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Paulus van Husen, ein vergessener Widerständler
Katholik contra Nazis

Auf 1.000 Seiten hat der Jurist Paulus van Husen seine Erinnerungen festgehalten. Sie reichen vom Kaiserreich bis zur Nachkriegszeit. Eine Auswahl ist jetzt als Buch erschienen. Ein vergessener katholischer Mann des Widerstands gegen das NS-Regime wird entdeckt.

Von Marie Wildermann | 21.03.2019
Paulus van Husen
Paulus van Husen, vermutlich in den 1930er-Jahren während der Zeit als Richter am preußischen Oberverwaltungsgericht in Berlin (Manfred Lütz)
Paulus van Husen repräsentiert mit seinem Leben die deutsche Geschichte des´20. Jahrhunderts auf außergewöhnliche Weise. 1891 geboren, in einem tief religiösen Elternhaus in Münster aufgewachsen, bleibt van Husen Zeit seines Lebens christlichen Werten verpflichtet. Nach Jurastudium und Wehrdienst im Ersten Weltkrieg arbeitet er in den 20er-Jahren zunächst als Jurist im Staatsdienst in Schlesien.
Ab 1934 ist er Richter am Oberverwaltungsgericht in Berlin und nutzt den juristischen Spielraum seines Amtes, etwa um bedrängten Juden zu helfen, die unter den von den Nazis eingeführten so genannten Judensteuern leiden. Oder er versucht, klösterliche und kirchliche Einrichtungen zu retten, die die Nazis beschlagnahmen wollen. Dies bezeichnet van Husen in seinen Memoiren als "Schändung des Rechts".
Der Historiker Michael Stürmer über den stillen Widerstand des Juristen Paulus van Husen: "Man muss dann auch die Einsamkeit aushalten, ganz alleine zu sein. In einem totalitären Regime, wo die Gestapo allgegenwärtig ist, in jedem Telefon lauert, erfordert das noch eine sehr viel stärkere Eigenwilligkeit, Eigenständigkeit."
Menschlich bleiben in einer unmenschlichen Zeit
Die Grundlage dieser Eigenständigkeit ist van Husens katholischer Glaube, der die götzenhafte Verehrung Hitlers ablehnt. Sein Motto: Menschlich bleiben in einer unmenschlichen Zeit, unter einer Regierung, die sich über Recht und Gesetz hinwegsetzt und gegen elementare christliche Werte verstößt. Innerlich geht van Husen immer weiter auf Distanz, bleibt aber Teil des Machtapparates. Die Nazis misstrauen ihm zunehmend. Um seine Verwandten nicht zu gefährden, muss van Husen diplomatisch und umsichtig taktieren. Zwei seiner Schwestern leben bei ihm, eine von ihnen verwitwet mit sechs Kindern.
Prof. Dr. Michael Stürmer, Historiker und Journalist bei der Buchvorstellung: Manfred Lütz und Paulus van Husen: Als der Wagen nicht kam - Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand
Der Historiker und Journalist Michael Stürmer (imago / Reiner Zensen)
Im Zweiten Weltkrieg wird van Husen Jurist beim Oberkommando der Wehrmacht. Das Büro befindet sich in der Berliner Bendlerstraße, dem späteren Zentrum der Widerstandsgruppe um Stauffenberg. Im aktiven Widerstand ist van Husen nicht, aber er gehört zum Kreisauer Kreis, einer bürgerlichen Widerstandsgruppe, die Pläne entwickelte, wie eine politisch-gesellschaftliche Neuordnung aussehen könnte - nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur.
Pläne für die Zeit nach Hitler
Werfen die Memoiren des Paulus van Husen ein neues Licht auf den deutschen Widerstand? Die Enkelin von Stauffenberg, Sophie von Bechtolsheim verneint das:
"Es gibt wahrscheinlich noch viele andere, deren Namen wir nicht kennen, die auch alles riskiert haben. Also insofern bewerte ich das jetzt nicht neu, aber es ist eine unfassbar wertvolle Quelle, weil es immer gut ist, wenn jemand aus der ersten Reihe die Protagonisten, die den Krieg nicht überlebt haben, persönlich kannte, sich an Gespräche erinnern und mit ihnen ja auch an der gleichen Sache dran waren."
Paulus van Husen hat Stauffenberg einige Male getroffen, aber dessen konkrete Attentats-Pläne kennt er nicht. Die Widerständler des Kreisauer Kreises diskutieren vor allem die Zukunft. Auch der Tyrannenmord wird immer wieder zum Thema, schreibt van Husen, doch im Kreisauer Kreis wissen sie, dass ihnen die logistischen und militärischen Möglichkeiten fehlen.
Debatte um die Rolle Stauffenbergs
"Hitler wurde sehr gut bewacht, ganz wenige Leute hatten Zugang, da konnte man nicht einfach hingehen und die Pistole leerfeuern. Stauffenberg ist die Schlüsselfigur schlechthin, er hat eine Million Mann, denen er notfalls Befehle erteilen kann, die er zu organisieren hat. Wenn Sie eine Truppe haben wollen, egal ob zum Kämpfen oder um den geliebten Führer umzubringen und anschließend Bürgerkrieg mit der SS zu führen – da ist die Rolle Stauffenbergs", sagt der Historiker Michael Stürmer.
Fotos der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 - rechts ein Porträt von Claus Schenk Graf von Stauffenberg
Fotos der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 - rechts ein Porträt von Claus Schenk Graf von Stauffenberg (picture alliance /dpa /Wolfgang Kumm)
Die Rolle Stauffenbergs ist zuletzt von Thomas Karlauf kritisch hinterfragt worden. Sein Buch "Stauffenberg - Porträt eines Attentäters" wird in den Feuilletons breit diskutiert. Die einen kritisieren scharf das "unabsichtlich Tendenziöse" der Biografie, bei anderen ist von einer "kritischen Auseinandersetzung" die Rede. Karlaufs Distanziertheit, sein Verzicht auf weltanschauliche Perspektiven und seine historisierende Gelassenheit werden gelobt. Stauffenbergs Motive seien demnach rein militärisch und machtpolitisch gewesen - und eben nicht moralisch. Dem widerspricht die Enkelin. Stauffenberg, van Husen, die Mitglieder des Kreisauer Kreises – alle werden sie von ihrem Gewissen geleitet, sagt Stauffenbergs Enkelin Sophie von Bechtolsheim. Ein Gewissen, das an christlichen Idealen ausgerichtet sei.
Christlicher Glaube als Richtschnur
"Das ist etwas, was in dieser ganzen Diskussion immer viel zu wenig wahrgenommen wird. Die waren sich ihrer eigenen Verantwortung – und zwar bis hin zum Gefühl der Schuld – sicher durchaus bewusst, gerade, weil sie ja aus einem Umfeld stammten, was die Geschicke eines Landes mitgestaltete und sich auch in dieser Rolle gesehen haben, wahrzunehmen, dass es zu dieser Verwahrlosung gekommen ist, und dass man es nicht früh genug, wo man es noch hätte verhindern können, dass man’s nicht verhindert hat. Also von Helden-Epos kann überhaupt gar keine Rede sein, sondern, ich glaube, dass die Entwicklung zum 20. Juli auch eine Geschichte ist, die eigene Verantwortung zu erkennen, aber daraus auch die Schlüsse zu ziehen. Das hat was mit Gewissensentwicklung zu tun. Das ist ein total aktuelles Thema."
Sophie Freifrau von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg bei der Buchvorstellung von Manfred Luetz und Paulus van Husen: Als der Wagen nicht kam. Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand
Sophie Freifrau von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg (imago / Reiner Zensen)
Der neuen Stauffenberg-Biografie von Thomas Karlauf kann Sophie von Bechtolsheim auch deshalb wenig abgewinnen, weil sie die Motive des Attentäters zu sehr aus dem Geist des Dichters Stefan Georges zu erklären versuche.
"Das reicht nicht aus, um eine so existentielle Entscheidung zu treffen, auch mit diesen existentiellen Konsequenzen. Der christliche Glaube, das war meinem Großvater wichtig, dass das auch in der Familie bleibt, und an die Familie weitergegeben wird. Meine Großmutter war evangelisch, aber sie haben sich auch untereinander besprochen, in welcher Konfession die Kinder erzogen werden sollen, das war ihnen wichtig, sie haben ja gewusst, dass sie unter Todesgefahr stehen."
Wichtige Stimme für die Nachkriegsordnung
Nach dem missglückten Attentat werden nicht nur die Verschwörer hingerichtet, sondern auch das gesamte Umfeld verhaftet, so auch der Kreisauer Kreis. Paulus van Husen wird erst Monate später inhaftiert. Er überlebt Gefängnis und sogenanntes Konzentrationslager und wird eine wichtige Stimme für die Nachkriegsordnung.
Van Husens Erinnerungen sind nicht nur zeitgeschichtlich und literarisch ausgesprochen interessant, sie sind auch ein faszinierendes Zeugnis des Widerstandes gegen das NS-Regime aus dem Geist des Katholizismus. Nach dem Krieg, als Paulus van Husen das moralische Recht auf seiner Seite hat, hätte er sich an seinen Widersachern rächen können. Er hat es nicht getan. Stattdessen richtet er seine Energie auf den politischen Neuanfang. Van Husen wird Mitbegründer der CDU. Und die sei, schreibt er in den 60er-Jahren, "ohne die geistige Vorarbeit und die praktischen Kontakte durch den Kreisauer Kreis" nicht möglich gewesen.
Paulus van Husen / Manfred Lütz: Als der Wagen nicht kam. Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand. 1. Auflage 2019. Gebunden 25€, E-Book 19,99€.