dafür verantwortlich, dass wir in dieser Gesellschaft nicht die Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um weitere Attentate zu verhindern. Ich glaube das könnte die Union nicht vertrachten. Deshalb bin ich dort sehr gelassen, dass sie diesem sehr vernünftigen, aber auch rechtstaatlich vertretbarem Sicherheitsgesetz zustimmen werden.
Zagatta: Dass Sie da nicht neu verhandeln wollen, Frau Müller, gilt das auch für das Zuwanderungsgesetz? Da hat Ihnen Minister Schily ja schon angekündigt, er will sich mit dem CDU-Verhandlungsführer, dem saarländischen Ministerpräsidenten Müller treffen, um noch einmal neu zu verhandeln.
Müller: Ja. Leider hat man natürlich im Moment den Eindruck, dass der ehemalige Vorsitzende der CDU-Einwanderungskommission Müller überhaupt nichts zu sagen hat in der Union und auch nicht den Kurs angibt. Ich glaube die Union muss sich erst mal einigen, ob sie überhaupt verhandlungsbereit ist, ob sie ein modernes Zuwanderungsgesetz will. Wir haben jedenfalls vor, dies in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Natürlich sind wir hier gesprächsbereit. Wir haben die Aufforderung von der deutschen Wirtschaft über die Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen, dieses Zuwanderungsgesetz auch einzubringen und zu verabschieden. Wenn ich mir dann aber Herrn Stoiber so anschaue, der ja wohl eigentlich den Ton angibt in der Union, der hat ja sehr klar gesagt, er macht das in keinem Fall. Das heißt an dem Punkt ist die Union weder modern noch zukunftsfähig, sondern sie will schlicht mit diesem Thema Wahlkampf machen. Da haben sich in dieser Woche noch einmal die wahren Absichten gezeigt. Wir fänden das bedauerlich, weil wir glauben, dass ein modernes Zuwanderungsgesetz, das auch humanitären Anforderungen gerecht wird, absolut notwendig ist und überfällig.
Zagatta: Das war Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. - Frau Müller, schönen Dank für das Gespräch!
Müller: Bitte schön.
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Frau Müller, was bedeutet denn dieser Parteitag für die Regierungsarbeit? Sind die Grünen nun etwas berechenbarer geworden?
Müller: Erstens war das eine sehr klare Entscheidung für rot/grün. Zum zweiten hat der Parteitag überraschend klar den Kurs von Fraktion und Regierung mitgetragen, das heißt klare Unterstützung und insofern auch eine Grundsatzentscheidung getroffen. Die Mehrheit hält begrenzte militärische Maßnahmen als letztes Mittel für legitim, wenn sie eingebettet sind in ein politisches Gesamtkonzept. Das ist eine Entscheidung, die auch über den Tag hinaus tragen wird.
Zagatta: Sie glauben nicht, dass eine ähnliche Auseinandersetzung bei nächster Gelegenheit wieder aufflammen könnte?
Müller: Da ist der Beschluss klar und auch die Reden waren dort sehr deutlich. Ich habe sehr deutlich, Joschka Fischer und andere haben sehr deutlich gesagt, wenn ihr hier mit ja stimmt, auch für eine Fortsetzung der Koalition, dann trefft ihr in gewisser Weise auch eine Grundsatzentscheidung, dass man in Ausnahmefällen wie gesagt als letztes Mittel begrenzte militärische Maßnahmen nicht immer ausschließen kann. Dies war den Delegierten klar. Auch der Ernst der Lage war den Delegierten insofern klar.
Zagatta: Diese Klarheit ist ja ursprünglich durch die Vertrauensfrage herbeigeführt worden, die Gerhard Schröder gestellt hat. Müssen Sie dem Kanzler da nicht geradezu dankbar sein?
Müller: Nein. Sie wissen, dass die Grünen nicht gerade sehr glücklich waren mit der Verknüpfung, aber das ist nun Schnee von gestern. Jetzt muss man nach vorne blicken. Durch diese sehr deutliche Entscheidung kommen die Grünen gestärkt aus diesem Parteitag und ich glaube auch mit dieser sehr klaren Aussage für rot/grün werden wir sehr, sehr selbstbewusst in den Wahlkampf 2002 gehen. Was wir alles geschafft haben, auch das hat auf dem Parteitag eine Rolle gespielt: Staatsbürgerschaftsrecht, Zuwanderung, Atomausstieg, erneuerbare Energien, Agrarwende. Aber auch das, was eben noch ansteht, wofür wir einen klaren Wählerauftrag haben, dem werden wir uns jetzt wieder zuwenden.
Zagatta: Über die Bewertung des Parteitages gibt es, wenn man heute in die Zeitungen blickt, ja recht unterschiedliche Einschätzungen. Die "TAZ" hat ja schon geschrieben, die Grünen würden geschrödert. Kann Ihnen das jetzt auch in der Innenpolitik passieren, denn es gibt wohl Bestrebungen, das Anti-Terror-Paket, das Sie mit Innenminister Schily ausgehandelt haben, jetzt noch einmal zu verschärfen?
Müller: Man muss auch nicht alles ernst nehmen, was so in der Presse geschwätzt wird, vor allen Dingen nicht bei bestimmten Zeitungen. - Das Anti-Terror-Paket ist ja sehr mühsam ausgehandelt worden. Wir haben an ganz entscheidenden Punkten von grüner Seite Veränderungen und Verbesserungen am Sicherheitsgesetz durchgesetzt, so dass wir es nun für rechtstaatlich vertretbar halten. Es ist ganz klar: die Fraktionen - da ist sich die Fraktion der Grünen auch mit der SPD-Fraktion einig - werden keine weiteren Verschärfungen am Gesetz vornehmen, insbesondere natürlich nicht an den zentralen Punkten, wo wir uns durchgesetzt haben. Da haben wir uns mit dem Kollegen Stiegler verständigt.
Zagatta: Die SPD will also nicht mehr neu verhandeln, so wie der Eindruck entstanden ist?
Müller: Nein. Wir werden jedenfalls nicht an den Punkten verhandeln, wo wir mühsam einen Kompromiss gefunden haben. Man muss einfach sehen: Ich halte etwa auch das, was dort vom Bundesrat vorgeschlagen wird, man soll die demokratische Kontrolle der Geheimdienste, die wir ja als Grüne durchgesetzt haben, lieber wieder ein bisschen relativieren, also nicht durch G10-Kommission, für aberwitzig. Wenn man die Befugnisse der Geheimdienste ausweitet - das war immer unsere Position -, dann muss es auch eine Kontrolle durch die Bürgerinnen und Bürger geben: eine parlamentarische zum einen und zum zweiten auch entsprechende Datenschutzrechte der Bürger, so dass sie auf Löschung bestehen können, so dass sie auf Einsicht bestehen können. Gerade diese Punkte sind mit uns nicht verhandelbar, und das ist auch nicht rechtstaatlich vertretbar, hier die parlamentarische Kontrolle zu entfernen. Da sind sich die Fraktionen, Rechtspolitiker, Innenpolitiker, Vorstand der Fraktionen, SPD und Grüne einig.
Zagatta: Aber Sie sind ja auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen. Müssen Sie da nicht doch noch an dem einen oder anderen Punkt nachgeben, oder lassen Sie dann das ganze Paket lieber scheitern?
Müller: Ich glaube nicht, dass das scheitert. Ich bin da sehr gelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union, die ja im Moment doch in ziemlich schweren Fahrwassern ist und angeblich doch für das Thema Sicherheit auch steht, ein solches vernünftiges Sicherheitsgesetz scheitern lässt. Dann wäre sie ja dafür verantwortlich, dass wir in dieser Gesellschaft nicht die Maßnahmen ergreifen, die notwendig sind, um weitere Attentate zu verhindern. Ich glaube das könnte die Union nicht vertrachten. Deshalb bin ich dort sehr gelassen, dass sie diesem sehr vernünftigen, aber auch rechtstaatlich vertretbarem Sicherheitsgesetz zustimmen werden.
Zagatta: Dass Sie da nicht neu verhandeln wollen, Frau Müller, gilt das auch für das Zuwanderungsgesetz? Da hat Ihnen Minister Schily ja schon angekündigt, er will sich mit dem CDU-Verhandlungsführer, dem saarländischen Ministerpräsidenten Müller treffen, um noch einmal neu zu verhandeln.
Müller: Ja. Leider hat man natürlich im Moment den Eindruck, dass der ehemalige Vorsitzende der CDU-Einwanderungskommission Müller überhaupt nichts zu sagen hat in der Union und auch nicht den Kurs angibt. Ich glaube die Union muss sich erst mal einigen, ob sie überhaupt verhandlungsbereit ist, ob sie ein modernes Zuwanderungsgesetz will. Wir haben jedenfalls vor, dies in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Natürlich sind wir hier gesprächsbereit. Wir haben die Aufforderung von der deutschen Wirtschaft über die Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen, dieses Zuwanderungsgesetz auch einzubringen und zu verabschieden. Wenn ich mir dann aber Herrn Stoiber so anschaue, der ja wohl eigentlich den Ton angibt in der Union, der hat ja sehr klar gesagt, er macht das in keinem Fall. Das heißt an dem Punkt ist die Union weder modern noch zukunftsfähig, sondern sie will schlicht mit diesem Thema Wahlkampf machen. Da haben sich in dieser Woche noch einmal die wahren Absichten gezeigt. Wir fänden das bedauerlich, weil wir glauben, dass ein modernes Zuwanderungsgesetz, das auch humanitären Anforderungen gerecht wird, absolut notwendig ist und überfällig.
Zagatta: Das war Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. - Frau Müller, schönen Dank für das Gespräch!
Müller: Bitte schön.
Link: Interview als RealAudio