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Peking bemüht sich, "kein diplomatisches Porzellan zu zerschlagen"

Primär denke China in wirtschaftlichen Kategorien, sagt Nele Noesselt vom Institut für Asienkunde in Hamburg. Die Reaktion auf Obamas Rede zeige, dass die Führung davor zurückschrecke, Drohungen gegen die USA vorzubringen.

Nele Noesselt im Gespräch mit Jürgen Liminski | 18.11.2011
    Christoph Heinemann: Trotz Haushaltskürzungen will US-Präsident Obama die Truppenpräsenz im Asien-Pazifik-Raum aufstocken, wir haben eben darüber berichtet. Eines der Ziele der USA als Pazifik-Staat sei es, die Zukunft der Region mitzugestalten, sagte Obama. Darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit Nele Noesselt gesprochen, sie ist China-Expertin am Institut für Asienkunde. Wie reagiert China auf Obamas Asien-Strategie?

    Nele Noesselt: Aus chinesischer Sicht wird das durchaus als ein Vorstoß in chinesische Interessenssphären wahrgenommen, vor allem, weil hier die USA sich in einem Gebiet positioniert, wo ja durchaus geostrategische Hauptinteressen der VR China liegen, gerade in der südchinesischen See. Allerdings der Konflikt, der sich hier abzeichnet, zwischen den USA und der VR China, ist eigentlich keine Entwicklung erst im 21. Jahrhundert, sondern geht zurück auf die Systemantagonismen, die sich nach Ende des Kalten Krieges nicht mehr zwischen den USA und der Sowjetunion, sondern zwischen China und den USA abzeichnen.

    Jürgen Liminski: China will Weltmacht sein, vielleicht als Ersatz für die Sowjetunion. Kann es für Peking eine Art Kondominium geben, oder denkt man in Peking eher an eine multipolare Welt?

    Noesselt: Nun, der offiziellen Terminologie nach denkt China immer noch in der Kategorie einer multipolaren Welt. Das heißt, dass China eine von vielen Großmächten wäre, die mit anderen Großmächten gleichberechtigt kooperiert. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie das in der Realität umgesetzt werden soll, und auch hier hat China Abstand genommen von dieser sehr visionären außenpolitischen Vorstellung und spricht mehr und mehr von einer Supermacht und vielen Großmächten. Diese eine Supermacht wird zwar nicht näher spezifiziert, man kann aber erwarten, dass hier weiterhin die USA als die zentrale Weltmacht gesehen werden, und man muss sich auch vor Augen führen, dass die VR China nicht unbedingt in der Lage wäre, die außenpolitische oder weltpolitische Ordnungsfunktion der USA zu übernehmen, zumindest nicht zu dem jetzigen Zeitpunkt.

    Liminski: Aber man kann doch vielleicht von einer Rivalität zweier Weltmächte sprechen? Das könnte ja sein, dass Peking in diese Richtung denkt?

    Noesselt: Ja. Sicherlich haben wir hier einen ordnungspolitischen Interessenskonflikt zwischen China und den USA. Das sieht man auch daran, dass die VR China seit Beginn der globalen Banken- und Finanzkrise verstärkt Forderungen stellt und immer wieder auch betont, dass die Regeln der internationalen Politik neu fixiert werden müssen. Das heißt, die bisherigen Regeln werden als Regeln identifiziert, die weitgehend von den USA geprägt sind, die Forderung, die China nun vorbringt fürs 21. Jahrhundert, impliziert, dass hier gemeinsam an einer neuen globalen Weltordnung gebaut werden müsste. Allerdings ob die Interessen wirklich kompatibel sind, das wird sich noch zeigen müssen.

    Liminski: Sieht man denn in China die amerikanische Präsenz als militärische Bedrohung, nur als militärische Bedrohung, oder eher als wirtschaftliche Bedrohung mit militärischer Abstützung?

    Noesselt: Nun, primär denkt China in wirtschaftlichen Kategorien. Das geht zurück auf die späten 70er-Jahre. Mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik hat die VR China sich vom Primat der Ideologie verabschiedet und verfolgt eine sehr pragmatische Außenpolitik, die ein wirtschaftspolitisches Interesse in den Mittelpunkt stellt. Das heißt, alle außenpolitischen Konflikte haben eine starke ökonomische Konnotation, und auch das Interesse der USA wird weitgehend auf ökonomische Faktoren zurückgeführt. Allerdings muss man auch bedenken, dass das verstärkte militärische Auftreten nun der USA in der asiatisch-pazifischen Region durchaus auch ein Sicherheitsdilemma für Peking darstellt, und insofern sollte man auch überlegen, dass die Militärallianzen, die sich jetzt neu formieren, China zum Handeln zwingen könnten.

    Liminski: Aber zu einem wirklichen Konflikt wird es nicht kommen?

    Noesselt: Das ist unwahrscheinlich, gerade wenn man die Reaktion Pekings sich anschaut auf die Rede Obamas, denn hier hat sich Peking sehr bemüht, kein diplomatisches Porzellan zu zerschlagen. Man hat zwar deutlich gemacht, dass man mit diesen Aktionen nicht einverstanden ist, aber man hat auch davor zurückgeschreckt, hier seitens Chinas irgendwelche Drohungen oder Forderungen vorzubringen.

    Liminski: Frau Noesselt, China hat auch soziale Probleme. Die Schere zwischen arm und reich geht sehr auseinander und wegen der Ein-Kind-Politik fehlt es vielen alten Chinesen an einer Versorgung im Alter. Das geht bis in die dreistellige Millionenzahl. Ist China im Innern stark genug, um Amerika Paroli zu bieten?

    Noesselt: Damit sprechen Sie ein zweites Szenario an. Das erste, mit dem wir gerade begonnen haben, ist ja eigentlich das Szenario eines bevorstehenden Konfliktes zwischen den USA und der VR China. Das zweite Szenario, was mit Blick auf den Aufstieg Chinas diskutiert wird, ist die Idee, dass China innenpolitisch oder auch sozioökonomisch so labil ist, dass der Aufstieg nicht zu einem Ende geführt werden kann, das heißt, dass China früher oder später kollabiert. Wenn man sich die enormen Entwicklungsdisparitäten zwischen Stadt und Land und den Küstenregionen und den unterentwickelten Westgebieten anschaut, dann ist wirklich fraglich, wie weit China derzeit schon einen weltpolitischen Anspruch umsetzen kann, der auch langfristig aufrecht erhalten würde.

    Also ich denke, dass wir immer wieder berücksichtigen müssen, dass China zwar in unseren Augen ein aufsteigender Staat ist, aber zugleich auch ein Entwicklungsland. Das wird gerne vernachlässigt. Und die sozioökonomischen Herausforderungen stellen doch eine gewisse Problematik auch für die Ausgestaltung der chinesischen Außenpolitik dar.

    Vielleicht ein Beispiel: Die Wirtschafts- und Finanzkrise hatte ja auch 2008 China betroffen und es hieß damals intern, dass auf jeden Fall die Grenze von acht Prozent Wirtschaftswachstum nicht unterlaufen werden dürfe, da sonst mit verstärkten innenpolitischen und sozioökonomischen Spannungen zu rechnen wäre, die möglicherweise auch das System als solches in Frage stellen könnten.

    Liminski: Amerikas pazifische Option oder die Weltordnung im 21. Jahrhundert, das war Nele Noesselt. Sie ist China-Expertin am Institut für Asienkunde in Hamburg. Besten Dank für das Gespräch, Frau Noesselt.

    Noesselt: Ja, vielen Dank.

    Heinemann: Und die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.