Freitag, 19. April 2024

Archiv

Pastoralis Officii
Ein Papst kämpft gegen das Duellieren

Lange war er selbstverständlich: der Zweikampf mit tödlichen Waffen. Duelle mit Degen, Florett oder Pistolen endeten tausendfach mit dem Tod. Seit den 1880er-Jahren gab es darüber hitzige Debatten. In Rom sprach vor 125 Jahren, im Spätsommer 1891, Papst Leo XIII. ein Machtwort. Seine Enzyklika "Pastoralis Officii" verurteilt das Duellieren.

Von Kirsten Serup-Bilfeldt | 19.10.2016
    Zwei Geschäftsmänner starren sich böse an.
    Das Duell mit Florett oder Pistole wurde nach der Papst-Enzyklika langfristig durch zivilisiertere Formen des Duells abgelöst (imago/emil umdorf)
    Eigentlich ganz ähnliche Charaktere, diese beiden Männer! Selbst ihre Biografien weisen auffallende Übereinstimmungen auf: beide entstammen alten Landadelsfamilien, sind Juristen, Corpsbrüder und evangelisch, beide sind vaterlandsliebend, königstreu und - aufbrausend. Dennoch schwelen die Konflikte zwischen dem konservativen Abgeordneten im Preußischen Landtag Otto von Bismarck und seinem liberalen Kollegen Georg von Vincke. Es geht um den Wehretat, es geht um persönliche Beleidigungen "Ehrverletzungen" und - allen Ernstes - um eine brennende Zigarre!
    Weshalb sich an diesem sonnigen Märztag des Jahres 1852 die beiden Hitzköpfe mit ihren Sekundanten am Tegeler See zum Duell treffen, was für diese Zeit und diese Gesellschaft keineswegs ungewöhnlich ist. Der Historiker Winfried Becker:
    "Nicht jedermann war zur Teilnahme an diesem gesellschaftlichen Ritual berechtigt. Als 'satisfaktionsfähig' galt ursprünglich nur, wer das Recht zum Waffentragen hatte, also Adlige, Offiziere und Studenten. Die wachsende politische, wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Bürgertums im 19. Jahrhundert hatte zur Folge, dass schließlich auch Bürgerliche als satisfaktionsfähig betrachtet wurden, sofern sie der 'besseren Gesellschaft' angehörten und bereit waren, sich deren ungeschriebenen Verhaltensregeln, zu unterwerfen."
    Auf Hauen und Stechen
    Beide Duellanten bleiben unverletzt. Und Bismarcks Ausspruch, "für jeden jungen Offizier ist das Duell so herkömmlich wie das Frühstück," behält weiter Geltung. Dennoch erlässt der preußische Staat nur wenige Jahre später ein Verbot des Duellierens. Professor Winfried Becker:
    "Nach dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 war der Zweikampf mit tödlichen Waffen unter Strafe gestellt. Wenn er tödlich endete, konnte mit Festungshaft bis zu 15 Jahren bestraft werden."
    Das geschieht allerdings nur mit Einschränkungen:
    "Einerseits war nicht einmal klar, wie der Zweikampf definiert wurde, und es war auch nicht gesagt, was tödliche Waffen bedeuten. Zweitens ist das Problem das Verhältnis zum Militär, denn die Soldaten bis hin zu den Reserveoffizieren waren der Militärgerichtsbarkeit unterstellt. Diese Militärgerichtsbarkeit nahm zwar Bezug auf die Paragraphen 201 bis 210 des Strafgesetzbuches, aber sie war eine andere Gerichtsbarkeit, eine Sondergerichtsbarkeit und da wurde anders vorgegangen. Hier gibt es seit den 1880er-Jahren bis in den Weltkrieg hinein große Auseinandersetzungen."
    Das undatierte Szenenfoto zeigt Edmont Dantes (r), gespielt von Jim Caviezel, im Duell mit seinem früheren Freund Fernand Mondego (Guy Pearce) im Film "Monte Christo".
    Szene aus dem Film "Monte Cristo". (dpa / Spyglass_Entertainment_Group)
    Diese Situation treibt nun auch die katholischen Bischöfe im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn um. Sie richten im Spätsommer 1891 eine Anfrage an Papst Leo XIII.
    "Der Papst gibt hier eine erschöpfende Antwort auf diese Anfrage. Leo XIII. argumentiert von der Ebene der christlichen Philosophie, der Ebene der Heiligen Schrift."
    Wörtlich heißt es in der Enzyklika: "Es ist klar, dass das göttliche Gesetz, das im Licht der Vernunft erkannt, wie auch das, das in der Heiligen Schrift verkündet wird, jedermann strengstens untersagt, einen Menschen zu töten oder zu verletzen - außer in öffentlichen Angelegenheiten oder zur Selbstverteidigung."
    Keine Ausnahmen fürs Militär
    Unmissverständlich macht Leo XIII. klar, dass es keinerlei "ehrenvolle" Motive geben könne, die ein Duell rechtfertigten. Professor Winfried Becker:
    "Es wird keine Beleidigung getilgt, es wird auch nicht bewiesen, wer ehrenhafter ist, sondern es wird nur gezeigt, wer besser die Waffen gebrauchen kann. Es sind eher unedle Motive zu erblicken: nämlich Rachebedürfnis. Und die Rache hat sich Gott vorbehalten."
    Um seine Ausführungen zu bekräftigen, bemüht der Papst auch Stellungnahmen seiner Vorgänger.
    "Er beruft sich auf das Konzil von Trient, auf die Päpste, die das Duell mit Strafen belegt haben, er bezieht sich auf Benedikt XIV., der 1752 die tridentinischen Sanktionen gegen das Duell bekräftigt hat. Hier wird etwa vorgesehen, dass kein kirchliches Begräbnis für Duellanten stattfinden soll. Und er beruft sich zuletzt auf Pius IX., der die Sanktionen auf die Sekundanten des Duells erstreckt hat."
    Die Abbildung zeigt ein Porträt von Papst Leo XIII. (1810-1903). Im Jahr 1878 wurde er zum Nachfolger von Pius IX. zum Papst gewählt.
    Die Abbildung zeigt ein Porträt von Papst Leo XIII. (1810-1903). Im Jahr 1878 wurde er zum Nachfolger von Pius IX. zum Papst gewählt. (picture-alliance / dpa / Bifab)
    Entschieden wendet sich Leo XIII. auch gegen die Ausnahmeregelungen für das Militär. Winfried Becker:
    "Das ist in der Zeit sehr mutig und nimmt auch wieder Bezug auf die Anfrage der Bischöfe. Er sagt nämlich: das natürliche und göttliche Recht… bindet unabhängig von Status und Stand der Personen. Er setzt diese Normen des natürlichen und ewigen Rechts als allgemeinverbindlich an. Das ist sein Versuch, die Kirche nach dem Kulturkampf wieder in eine ausgewogene, gleichberechtigte Lage gegenüber dem Staat zu bringen."
    Dennoch kann gerade diese Forderung des Papstes katholische Militärangehörige in eine unüberwindbare Zwickmühle bringen.
    "Da gab es ein großes Problem: Wenn die katholischen Offiziere sich geweigert haben, ein Duell einzugehen, wurden sie eben aus der Armee entlassen. Und das ist ja praktisch ein Berufsverbot gewesen, das ihnen der Papst zugemutet hat."
    Die Worte des Pontifex verhallen nicht ungehört. 1902 organisieren sich Gegner dieser Form der "Satisfaktion" in der "Deutschen Anti-Duell-Liga". Nach den großen gesellschaftlichen Umbrüchen am Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem Sturz von Monarchien und dem wachsenden Einfluss demokratischer Ideen verliert das Duell immer mehr an Bedeutung.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg verbietet ein Gesetz des "Alliierten Kontrollrats" das Duellieren. 1969 wird der Duell-Paragraf im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik vollständig gestrichen.