
"Am Land draußen, wo ich herkomme, fährt in der Ferienzeit am Tag einmal ein Bus. Sagen Sie mir mal, wie da alte Leute oder Leute mit Behinderung auf einen Bahnhof kommen sollen oder weiterkommen. Es geht nicht."
"Sie sind sechs Stunden unterwegs, dass Sie einen Patienten zwei Stunden jemanden besuchen können."
Im Gebäude der Klinik hat jetzt nur noch eine orthopädische Arztpraxis ihre Räume. Die Krankenzimmer mit 60 Betten, die das Haus in seinen besseren Zeiten hatte, sind leer. Ein Patient, der aus der orthopädischen Praxis kommt, schüttelt den Kopf.
"Für mich ist es unbegreiflich, wie die das schließen konnten, war doch immer gut ausgelastet. Die Schließung, das ist ne ganz große Sauerei meiner Meinung nach."
Für kleine Krankenhäuser sind die Bedingungen in ganz Deutschland in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Bei bestimmten Eingriffen, wie zum Beispiel dem Einsatz von Knieendoprothesen, müssen die Kliniken eine bestimmte Zahl von Operationen vorweisen, damit sie die Behandlung abrechnen können. Auch bei der Versorgung von Notfällen müssen Kliniken eine bestimmte Ausstattung vorhalten, wenn sie nicht mit finanziellen Abschlägen bestraft werden wollen.

"Wenn ich aber jetzt nach Fall bezahlt werde, ist es schwierig, mit kleinen Fallzahlen, also wenig Patientenzahlen, diese Fixkosten abdecken zu können. Und deshalb sehen wir ganz klar, dass kleine Krankenhäuser größere wirtschaftliche Probleme haben als große Krankenhäuser. Das gilt auch für städtische. Also auch städtische kleine Krankenhäuser haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aber im ländlichen Raum gibt es halt mehr kleine. Deshalb greift das da stärker."
Augurzky sieht allerdings auch Vorteile für die Patienten, wenn wirtschaftliches Denken im Krankenhausbereich dazu führt, dass kleine Anbieter verschwinden und vor allem größere Häuser übrig bleiben. Dort gebe es mehr Routine und mehr Expertise – egal, ob es um die Versorgung von Schlaganfall-Patienten oder um Hüftprothesen geht. Der Gesundheitsökonom kennt Berechnungen von Kollegen, die rund zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland für verzichtbar halten.
"Wenn ich Eingriffe häufiger mache, bin ich da auch besser. Ich meine, das weiß jeder von sich aus dem Alltag: welchen Beruf man auch immer hat, wenn ich etwas oft mache, wiederholt eine Tätigkeit durchführe, dann werde ich da immer besser."
Viele Ärzte teilen diese Analyse. Es gibt in der Ärzteschaft allerdings auch Widerspruch gegen diese Einschätzung. Der Gastroenterologe Rainer Hoffmann aus der nordbayerischen Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber sieht nicht immer einen Vorteil darin, wenn große Kliniken kleine Häuser verdrängen.

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung legt schon seit Jahren immer wieder Zahlen vor, wonach in Deutschland nicht nur Wirbelsäulen-OPs, sondern auch andere Operationen häufiger durchgeführt werden, als es medizinisch sinnvoll scheint. Über die Aussagekraft dieser Zahlen gibt es unter Ärzten intensive Debatten.
"Das, was diese Häuser im ländlichen Raum, also Versorgungsstufe eins und zwei abdecken, ist das Gros der Erkrankungen in der Bevölkerung. Und wenn diese Kliniken in einer Größenordnung von etwa 40 Prozent angeblich defizitär sind, dann kann ich nur sagen: Niemand wird glauben, dass 40 Prozent der Chefärzte oder der Verwaltungsleiter unfähig sind, sondern dann sind diese Erkrankungen nicht entsprechend mit Geld hinterlegt."
Gerade Krankenhäuser auf dem Land dürften nicht nur streng nach ihrer Rentabilität bewertet werden, findet Hoffmann. Und bei der Frage, wie viele Krankenhäuser an welchen Stellen sich auf Deutschland verteilen, gehe es nicht nur um die Wege, die die Patienten zurücklegen müssen, betont er.
"Der Besuch eines Patienten im Krankenhaus ist einfach eine wichtige Sache im Kontext der Heilung. Die Schwestern haben ja, das ist allgemein bekannt, immer weniger Zeit für die Patienten. So dass also ein Krankenbesuch wichtig ist."
"Dass unsere Gedanken dort wahrgenommen werden, ich glaube, wenn dann die 50.000 erreicht werden, dass man dann vorgeladen wird, dass man dann entsprechend das auch vortragen kann - und das Problem sitzt also ganz oben."
Bislang hat die Petition allerdings erst rund die Hälfte der Unterstützer gefunden, die sie mobilisieren will, um das Problem zu lösen, das die Initiatoren "ganz oben" sehen – also in Berlin. Dort teilt in der Zentrale der Deutschen Krankenhausgesellschaft der Hauptgeschäftsführer Georg Baum die Anliegen der bundesweiten Petition aus der fränkischen Kleinstadt. Man dürfe große Krankenhäuser nicht gegen kleine ausspielen, sagt Baum. Er wünscht sich, dass genauer hingeschaut wird, welche Einrichtung was kann – und was nicht.
"Eine Lungenentzündung, eine Vergiftung, kleine Chirurgie, ein Beinbruch, das alles sind medizinische Leistungen, gerade jetzt auch im Hinblick auf die Demographie - geriatrische medizinische Versorgungsbedarfe, die keiner Spezialisierung bedürfen."
Forderungen, die Zahl der Kliniken in Deutschland drastisch zu senken, wie sie vor kurzem Wissenschaftler in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gestellt haben, gehen nach Ansicht der Krankenhausgesellschaft an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei
"Wenn wir die Auffassung vertreten, dass wir überall Hausärzte für medizinische Basisversorgung brauchen, dann haben wir im stationären Bereich auch einen Grundversorgungsbedarf. Wir brauchen deshalb Finanzierungsbedingungen, die solchen Kliniken das Überleben sichern."
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky, der auch an der kontrovers diskutierten Studie der Bertelsmann-Stiftung beteiligt war, kennt solche Argumente. Doch dahinter stehe einiges an Wunschdenken, glaubt er. Die Medizin habe sich immer weiter fortentwickelt und spezialisiert. Deshalb gebe es für Krankenhäuser, die nur eine Basisversorgung bieten wollen, gar nicht mehr die passenden Ärzte, argumentiert er.
Die Weichenstellungen, dass Krankenhäuser sich stärker spezialisieren und zu größeren Einheiten zusammenschließen sollen, nimmt dabei die Politik vor. Allerdings sorgt das für Deutschland typische förderale Prinzip hier für eine bunte Konkurrenz unter den politischen Entscheidern. Die wichtigsten Gesetze, die die Rahmenbedingungen der Krankenhäuser setzen, werden in Berlin gemacht.

"Nicht jeder Blinddarm muss sofort im Universitätskrankenhaus operiert werden. Aber wenn ich jetzt eine ganz spezielle, schwierige Operation mit einer Krebserkrankung habe, dann ist es sinnvoll, dass ich vielleicht auch 100 Kilometer weit mich vom Spezialisten behandeln lasse. Aber das ist doch sinnvoll, sich das vom Patienten her zu überlegen, von der Krankheit zu überlegen, und nicht von irgendwelchen Zahlen. Jetzt streichen wir mal hier so und so viele Krankenhäuser weg - das halte ich nicht für sinnvoll."
Die CSU-Politikerin hat selbst Medizin studiert. Das Argument, dass erfahrene Spezialisten in größeren Kliniken besonders gute Arbeit leisten, kann sie nachvollziehen. Aber sie verstehe auch die Sorgen von Patienten, die Angst um ihr Heimatkrankenhaus haben, sagt sie. Die Politik müsse deshalb versuchen, beides zusammenzubringen, erklärt Bayerns Gesundheitsministerin.
"Solche Umstrukturierungen wollen wir unterstützen, dass diejenigen auch den Mut haben, sich auf den Weg zu machen. Und das ist das, was wir vorhaben zu fördern, dass wir das eben unterstützen."
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hat gleichzeitig aber auch allgemeine Hilfen für Krankenhäuser zugesagt, die sich um die flächendeckende Versorgung auf dem Land kümmern. Rainer Hoffmann, der von der fränkischen Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber aus eine bundesweite Petition für den Erhalt ländlicher Krankenhäuser gestartet hat, sieht darin ein wichtiges Signal.
"Das ist ein positives Zeichen der Politik für einen bestimmten Standort. Das halte ich schon für sehr bemerkenswert. Denn bisher war das nicht der Fall. Bisher hat man da nach dem Zufallsprinzip die Krankenhauspolitik betrieben."

"Deshalb sagen wir: Das ist Geld, das den Krankenhäusern zuvor weggenommen wurde. Das ist das Unschöne an dem Vorgang. Aber die Grundausrichtung, die ist richtig. In der Höhe natürlich nicht ausreichend, um Krankenhäuser, die Defizite in Millionenhöhe haben, dann wirklich effektiv abzusichern."
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky wünscht sich dabei weniger Emotionen und mehr Rationalität in der Debatte über die Zukunft ländlicher Kliniken. Es gehe nicht darum, sozusagen mit der Motorsäge große Teile der Krankenhauslandschaft zu amputieren. Der Wissenschaftler vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung wünscht sich intelligente, kreative Lösungen.
"Sie schließen eigentlich kein Krankenhaus und lassen dann eine Wüste übrig. Sondern es geht immer bei allen Krankenhaus-Schließungen darum, was ist danach das Alternativkonzept?"
Ein solches Alternativkonzept könnte beispielsweise darin bestehen, dass dort, wo heute ein kleines Krankenhaus steht, sich verschiedene Facharztpraxen ansiedeln, die möglicherweise auch ambulante Operationen anbieten. Ein solches Gesundheitszentrum könnte auch durch eine Art Kurzzeit-Pflege ergänzt werden, in der Patientenbetten verfügbar sind.
"Ich habe dann für ein paar Tage, vielleicht auch nach einem medizinischen Eingriff, der möglicherweise in der Stadt im großen Krankenhaus passiert, aber dann gehe ich zurück in meine Heimat und habe dort noch Kurzzeitpflege. Ganz wichtiges Thema. Und wir sollten solche Angebote viel mehr schaffen, wirklich im Sinne des Patienten, aus einer Hand gedacht, wären das für mich Zukunftsmodelle."
"Ja, Widerstände werden immens sein gegen solche Überlegungen. Aber sie werden zurückgehen, wenn wir merken, dass wir auf dem Land sonst schlechtere Versorgungen haben."
In der nordbayerischen Kleinstadt Hersbruck lässt sich währenddessen besichtigen, was geschieht, wenn eine Klinik dichtmacht, ohne dass es passgenaue Alternativkonzepte gibt – so sieht es zumindest Angelika Pflaum, die mit einer Bürgerinitiative für den Erhalt des 60-Betten-Hauses gekämpft hat. Ärzte würden ihre Praxen oft gerne in der Nähe eines Krankenhauses betreiben, sagt sie – vor allem, wenn sie selbst operieren und in der Klinik sogenannte Belegbetten nutzen können. Und Apotheker wiederum suchten die Nähe von Arztpraxen.
"Also es ist schon schlimmer gekommen, als wir gefürchtet haben. Inzwischen sind fünf Ärzte weg. Und das ist für unsere kleine Stadt furchtbar."
Allerdings setzen die Regeln der Marktwirtschaft die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen auch auf andere Weise unter Druck. Kliniken und Arztpraxen stehen im Wettbewerb mit Konkurrenten in den nächstgelegenen Ballungszentren. Im Gebäude der stillgelegten Klinik in Hersbruck hat jetzt eine orthopädische Arztpraxis ihre Räume. Ein Patient, der von einer Behandlung dort kommt, sieht Widersprüche in den Argumenten mancher Bürger aus der Region.
Auch der Gesundheitsökonom Boris Augurzky, der schon eine ganze Reihe von Klinikschließungen als Berater begleitet hat, hat diese Erfahrung gemacht: In Befragungen könne man feststellen, dass von 100 Anwohnern ländlicher Regionen, die sich für den Erhalt ihres Land-Krankenhauses stark machen, rund 50 im Zweifelsfall in eine andere Klinik gehen, sagt er. Er will diese Widersprüchlichkeit aber nicht verurteilen – man müsse die Psychologie verstehen, die dahintersteht.
"Die haben ja heute die Wahl: Sie können beides machen, in ihr kleines gehen oder in das große, städtische für komplexe Fälle. Jetzt kommt einer und sagt: ich nehme das kleine weg. Dann verschlechtern sie sich. Sie können immer noch in das Große gehen, das ist ja da, und das wäre auch oft zu empfehlen. Aber man hat etwas verloren, was man vorher hatte."
Horst Vogel von der Krankenhaus-Bürgerinitiative in Hersbruck will sich noch nicht damit abfinden, dass seine Stadt etwas verliert, was sie vorher hatte. Wenigstens ein Gesundheitszentrum, idealerweise mit einigen Krankenbetten – das ist das Mindeste, was die Initiative fordert.
"Wir wollen nicht aufhören, weil wir noch etwas erreichen wollen. Irgendetwas muss passieren."
Und um dieses Ziel zu erreichen, fährt er immer wieder von dem Dorf, in dem er wohnt, in die Kleinstadt Hersbruck – wenn es sich ergibt, dann auch mit dem Traktor.