Wiese: Sie sagen, ein Ruck ist durch die Partei gegangen. Jahrelang hatte die Partei um ein neues Parteiprogramm gestritten, Ideologiedebatten wurden geführt. Ist die Partei jetzt mit dem neuen Parteiprogramm Ihrer Meinung nach über den Berg? Ist sie wieder politikfähig?
Bisky: Ich denke, wir sind einen Schritt weiter gekommen. Das geht ja nicht von einer Sekunde zur nächsten, aber es ist nach fünf Jahren intensiver Debatte tatsächlich eine Entscheidung gefallen. Das hat sich niemand leicht gemacht, das waren auch sehr nervige Debatten, aber jetzt ist es eben geschehen. Wir wissen, wo unsere Ziele sind, welche Wege dahin führen und wir sind wieder kenntlich in der Öffentlichkeit. Ich denke, das ist der Schritt nach vorne und ich freue mich, wenn bald der Text vorliegt, so dass Menschen, die interessiert sind, nun die Gelegenheit haben, sich einmal ausführlicher damit zu beschäftigen, was will diese PDS, was bietet sie an, wie will sie etwa Sozialsysteme finanzieren, was versteht sie unter sozialer Gerechtigkeit, und all die Dinge, damit man kenntlich wird in der Öffentlichkeit, das ist dann wichtig. Meine Erfahrung ist und auch Kommunalwahlen zeigen das, die Leute wollen das dann auch wissen. Es werden alternative Entwürfe zur Agenda 2010 erwartet. Wir sagen nicht, dass wir dort Rezepte haben, aber wir haben natürlich erstzunehmende Gegenentwürfe und das wollen wir dann auch öffentlich diskutieren und das soll auch öffentlich auf den Prüfstand. Da sind wir jetzt einen großen Schritt weiter gekommen.
Wiese: Also offenbar eine ganz andere, eine neue PDS, Herr Bisky, eine PDS, für die die Marktwirtschaft kein Unwort mehr ist. Ist die PDS damit dann auch nicht mehr antikapitalistisch, war sie das überhaupt jemals?
Bisky: Ja doch, aber jetzt will ich auch nicht in die Enge der Definitionsdebatten zurück. Natürlich verstehen wir uns als antikapitalistische Partei. Das heißt ja aber nicht, dass wir den Markt nicht akzeptieren, das heißt ja nicht, dass wir das Soziale der Marktwirtschaft nicht betonen könnten. Und selbstverständlich sind wir eine Partei, die sich sehr um die Interessen der kleinen Unternehmer und der Handwerker und so weiter mit kümmern muss. Und da kann man doch nicht einfach sagen, wenn die Gewinn machen, das ist etwas Verwerfliches. Manche beuten sich ja selber aus, verdienen relativ wenig. Also gerade für kleinere und mittlere Unternehmen hat die PDS sich geöffnet und wir haben ja auch Mitglieder aus diesem Bereich. Wir haben einen Unternehmerverband bei der PDS, OWUS, der die kleinen und mittleren Unternehmen vertritt. Ich denke, dass wir dort einen Schritt gegangen sind zu sagen, ja, hier muss Politik her, die diese kleinen Unternehmen unterstützt. Dadurch kommen ja auch Arbeitsplätze. Die Großen sparen ja meistens Arbeitsplätze ein oder ersetzen sie durch Maschinerie und durch anderes. Und deshalb sagen wir, Unterstützung des Mittelstandes, der kleinen Unternehmen, der Handwerker, das ist natürlich etwas, was mit realistischer linker, aber auch sozialistischer Politik zu tun hat.
Wiese: Aber wenn Sie sagen, Herr Bisky, eigentlich sind Sie schon doch noch antikapitalistisch, andererseits aber auch für die soziale Marktwirtschaft, das ist doch eine Gradwanderung. Wie soll man denn die durchhalten?
Bisky: Nein, das ist keine Gradwanderung! Das war ja auch die Schwierigkeit unserer Programmdebatte. Man darf den Sozialismus, wie ich ihn sehe oder wie er auch im Parteiprogramm steht, demokratischer Sozialismus, darf man nicht mehr mit dem Staatssozialismus vergangener Jahrzehnte vergleichen. Sondern wir verstehen ja Sozialismus als einen Prozess, natürlich Wertesystem, und dann auch als eine sozial gerechtere Gesellschaft. Aber das heißt nicht, dass, wie es in den Vorstellungen vieler Menschen noch ist, der alte Sozialismus, der die Privatunternehmen alle enteignet und dann umverteilt, unser Ansatz ist. Wir haben doch aus dem Scheitern des real existierenden Sozialismus gelernt und wir wissen doch genau, wenn wir jetzt also zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommen wollen, dann müssen wir natürlich auch andere Wege gehen. Wir müssen sagen, wie man Wirtschaft zu mehr Arbeit anregt, wir müssen sagen, wie man soziale Bedürfnisse befriedigt, und so weiter und sofort, und das ist dann eben ein anderes Verständnis von Sozialismus. Das ist eine irdische Politik, die sagt, was man etwa in der Bundesrepublik bewahren, aufheben, verbessern kann, aber auch die sagt, wo wir hin wollen, was man grundsätzlicher verändern muss. Und das lässt sich in den alten Denkschablonen nicht mehr so eindeutig definieren. Das war auch eine Schwierigkeit unserer Programmdebatten.
Wiese: Ich weiß ja, dass Sie diese Frage nicht gerne hören, dass Sie sie sogar nervt, ich stelle sie aber trotzdem: Worin unterscheidet sich denn die PDS dann noch von den Sozialdemokraten vor dem, was Sie gerade gesagt haben?
Bisky: Oh, wir unterscheiden uns dort sehr grundsätzlich in einer Reihe von Fragen. Sehen Sie mal die Agenda 2010, dort haben wir jetzt für dieses Feld eine Agenda Sozial dagegen gesetzt. Das heißt, die Frage, wie erhalten wir die Grundlage des Sozialstaates bei einer Reform, die wird von uns grundsätzlich auch anders beantwortet. Wir wollen die Grundlagen des Sozialstaates erhalten, indem wir eben nicht einseitig die kleinen Leute schröpfen. Und da wird aber bei der SPD eine andere Politik im Moment gemacht, was ich bedauere. Es gibt da auch in Bezug auf Außenpolitik, also Militäreinsätze, sehr unterscheidbare Positionen und es gibt auch in Bezug auf eine ganze Reihe anderer Fragen deutliche Unterschiede. Und wenn Sie mich dann fragen, ob es da auch Nähe gibt, dann sage ich, ja, in bestimmten Programmteilen gibt es da auch eine Nähe zur Sozialdemokratie, das ist so gewollt, das muss man ja nicht krankhaft irgendwie vermeiden wollen. Nur weil die Sozialdemokratie mal einen guten Vorschlag hat, muss ich nicht sagen, ich nehme den ganz anderen. Der ist zwar schlechter, aber ich bin selbstständig. Also, so weit muss ich nicht gehen. Aber unterscheidbar sind wir. Auch übrigens, was Gleichstellung von Frauen und Männer anbelangt in der Arbeit. Bis zu vielen anderen Dingen gibt es diese Differenz.
Wiese: Das war der Vorsitzende der PDS, Lothar Bisky, vielen Dank für das Gespräch.