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Paul Celan
Das Gedicht als ein Gegenwort definiert

Auf keinen deutschsprachigen Autor scheint die Bezeichnung Dichter so sehr zuzutreffen wie auf den aus Siebenbürgen in Rumänien stammenden jüdischen Schriftsteller Paul Celan. Was er an Gedichten hinterließ, stellt bis heute eine Herausforderung an Leser, Interpreten und nicht zuletzt Herausgeber und Verlage dar. Das zeigt auch der 15. Band der Bonner historisch-kritischen Ausgabe. Er umfasst keine Gedichte, sondern Prosa und Reden Celans- also Kostbarkeiten ersten Ranges.

Von Werner Köhne | 21.05.2015
    Paul Celan, deutschsprachiger Lyriker rumänischer Herkunft, geboren am 23.11.1920 in Tschernowzy, gestorben am 20.4.1970 in Paris. Celan zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern.
    Der Lyriker Paul Celan. (picture alliance / dpa)
    Ein Lyriker, der auch heute noch im Rufe steht, sein dichterisches Schaffen "am Rande des Verstummens" entlang entwickelt zu haben, dürfte gerade eingefleischten Germanisten ein Objekt ihrer Forscher-Neugier werden. Es gibt um Paul Celan herum seit mehr als sechzig Jahren ein Ringen um das echte Verständnis seines vornehmlich lyrischen Werks - was für die einen bedeutet, sich in halsbrecherische Interpretationen seiner Gedichte zu stürzen und für die anderen, sich ängstlich genau an Wort, Buchstabe und Daten zu halten, um alle Spekulationen um die dümmste aller Fragen: Was will der Dichter uns damit sagen? tunlichst zu vermeiden.
    Paul Celan stand beiden Gemeinden skeptisch gegenüber, nachdem er als junger Mann schon 1952 in Niendorf bei der Gruppe 47 kaum mehr als spöttisches Gelächter geerntet hatte, als er mit einer fast feminin aufgehellten und sehr akzentuierten Stimme einem damals noch von der Lakonie eines Hemmingway betrunkenen Auditorium seine ersten Gedichte vortrug. Nach Meinung von Walter Jens stellte dieses kollektiv inszenierte Mobbing gegen Celan damals in Niendorf das größte Versagen der Gruppe 47 im Laufe von deren Geschichte überhaupt dar. Dass ausgerechnet Paul Celan dann mit seiner Todesfuge zu einem wahren Säulenheiligen vieler Abiturfeiern in Westdeutschland mutierte - jaja die schwarze Milch des Mittags usf - erschütterte ihn dann noch mehr als die vorher erfahrene mangelnde Wertschätzung. Als deutsch eingemeindeter Opferjude mit schönen rhythmischen Sprachbildern wollte er nun schon gar nicht gelten. Am ehesten wohl wird man ihm und seiner Lyrik gerecht, wenn man aus einem seiner Gedichte aus dem Lyrikband "Atemwende" zitiert:
    Ein Dröhnen;
    es ist die Wahrheit selbst
    unter die Menschen getreten/
    mitten ins Metapherngestöber.
    Das Metapherngestöber um ihn selbst ist auch heute noch nicht zur Ruhe gekommen. Der Reiz, Paul Celan, diesen Überlebenden des Holocaust, der dann doch nicht überlebte und sich 1970 in der Seine den eigenen Tod gab, auf die Spur zu kommen und ihn für die Nachwelt zu erhalten, hat gerade den Suhrkamp-Verlag immer wieder dazu angetrieben, seine Werke der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen – und dies zuletzt in Form von zwei Gesamtwerkausgaben, der Tübinger Edition, betreut von Jürgen Wertheimer, die das Prinzip Lesefreundlichkeit über den Anspruch auf Vollständigkeit stellt, und der Bonner Kritisch Historischen Edition, letztere unter der Leitung des renommierten Germanisten Beda Allemann schon 1990 mit dem Band 1 "Die Atemwende" begonnen und nun unter der Leitung von Axel Gehlhaus und seinem Team fortgesetzt. Letztere Ausgabe hat sich vor allem ein Ziel gesetzt: Zeugnis abzulegen von diesem vielleicht größten deutschsprachigen Lyriker nach dem Krieg und dazu Zeugnisse aufzufinden und zu dokumentieren, die den generativen Prozess seines Schreiben nachbilden.
    Das gilt für die ersten 14 Bände, in denen alle Gedichte von Celan aufgeführt sind - das gilt aber vielleicht mehr noch für den nun vorgelegten Band 15, in dem Celans Prosa und seine berühmten Reden veröffentlicht werden. Wie zuvor schon ist auch hier einem Textteil ein Apparatband zugefügt, in dem das Entstehen von Literatur bis in die Interpunktion hinein zu verfolgen ist.
    Neben der durchaus bemerkenswerten Rede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises rückt Paul Celans Büchnerpreisrede aus dem Jahre 1960 ins Zentrum des Bandes; diese Rede gilt inzwischen als eine der bedeutsamsten poetologischen Zeugnisse des zwanzigsten Jahrhunderts - selbst über nationale Grenzen hinweg.
    In dieser Rede entwirft Celan eine Poetik, die es wahrlich in sich hat, auch heute noch – und vielleicht gerade heute wieder. In tiefer Verbundenheit mit Georg Büchners Werk und in unmittelbarer Auseinandersetzung mit Lyrikauffassungen von Gottfried Benn und Stephane Mallarme' wird darin das Gedicht als ein Gegenwort definiert, zudem als eine Topografie, die der historischen Daten des Schreckens – und das heißt hier des Holocaust - eingedenk ist.
    "Es ist das Gegenwort, es ist das Wort, das den 'Draht' zerreißt, das Wort, das sich nicht mehr vor den Eckstehern und Paradegäulen der Geschichte bückt, es ist ein Akt der Freiheit. Es ist ein Schritt."
    Weniger war ihm mehr
    Absolut im Sinne Mallarme's ist das Gedicht nach Meinung Celans nicht; ebenso wenig aber auch an eine beredte Prosa anknüpfend. Als Gegenentwurf zum Schrecken der Geschichte und zur autonom sich erhebenden Kunst wirkt es fragil und wandelt auf schmalem Grad.
    "Das Gedicht behauptet sich am Rande seiner selbst; es ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Immer-noch zurück.
    Dieses Immer-noch kann doch wohl nur ein Sprechen sein, also nicht Sprache schlechthin.. sondern aktualisierte Sprache..
    Dieses Immer noch des Gedichts kann ja wohl nur in dem Gedicht dessen zu finden sein, der nicht vergisst, dass er unter dem Neigungswinkel seines Daseins, dem Neigungswinkel seiner Kreatürlichkeit spricht."
    Bezeichnend für Celan ist schließlich die Konzentration auf das Wesentliche bei der Endfassung der Texte, dem häufig zahlreiche Textzeugen vorausgehen. Im Apparat etwa entwickelt er den zentralen Gedanken vom "Neigungswinkel des Daseins" noch mithilfe von Zusätzen wie "Geburt" und "Sterblichkeit" oder dem Hinweis auf die "Individuation". Diese Zusätze entfallen später. - Daraus ließe sich zweierlei folgern: Paul Celan möchte sich nicht in den Sumpf einer von ideologischen Altlasten beschwerten Metaphorik ziehen lassen oder in den Dunstkreis existenzialistischer Deutung geraten. Weniger war ihm da mehr.
    Genau dieses Spiel mit bewussten Enttäuschungen üblicher Erwartungen betreibt er auch dann, wenn er wie in Band 15 auf Anfragen von Herausgebern von Anthologien reagiert oder in einem Brief von Schülern aufgefordert wird, zu erläutern, was er mit den Gedichten denn eigentlich sagen wolle. Celan reagiert darauf bissig, ironisch, sarkastisch - dahinter vermutet man zu Recht eine Einsicht, in der ihm allerdings die wenigsten Interpreten wirklich folgten: Ich sage das, was ich sage, dahinter gibt es nichts. Mein Gedicht ist das, was der Fall ist. Vielleicht bildet das zuletzt die größte Herausforderung seiner Lyrik, die sich so auch radikal von der Prosa absetzt. Auf ihrem Höhepunkt ist Poesie ganz äußerlich, betonte einst Goethe. Es hat den Eindruck, dass wir, die wir von Romanen besoffen sind, genau dies vergessen haben.
    Paul Celan: "Werke - Historisch-kritische Ausgabe", Band 15, Prosa I
    Vorbereitet von Axel Gellhaus, Herausgegeben von Andreas Lohr und Heino Schmull in Verbindung mit Rolf Bücher, Suhrkamp, 2014, 270 Seiten, 89 Euro