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Pawel Machcewicz
"Der umkämpfte Krieg"

In Polen ist die Deutungshoheit über den Zweiten Weltkrieg ein hochpolitisches Thema. Nach einer liberaleren Phase hat sich der Streit unter der konservativen PiS-Regierung wieder verschärft. Exemplarisch dafür steht das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, dessen Geschichte der ehemalige Direktor Pawel Machcewicz erzählt.

Von Sabine Adler | 27.08.2018
    Professor Pawel Machcewicz im April 2017 - damals Museumsdirektor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig.
    Pawel Machcewicz im April 2017 vor dem Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. (picture alliance/Michal Fludra)
    Die Idee, ein ganzes Museum dem Zweiten Weltkrieg zu widmen, kam von dem Falschen: Zumindest in den Augen Jaroslaw Kaczynskis. Der Chef der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit - PiS - gilt als außerordentlich geschichtsinteressiert, doch nicht er hatte den Einfall, sondern der Historiker Pawel Machcewicz. Und wie es sich mitunter mit guten Ideen so verhält: Man gönnt sie dem Urheber nicht, hauptsächlich, weil man sie selbst gern gehabt hätte.
    Für Machcewiczs Einfall begeisterte sich sofort der damalige Regierungschef Donald Tusk, der Erzfeind Kaczynskis. Unter Donald Tusk hatte der deutsch-polnische Streit über die Vertreibungen deutlich an Schärfe verloren, über die polnische Geschichte wurde ohne Vorgaben diskutiert. Den Nationalkonservativen kam nun das geplante Museum wie gerufen, um dies wieder zu ändern. Erst recht, als bekannt wurde, welche Ausrichtung das Museum unter einem Direktor Machcewicz bekommen sollte.
    "Es wäre am besten […], in Polen ein Museum des Zweiten Weltkriegs zu schaffen, das Europa und der Welt sämtliche Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges zeigen würde, mit besonderer Berücksichtigung des Schicksals von Polen und anderen Ländern Ostmitteleuropas, die im Westteil des Kontinents und in den Vereinigten Staaten insgesamt wenig bekannt sind. […] Das Museum sollte sich nicht nur an Polen und Deutsche richten, sondern an alle Europäer […] Es sollte versuchen, die historischen Erfahrungen des 'alten' Europas zu erweitern, das jahrzehntelang am Eisernen Vorhang geendet hat."
    Im Mittelpunkt soll das Schicksal der Zivilisten stehen, der Weg in den Krieg, seine Auswirkungen bis heute. Keinesfalls aber nur die Chronologie der Kampfhandlungen. Mit diesem Aufschlag beginnt ein jahrelanger Streit, den der Autor detailliert und packend erzählt. Er greift auf Auszüge aus seinen öffentlichen Debattenbeiträgen zurück, die klar und pointiert seinen Standpunkt verdeutlichen. Von Anfang an hat er betont, dass das Museum die Aufmerksamkeit auch auf das Schicksal der Polen lenken werde, das im Westen kaum bekannt ist. Er und der internationale Programmbeirat stellen das Konzept zur Diskussion. Fortan werden sie angefeindet.
    Nach dem Machtwechsel wurde das Narrativ verändert
    Es war dieser weit aufgezogene Fokus auf Europa, der die PiS-Gemüter erregte. Und in ihrem Kampf gegen das Konzept ereiferten sie sich derart, dass sie den Museumsmachern Kosmopolismus unterstellten, ein Kampfbegriff, den Stalin gegen Dissidenten und jüdische Mitbürger verwendete. Pawel Machcewiz und sein Team wurden diffamiert, den Interessen Brüssels und Berlins zu dienen und Verrat zu üben. Nach dem Machtwechsel griffen die Kaczynski-Getreuen ein. Zwei Wochen nach der Eröffnung im April 2017 wurde das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs formell aufgelöst und ein neues Museum gegründet mit demselben Namen, aber anderen Angestellten, die nun die Kernaussagen der Ausstellung verändern sollen. Der angeblich versteckte Pazifismus war das erste, was die neue Museumsleitung korrigierte.
    "Bislang gibt es nur wenige Änderungen, 99 Prozent der Ausstellung sind unverändert, aber das entscheidende ist, dass das Narrativ verändert wurde. Man hat den vier Minuten langen Film, mit dem der Besucher am Ende aus der Ausstellung entlassen wird, geändert. Der Bogen reichte von 1945 bis ins heute, zeigt den Krieg in der Ukraine und in Syrien, die Flüchtlinge und sollte sagen: Krieg ist immer eine Tragödie, Gewalt und Leid halten bis heute an. Die Rechten wandelten die Aussage ab: Krieg ist eine Tragödie, aber die Polen sollen die Waffen in die Hand nehmen und Polen verteidigen."
    Der Geschichtswissenschaftler, dessen Jahr als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg gerade endete, schreibt engagiert, aber sachlich, weit entfernt von der Polemik, der er und seine Mitstreiter während der zehnjährigen Auseinandersetzung um das Danziger Kriegsmuseum ausgesetzt waren.
    Die Kultur eines veränderten Landes
    Dass sein Buch "Der umkämpfte Krieg" weit mehr ist als die Geschichte eines Museums, das in vier Jahren gebaut wurde und die größte Kulturinvestition Polens darstellte, war zu erwarten. Wer es liest, versteht das Ausmaß des aktuellen Wandels in Polen, bei dem unseren Nachbarn ihre legendäre Freiheitsliebe ebenso abhanden zu kommen scheint wie Pluralismus und Liberalismus. Bereits im Parlamentswahlkampf 2015 hatte Kaczynski den Austausch der Eliten angekündigt, der Museumsdirektor Machcewicz gehörte zu den ersten Opfern. Dennoch hält sich der Geschasste zurück, Parallelen mit der kommunistischen Diktatur zu ziehen.
    "Ich wäre vorsichtig mit einem solchen Vergleich, denn in Polen gibt es Meinungsfreiheit und Oppositionsparteien, aber ohne jeden Zweifel ist die Politik der jetzigen Regierung autoritär. Seit 1989 hat keine Regierung ihre einzig gültige Sicht auf die Geschichte vorgegeben. Und paradoxerweise erklärte der Kulturminister ganz offen bei einer Parlamentssitzung im Sejm, dass die Regierung, die in einer demokratischen Wahl gewonnen hat, auch das Mandat besitzt, alle Ausstellungen in den Geschichtsmuseen Polens zu ändern. Das erinnert natürlich an die Zeiten, als es im Zentralkomitee der kommunistischen Partei eine Kulturabteilung gab. Ich habe diese Zeiten als Historiker erforscht und paradoxerweise konnte in den 1970er Jahren selbst Andrzej Wajda seinen Film 'Der Mann aus Marmor' drehen. Heute dagegen lässt es der Minister nicht zu, dass jemand ein Museum leitet oder eine Ausstellung macht, die nicht die gleiche Sicht auf die Geschichte vermittelt, wie die Partei Recht und Gerechtigkeit sie hat."
    Die beiden sich feindlich gegenüberstehenden Lager in Polen ringen nicht nur um Macht in den Institutionen, sondern auch um die Sicht auf die Geschichte. Wenn der Autor die Herkunft zahlreicher außergewöhnlicher Exponate nachzeichnet, sind das mehr als nur spannende Episoden. Oft genug werden darin die anhaltenden Kämpfe um die Deutungshoheit wichtiger Geschichtsmomente klar. Zum Beispiel das Massaker von Jedwabne, ein Pogrom, das von Polen mit Billigung der deutschen Besatzer an mindestens 340 Juden verübt wurde, das aber immer noch von etlichen Landsleuten geleugnet wird.
    Der europäische Gedanke bleibt
    Der ehemalige Museumsdirektor hatte jedoch nicht nur starke Feinde, er hatte auch mächtige Verbündete. Einer der wichtigsten war und ist der Danziger Stadtpräsident Pawel Adamowicz, der dem Museum das Grundstück kostenlos überließ, aber nur solange es seinen Namen behält. Privatpersonen, die dem Haus unzählige Leihgaben vermacht haben, drohen, sie zurückzufordern, sollte der Charakter der Ausstellung geändert werden. Ihnen liegt nicht an der nationalen Einzigartigkeit des polnischen Kriegsleids, sie möchten es vielmehr eingebettet wissen in den europäischen Kontext.
    "Die Diskussion um das Museum war nicht nur eine Auseinandersetzung über die Interpretation der Geschichte, sondern auch über die Beziehung Polens zu seinen Nachbarn, über seinen Platz in Europa sowie insgesamt über die Ausgestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Im heftigen Angriff der national-konservativen Kräfte auf […] das Weltkriegsmuseum lassen sich die Reaktionen von 'Euroskeptikern' erkennen, die die polnische Eigenständigkeit, die besondere 'Eigenart' verteidigen wollen. Deshalb sehen sie ein Projekt, das die polnische historische Erfahrung in eine größere Erzählung über das Schicksal Europas und der Welt einfügen würde, als Bedrohung für die nationale Identität an."
    Pawel Machzewicz hat den Kampf verloren, aber sich nicht geschlagen gegeben. Er ist nicht verbittert, aber voller Sorge um sein Land. Sein Buch kann man auch als Aufforderung lesen, das Museum schnell zu besuchen, solange die Ausstellung noch so besteht, wie sie von ihren Initiatoren gedacht war.
    Pawel Machcewicz: "Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit",
    Harrassowitz Verlag, 254 Seiten, 22,90 Euro.