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Pegida-Protest
Weihnachtliches Rätselraten

Wie umgehen mit Pegida? Kirchen und Politiker sind ratlos. Die Demonstranten warnen vor "Islamisierung" und wollen nun bei ihren Protestmärschen Weihnachtslieder singen. Jetzt versuchen Ethnologen, das Phänomen auf Dresdens Straßen einzuordnen.

Von Stephan Detjen |
    Mehrere Pegida-Demonstranten halten ein Banner mit der Aufschrift "Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden!"
    In Dresden gingen zuletzt 15.000 Menschen auf die Straße, um gegen eine Islamisierung Deutschlands zu demonstrieren. (imago/Peter Blick)
    Unsicherheit prägt nach wie vor die Reaktion der Politik auf die Pegida Bewegung. Niemand wagt, sich festzulegen – weder in der pauschalen Verurteilung der Demonstranten, noch in verbalen Umarmungsversuchen. Am weitesten hatten sich in der vergangenen Woche Vertreter der AfD auf die Pegida Anhänger zubewegt und sich als Zeichen der Dialogbereitschaft unter die Demonstranten gemischt. Hans-Olaf Henkel allerdings, Europa-Abgeordneter und stellvertretender Sprecher der AfD, warnt seine Partei:
    "Ich muss ihnen allerdings auch sagen, dass ich unserer Partei empfehle, Abstand zu halten, weil wir nicht genau wissen, wer da ist und wer da mitläuft. Und diese Überschrift - die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes - die gefällt mir auch nicht."
    Der Schulterschluss gegen alle ausländerfeindlichen, rechtsextremen und anti-muslimischen Untertöne reicht durch das gesamte, parlamentarisch etablierte Parteienspektrum und alle Religionsgemeinschaften. Und immer deutlicher wird in diesen Adventstagen betont, dass Flüchtlinge in weiten Teilen des Landes mit offenen Armen und viel Hilfsbereitschaft empfangen.
    "Das höre ich aus vielen Kirchengemeinden. Viele Kirchengemeinden setzen sich für Flüchtlinge ein. Das ist der Grundton. Nicht Ausländerfeindlichkeit oder Abwertung von Menschen – das ist unvereinbar mit dem christlichen Glauben!"
    Sagt der neue Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford Strohm:
    "Ich habe eine wunderbare Geschichte gehört von Flüchtlingen, die empfangen worden sind von einer Kirchengemeinde mit einem Posaunenchor. Und dann sind zwei der Flüchtlinge hingegangen und haben sich zwei Posaunen gegriffen und mitgeblasen. Das sind die Geschichten, die wir weiter erzählen müssen."
    Ethnologen beschäftigen sich mit Pegida
    Die Suche nach Erklärungen für Pegida – das wird dieser Tage deutlich – erzwingt den Blick auf konkrete Erlebnisse und Probleme der Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Die wissenschaftlichen Experten dafür sind die Ethnologen.
    "Man muss es ernst nehmen, aber es ist ein lokales Phänomen. Das muss man sich auch immer wieder klar machen."
    Beobachtet der Ethnologe Thomas Hauschild von der Martin Luther Universität in Halle Wittenberg mit Blick auf die Pegida Demonstrationen in Dresden. Hauschild meint im Deutschlandradio Kultur, dass sich die Bewegung in der sächsischen Hauptstadt von ihren radikaleren Ablegern und Nachahmern in anderen Städten unterscheide. In Dresden sei Pegida eine Reaktion auf sehr konkrete Veränderungen von Bräuchen und kulturell geprägten Lebensweisen. Politiker, die in Pegida lediglich den Ausdruck einer ausländerfeindlichen Ideologie sähen, unterschätzten das Phänomen. Hauschild kritisierte daher auch die schärfsten Kritiker von Pegida:
    "Das sind aber dieselben Leute, die jetzt die jahrelangen Streitigkeiten um die Umbenennung von Weihnachtsmärkten in Wintermärkte, um die Abschaffung von Martinsbräuchen, von Adventsdekorationen in Kindertagesstätten schweigend haben passieren lassen. Und ich glaube da liegt ein wesentlicher Punkt von Pegida. Die greifen einfach sehr straken Unmut auf "im Volk" in den Schichten, wo nicht so viel Besitzende sind und auch nicht so furchtbar gebildete Leute. Und das ist das, was man Folklore nennt. Populäre Kultur.
    Der Ethnologe beobachtet bei den Dresdener Pegida-Demonstrationen keineswegs einen Ausdruck blanker Ausländerfeindlichkeit:
    "Schon beim letzten Mal wurden Christbaumständer mitgeschleppt. Dieses Mal soll es um Weihnachtslieder-Singen gehen. Das heißt, es geht darum, Dinge, die mit Identität und mit sich gemeinsam Wohlfühlen zu tun haben – wie Spaziergänge auch, und so weiter – zusammenzubringen mit Themen, die dann oben in der Politik ganz anders kommentiert und ganz anders verhandelt werden."
    Für heute Abend ist in Dresden eine neue Pegida-Demonstration angekündigt. Hält der Zulauf so wie in den vergangenen Wochen an, dürften dann 20.000 oder mehr Menschen mit Weihnachtsliedern auf den Lippen durch die Innenstadt ziehen und der Politik neuen Stoff für Interpretationen und Enträtselungsversuche bieten.