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Patzelt: Steinbrück ist Merkel in vielen Punkten ähnlich

Peer Steinbrück stehe für eine nicht "vor lauter sozialnebulösen Wünschen das Reale vergessen machende Politik", sagt Werner Patzelt. Der Politikwissenschaftler ergänzt, dass der SPD-Kanzlerkandidat auf das Thema soziale Gerechtigkeit setzen sollte, weil es die schwächste Stelle des politischen Gegners sei.

Werner Patzelt im Gespräch mit Gerd Breker | 10.12.2012
    Interview mit Prof. Werner Patzelt, Politikwissenschaftler TU Dresden

    Gerd Breker: Die Grünen haben nach der Wahl von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten die Disziplin der Parteibasis gelobt. Mit dem Ergebnis von 93,5 Prozent hätten die Delegierten auf dem Parteitag in Hannover entschieden, in den Wahlkampfmodus umzuschalten. Die Partei habe gezeigt, dass sie wisse, worum es gehe. So sieht das also der Wunschkoalitionspartner: die Grünen. Die Sozialdemokraten haben sich entschieden, ihren Wahlerfolg in der Mitte zu suchen. Ob das die Herzen der SPD-Mitglieder so erreicht, dass sie voller Enthusiasmus für ihren Kandidaten in den Wahlkampf ziehen, das bleibt abzuwarten, könnte aber wahlentscheidend werden.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.

    Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Angela Merkel oder Peer Steinbrück - hat der Wähler bei der kommenden Bundestagswahl nun eine echte Alternative, oder ist diese Auswahl eher nach dem Motto gehopst wie gesprungen?

    Patzelt: Die Antwortet lautet so, wie die Alternative ausfällt, nämlich jein. Es hat der Wähler insofern eine Alternative, als Peer Steinbrück sich klar zu einer rot-grünen Koalition bekannt hat, und sollte das Wahlergebnis das hergeben, ist die jetzige Regierung unter Angela Merkel abgelöst, sodass in dieser Hinsicht die Frage lautet: Merkel oder Steinbrück.
    Es lautet die Antwort aber nein, weil Steinbrück unter den Spitzenleuten der SPD jener ist, der in vielen Punkten Merkel durchaus ähnlich ist. Auch er steht für eine pragmatische, für eine vernünftige, für eine nicht vor lauter sozialnebulösen Wünschen das Reale vergessen machende Politik. Nur hat er sich nun eher den Linken in seiner Partei gebeugt, um im Einklang mit seiner Partei Wahlkampf führen zu können.

    Breker: Sie haben es gesagt, Herr Patzelt: Die Politikerpersönlichkeiten sind sich recht ähnlich. Die Distanz zu ihren jeweiligen Parteien, die Sie aufgestellt haben, ist bei beiden gegeben.

    Patzelt: Nur ist die Partei jeweils eine andere. Die Sozialdemokratie hat gleichsam eine eigene Seele, die so stark ist, dass diese Seele dem Kandidaten gleichsam aufzwingbar ist, wie es im Fall von Steinbrück am Wochenende zu besichtigen war, und die SPD hat eine so starke Seele, dass sie ihre Kanzler, die sie als Kandidaten einst geliebt hat, wie Helmut Schmidt, wie Gerhard Schröder oder wie Willy Brandt, als Kanzler dann doch verhungern, verdursten und im Amte scheitern lässt. Bei Angela Merkel ist es so, dass inzwischen nicht mehr so recht erkennbar ist, was die Union denn wäre ohne sie und jenseits von ihr, und folglich ist das Verhältnis beider zu ihren Parteien doch sehr unterschiedlich.

    Breker: Peer Steinbrück hat 93,5 Prozent seiner Partei erreicht. Hat er die Herzen erreicht, oder hat er den Verstand der Sozialdemokraten erreicht?

    Patzelt: Er hat mit seiner Hannoveraner Rede wesentlich mehr auf die Herzen gezielt und er hat die Herzen insbesondere mit den Anfangspassagen seiner Rede durchaus erreicht. Und ansonsten sagt ja den Sozialdemokraten der Verstand, dass sie ein besseres Pferd als Steinbrück nicht im Stall haben und dass sie keinen Nutzen davon haben, das Pferd jetzt zu einem lahmen Gaul werden zu lassen.

    Breker: Gibt es da nicht auch eine Parallele zu Angela Merkel? Wird Angela Merkel von ihrer Partei, von der Union geliebt?

    Patzelt: Geliebt wird sie wohl nicht, aber respektiert, und sie wird respektiert im Wesentlichen deswegen, weil eine sehr große Mehrheit der Deutschen sie respektiert. Da zweifelt dann mancher CDUler daran, ob die Deutschen wirklich eine CDU-Parteivorsitzende schätzen, oder nur eine Kanzlerin, die auch einer sonstigen Partei wo möglich vorstehen könnte. Aber sie finden sich mehr als nur zähneknirschend, sondern durchaus innerlich offen damit ab, dass das jetzt eben eine Parteivorsitzende für die CDU untypischer Art ist, die man so lange unterstützt wie sie Erfolg hat, und solange ihre Umfragewerte nicht einbrechen, wird sie im Reinen mit ihrer Partei sein.

    Breker: Kommen wir zurück zu den Sozialdemokraten. Inwieweit ist eigentlich so ein Technokrat wie Peer Steinbrück in der Lage, für soziale Gerechtigkeit, was ja ein großes Thema sein soll, wirklich als Aushängeschild zu stehen?

    Patzelt: Das ist die Frage, die der Wahlkampf beantworten wird. Einesteils liegt es ja auf der Hand, dass die Sozialdemokraten die Gerechtigkeit, zumal die soziale Gerechtigkeit zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfes machen, weil an dieser Stelle die Union trotz aller Sozialdemokratisierung programmatisch noch wirklich nicht gut aufgestellt ist. Andernteils ist Steinbrück derjenige, dem dieses Thema am allerwenigsten zuzutrauen ist. Heulsusen nannte er vor noch nicht allzu langer Zeit jene, denen die Sozialpolitik nicht nur auf dem Herzen, sondern auch im Munde lag, und nun hat er selbst in deren Chor eingestimmt. Die Argumente, die er für die Betonung sozialer Gerechtigkeit als eines zentralen Politikinhaltes anführt, die sind durchaus beachtlich. Und dass man sein soziales Herz mit klarem Verstand verbinden muss, um wirklich etwas zu erreichen für den Zusammenhalt der Gesellschaft, ist auch wahr. Aber noch wissen wir nicht, ob er eher Kreide gefressen und fremde Töne nachgesungen hat, oder ob das, was er in Hannover sagte, ihn auch über die deutschen Marktplätze tragen wird.

    Breker: Herr Patzelt, wir haben ja in den letzten Wahlen erleben können, dass es immer bedeutsamer wird, überhaupt das eigene Lager zu mobilisieren, die Parteimitglieder der eigenen Partei dazu zu bringen, auf die Straße zu gehen, Wahlkampf zu betreiben und dann am Ende auch den entsprechenden Kandidaten zu wählen. Wie sieht das in Bezug auf die Mobilisierung des eigenen Lagers im Moment bei SPD und Union aus?

    Patzelt: Für die Mobilisierung des SPD-Lagers ist es sehr vorteilhaft und geradezu alternativlos, um die Kanzlerin zu zitieren, auf das Thema soziale Gerechtigkeit zu setzen, denn dass es in der deutschen Gesellschaft soziale Spreizungserscheinungen gibt und auch Ungerechtigkeiten, das ist offenkundig. Und dass die CDU das Thema Gerechtigkeit immer nur mit spitzen Fingern anfasst, weil sie Angst hat, dass alles Argumentieren in Sachen soziale Gerechtigkeit oder gerechter Ordnung nur Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie lenkt, das ist auch klar. Also trifft die SPD hier ihre besten Mobilisierungsklaviatur und zugleich die schwächste Stelle des politischen Gegners.

    Was die Union betrifft, wird sie viel Mobilisierung dadurch erreichen, dass sie den Leuten immer wieder sagt, ihr selbst traut Angela Merkel zu, die in dieser schwierigen Zeit für uns beste Kanzlerin zu sein, wenn ihr das wirklich glaubt, dann müsst ihr die Voraussetzungen schaffen, die Alternative ist Rot-Grün und wie Rot-Grün das letzte Mal geendet hat, nämlich in der Erosion der eigenen Basis, nachdem endlich vernünftige Politik gemacht worden ist mit der Agenda 2010, das habt ihr gesehen, wenn ihr das nicht wieder wollt, dann bleibt bei der bewährten Kanzlerin. Das kann mobilisieren, würde freilich noch mehr mobilisieren, wenn die Union dem Gerechtigkeitsthema auch etwas Eigenes gegenüberzustellen hätte.

    Breker: Herr Patzelt, Sie haben es schon angesprochen: Beide Seiten versuchen den Lagerwahlkampf. Die einen stehen für Schwarz-Gelb, die anderen für Rot-Grün. Macht das überhaupt Sinn? Glaubt der Wähler das, braucht der Wähler diese klare Alternative?

    Patzelt: Das ist ein wichtiger Punkt, denn mir will scheinen, dass der Wähler längst zu unterscheiden gelernt hat zwischen dem, was die politischen Parteien behaupten, und dem, worauf sie sich wirklich einstellen. Die meisten Deutschen scheinen davon überzeugt zu sein, wenn es nicht für Schwarz-Gelb reichte, dann würde es dann doch auf eine Große Koalition hinauslaufen, falls eben Rot und Grün nicht gemeinsam eine Mehrheit hätte, sodass ein jeder, auch der, der der Sozialdemokratie positiv gegenübersteht, im Grunde Angela Merkel wählen kann, in der Hoffnung, dass die FDP ohnehin nicht ins Parlament kommt. Kurzum: Das eine ist die parteitaktische Mobilisierung, das andere ist das, was die Wähler tatsächlich erwarten, und so viel parteitaktische Polarisierung ist auch nicht gut. Wenn man etwa auf die Grünen blickt, ist ihre klare Absage an Schwarz-Grün lediglich aus der Binnenperspektive der Partei heraus verständlich, ja vielleicht sogar vernünftig. Gesehen von der Notwendigkeit aller Parteien, zusammenzuwirken, ist das natürlich ein fataler Zug.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Werner Patzelt, er ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.