
Für jemanden, der 1908 - als 18-Jähriger - dem "Camera Club of New York" beitrat und dort zunächst mit Gummidrucken und Weichzeichner-Objektiven experimentierte, ist Paul Strand ziemlich weit gekommen. Nathaniel Paul Stransky, der seinen Namen später in Strand änderte, stammte aus armen Verhältnissen, hatte aber bald begriffen, dass die Fotografie seine Chance war, die Welt zu erkunden. Nach einer Europareise arbeitete er bald kommerziell; und die allererste Ausstellung europäischer Avantgardisten in New York 1913, die sogenannte "Armory Show", machte ihm klar, dass er die piktorialistische, atmosphärische Fotografie hinter sich lassen musste.
Besonders Picasso und die Kubisten haben ihn beeinflusst. Zu Beginn der Ausstellung sehen wir, wie Strand abstrakte Prinzipien zunächst auf die Sachfotografie überträgt: Stillleben wie Tassen, Krüge, Früchte werden als geometrische Muster und Schattenspiele begriffen. Wenig später wird diese Sichtweise auch auf die Stadtfotografie übertragen: Straßen, Häfen, Eisenbahngleise, Telegrafenmasten werden als Konstrukte gesehen, als Linien und Flächen. Besonders das Foto der Wall Street von 1915, kleine huschende Menschen vor der leicht diagonal das Bild schneidenden Börse, veranschaulicht diese Arbeitsweise.
Neuausrichtung im Ausland
Für manche ist das schon der Höhepunkt des Werks - Duncan Forbes vom Fotomuseum Winterthur sieht das anders: "Viele Fotohistoriker sehen das Frühwerk als das Entscheidende und sagen, 1916 hat er seine besten Arbeiten gemacht. Aber ich denke, diese Ausstellung lenkt unseren Blick in eine andere Richtung. Wichtig ist die Beziehung zwischen seiner Fotografie und seinen Filmen, wir zeigen hier drei Filme..."
In der Tat ist gerade der erste kurze Film (über Manhattan), den Strand 1921 zusammen mit Charles Sheeler gedreht hat, eine beeindruckende Vorwegnahme von Walter Ruttmanns "Symphonie der Großstadt". Strand zeigt, fasziniert von der gigantomanen Industrialisierung, Häusertürme, fauchende Lokomotiven, manövrierende Fähren, Menschenmassen. Alles mit diesem Blick von hoch oben, der dieser Maschinenwelt etwas Erhabenes und fast Religiöses verleiht.
Dann der Bruch, auch in der Ausstellung: Strand geht nach Colorado und Mexiko und fotografiert in absoluter Nahsicht Farne, Baumstümpfe, Felsen und Treibholz - kleine meditative, abstrakte Wunderwerke. In Mexiko entdeckt er in den 1930iger-Jahren auch die Volksfrömmigkeit und die herbe Schönheit der Armut: verlassene, heruntergekommene Häuser, die verbrauchten Gesichter der Arbeiter und ihrer Frauen. Strand parallelisiert das mit Fotografien von Marienfiguren und dem Gekreuzigten in ländlichen Kirchen.
Politische Haltung
Zwei Filme aus den 1930iger- und 40iger-Jahren machen dann Strands politische Haltung klar: Besonders jene Sequenz, in der die ausgebeuteten Fischer triumphal die Netze einholen und ihre Beute feiern, ist ein beeindruckendes Zeugnis sozialistisch inspirierter Kunst. Im Amerika der McCarthy-Ära ist der linksorientierte Strand natürlich unbeliebt; er geht auf Reisen, erkundet die Einsamkeit von den äußeren Hebriden bis Ägypten und Marokko und emigriert schließlich nach Frankreich.
"Der andere Aspekt, den wir hier betonen, ist das Spätwerk, vor allem die drei Buchprojekte, die er gemacht hat. Die Ausstellung konzentriert sich auf Projekte in Amerika, Italien und Ghana - und ich bin froh, dass wir diese späten Ghana-Fotos hier zeigen können. Die hat man jahrelang gar nicht beachtet."
Im postfaschistischen Italien dokumentierte Strand im Stil des Neorealismus den Alltag der Bauern; die Bilder aus Ghana zeigen die postkoloniale Industrialisierung der 1960iger-Jahre, vor allem aber geben Strands Porträts den Menschen ihre Würde zurück. Als alter Mann lebte Strand in seinem Garten bei Paris und fotografierte Krokusse, Lilien und Trauerweiden - ein begnadeter Formalist, der sich als Kämpfer für die Unterdrückten sah. Lyndon B. Johnson hatte ihn 1965 zum Essen ins Weiße Haus geladen - Strand lehnte ab: Er sei gegen den Vietnamkrieg.