Polnische Historiker mit internationaler Vernetzung mag die nationalkonservative Warschauer PiS-Regierung in der Regel nicht. Denn ihre Erkenntnisse stimmen meist nicht mit dem Geschichtsbild überein, das sich die PiS wünscht. Besonders hartnäckig verfolgt man daher Pawel Machcewicz, den Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig.
Gründer eines der bedeutendsten europäischen Geschichtsmuseen
Im Frühjahr 2017 hatte der Kulturminister Machcewicz kurz nach der Eröffnung des Museums gefeuert und seine Crew durch eine genehme Mannschaft ausgetauscht. Doch damit nicht genug: Selbst als Machcewicz, seines Amtes in Danzig ledig, als Fellow des Wissenschaftskollegs bereits in Berlin forschte, ging die Jagd auf ihn in Polen weiter. Er habe Gelder falsch eingesetzt, gegen Verwaltungsvorschriften verstoßen. Ende vergangenen Jahres drangen Angehörige eines von PiS eingesetzten Anti-Korruptionsbüros in sein Privathaus in Warschau ein.
"Solche Besuche von Agenten des Zentralen Antikorruptionsbüros kommen ja nicht jeden Tag vor. Sie trafen meinen Sohn an, fragten ihn, wo ich denn wäre, wann ich ins Ausland gefahren wäre, wann ich wiederkommen würde. Das war eine Überraschung. Aber wir leben in einem Land, in dem solche Dinge passieren."
Pawel Machcewicz, zweiundfünfzig Jahre alt, vermittelt den Eindruck eines filigranen Denkers. Er ist kein Freund der lauten Töne, bleibt zurückhaltend, wird höchstens leicht ironisch. Dass es ihm gelungen ist, innerhalb eines Jahrzehnts eines der bedeutendsten europäischen Geschichtsmuseen auf eine feuchte Wiese am Ufer der Mottlau zu stellen, zeugt von guter Kondition und Beharrlichkeit.
Angriff auf das polnische Heldentum
Wie es dazu kam, welche politischen, ideologischen, bürokratischen und finanziellen Hürden es aus seiner Sicht zu überwinden galt, kann man in Machcewiczs jüngstem Buch nachlesen, einem Rechenschaftsbericht für die Öffentlichkeit von über 200 Seiten. "Der umkämpfte Krieg" heißt es auf Deutsch. Das klingt nach Tautologie, hat aber seinen tieferen Sinn. Denn der Zweite Weltkrieg ist der Dreh- und Angelpunkt nationalpolnischer Geschichtspolitik. Man kämpft um die Opferrolle Polens. Man kämpft hart – nicht erst seit dem Machtwechsel 2015.
"Wir hätten versucht, das polnische Volk zu spalten: Das hat uns Jaroslaw Kaczynski 2008 vorgeworfen. Und zwar deshalb, weil wir außer polnischen auch Kriegserfahrungen anderer Nationen berücksichtigten. Das sei ein Schlag gegen die polnische Ausnahmestellung, gegen das polnische Heldentum, hieß es. Dagegen lautete mein Argument von Beginn an: Um zu begreifen, dass die polnische Geschichte eine besondere war, müssen wir sie mit der Geschichte der anderen Völker vergleichen. Schon damals war das für die Nationalkonservativen ein Grund uns anzugreifen. Außerdem unterstellte man uns, mit unserem Vorhaben Erfüllungsgehilfen Brüssels oder Berlins zu sein."
Der besonderen Opferrolle Polens gerecht werden
Dabei wollte Machcewicz damals, 2007/8, mit seinem Museumsplan auf Erika Steinbachs "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin reagieren. Zwangsumsiedlung, Deportation, Vertreibung, die zivile Erfahrung des Krieges sollten gezeigt werden, aber im europäischen Vergleich. Gerade so wollten Machcewicz und sein Team der besonderen Opferrolle Polens gerecht werden. Das Buch "Der umkämpfte Krieg" stellt dieses Programm und seine Umsetzung samt öffentlicher Debatte im Detail vor, erzählt davon, wie das Museum Schritt für Schritt Gestalt annahm - bis zum erbitterten Kampf zwischen Museumsleitung und PiS-Regierung seit 2015. Machcewicz gibt spannende, nicht selten grotesk anmutende Einblicke in die Hinterzimmer der vergangenen und vor allem der gegenwärtigen Machthaber. Deren Vorgehen erinnert ihn an die Gängelung von Kultur und Wissenschaft im kommunistischen Polen.
"Es geht ihnen um ein Geschichtsmonopol. Doch wer die Vergangenheit kontrolliert, will auch die Gegenwart kontrollieren. Geschichte ist ein Material, aus dem PiS den neuen Menschen bauen will. Deshalb ist die Kontrolle über die Vergangenheit so wichtig."