Penner: Die Bundeswehr hat natürlich Schwierigkeiten, das war übrigens in den früheren Jahren auch so. Als ich vor 20 Jahren Staatssekretär auf der Hardthöhe war mit Hans Apel als Verteidigungsminister, gab es auch Schwierigkeiten, vielleicht Schwierigkeiten viel größerer Art. Es ging um die Unterfinanzierung des Tornado, es ging um den NATO-Doppelbeschluss und es ging um eine sehr aufgeregte öffentliche Debatte in der Bevölkerung um Für und Wider von Sicherheitspolitik. Aber es ging auch darum, dass in der Truppe das 'Gammeln' - so wie das damals hieß - beklagt wurde. Das Gammeln habe ich zwar in der wörtlichen Form nicht wiedergefunden, aber Frust ist etwas ähnliches. Und davon war auch die Rede - Frust über unzulängliche Materialausstattung, über Unzulänglichkeiten im Reparaturwesen, Frust über unzulängliche berufliche Perspektiven. Die vermögen aber eines nicht zu überdecken, dass es natürlich auch eine Stimmung in der Truppe gibt, die besagt, dass die Einsätze - die besonderen Einsätze, die jetzt die Bundeswehr vor sich hat, hinter sich hat - , dass die dazu beiträgt, diese Themata in den Hintergrund treten zu lassen. Mit anderen Worten: Die Soldaten, die auf dem Balkan Dienst tun, die wissen, was sie tun. Die haben auch erfahren, dass das ein sinnvoller Dienst ist. Und insofern ist das Wort 'Frust' bei allem Ärger, den es auch da gibt, ein Fremdwort.
Clement: Wenn man sich überlegt, dass die Bundeswehr jetzt ja wieder in eine neue Struktur geht, wo sie die alte eigentlich noch gar nicht richtig eingenommen hat, hat das natürlich Auswirkungen auf die Befindlichkeit von Soldaten, auch auf ihre persönliche Lebensplanung. Wie schlägt sich das bei ihnen so nieder?
Penner: Also, bisher habe ich dabei feststellen können, dass die Truppe den neuen Entscheidungen mit gespannter Erwartung entgegensieht, dass daraus aber noch nicht ein konkreter Ärger, Kummer oder gar Schmerz erwachsen ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die konkreten Entscheidungen erst zu Beginn nächster Woche feststehen - welche Kasernen beibehalten werden, welche Städte Garnisonsstädte bleiben pp. Dann gehe ich allerdings davon aus, dass die angestaute Erwartung, die ja nicht nur die Soldaten - was die berufliche Perspektive betrifft -, sondern auch die Familien, nota bene die Frauen, die ja mehr und mehr auch eigene berufliche Ziele verfolgen, dass die sich niederschlägt in ganz konkrete Aktionen, gegebenenfalls auch in Eingaben an den Wehrbeauftragten.
Clement: Das ist die aktuelle Diskussion in der nächsten Woche. Die aktuelle Diskussion der vergangenen Woche beschäftigte sich mit der uranabgereicherten Munition, die im Kosovo und in Bosnien verschossen worden sein soll. Wie ist das denn in den Eingaben bei Ihnen berücksichtigt worden, welchen Eindruck haben Sie, wie die Truppe mit diesem Thema umgeht?
Penner: Ich habe schon dem Verteidigungsausschuss auf Anfrage eines Abgeordneten berichten können, dass nach dem Sachstand vom vergangenen Dienstag - an dem sich übrigens bis heute nichts geändert hat - es seit dem Aufkommen der Diskussion nach Weihnachten 2000 insgesamt 31 Eingaben gibt, von denen fünf sich mit individuellen Themata befassen, etwa mit der Sorge, eine spezielle Krankheit, die den Petenten plagt, habe möglicherweise mit dem Einsatz im Kosovo und seinen gesundheitlichen Risiken zu tun. Oder eine andere Eingabe beklagt sich darüber, dass die Kassen eine aus der Sicht des Petenten notwendige Nachsorgeuntersuchung nicht durchführt. Der Petent ist inzwischen aus der Bundeswehr ausgeschieden; er begehrt dann, dass die Bundeswehr dann die entsprechende Nachsorgeuntersuchung kostenmäßig trägt. Die Masse der Eingaben hat zum Gegenstand eine angebliche Unterinformation im Hinblick auf Risiken, die von den Resten der Uranmunition ausgehen. Davon sind 16 wortgleich, textgleich, kommen aus derselben Einheit. Weitere fünf beschäftigen sich mit dem gleichen Thema, sind ebenso textgleich - aber nicht textgleich mit den 16. Und die restlichen fünf von den verbleibenden 26 Eingaben sind individuell geschriebene Eingaben, die sich mit dem selben Thema beschäftigen.
Clement: Wenn Sie bei Ihren Truppenbesuchen in die Truppe gehen und über dieses Thema sprechen mit den Soldaten: Haben Sie das Gefühl, dass sich da auch so etwas wie eine Vertrauensfrage an die politische Führung stellt?
Penner: Also, bei meinen Besuchen bei der Truppe war das nicht das vorrangige Thema. Wohl bin ich gefragt worden, als die Diskussion besonders lebendig war, welche Bewandtnis es denn auf sich habe. Und ich habe dann geschildert, dass der Verteidigungsausschuss sich des Themas annehmen würde und dass die Verantwortlichen der Hardthöhe bemüht seien, Licht in das Dunkel zu bringen. Ich hatte also bei meinen Begegnungen mit der Truppe den Eindruck, dass es nicht das Thema Nr. 1 war; wohl aber wurde es als ein Thema angesehen, das wichtig werden könne für sie. Und ich hatte so den speziellen Eindruck, dass es im wesentlichen Unsicherheit war, die durch die lebendige Diskussion hervorgerufen wurde - nicht so sehr konkrete Sorge.
Clement: Seit Anfang des Jahres dienen Frauen auch in Kampfverbänden, Herr Penner. Haben Sie denn schon einen ersten Eindruck, wie das funktioniert?
Penner: Ja, ich habe am vergangenen Donnerstag einen unangemeldeten Truppenbesuch bei einer Einheit gemacht, bei der 17 Frauen in der Grundausbildung sind. Ich habe mich davon überzeugen können, dass das völlig problemlos vonstatten geht. Ich habe dabei allerdings erfahren, dass für die Grundausbildung das Heeresführungskommando Vorsorge getroffen hat, dass die besten Ausbilder sich für diese Aufgabe bereithalten. Und das ist da auch geschehen. Ich habe auch mit den Frauen selbst gesprochen, und die machten allesamt nicht den Eindruck, als ob sie nun sich einer besonderen Fron unterzögen. Allerdings habe ich auch nicht den Eindruck gewonnen, als ob es nur ein Motiv für die Frauen gäbe, die ich dort kennengelernt habe, in die Bundeswehr zu gehen. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Motive, unter anderem auch eines, dass es auch für Frauen reizvoll sein kann, unter den besonderen Bedingungen der Bundeswehr eine berufliche Qualifikation zu erwerben. Ich habe ausdrücklich gefragt, wie es denn so sei im Umgang mit Männern, und ich hatte nicht den Eindruck, dass Befürchtungen, die gelegentlich auch von außen her aber auch von innen in der Bundeswehr geäußert wurden, dass es dabei zu Reibereien zwischen den Geschlechtern kommen könnte. Das war da nicht der Fall. Das erschien als ein völlig unangespanntes Verhältnis. Und man muss dabei bedenken: Die Ausbildung geht gemeinsam mit den jungen Soldaten vonstatten.
Clement: Herr Penner, Sie haben gerade davon gesprochen, die Bundeswehr ist zur Zeit eine Einsatzarmee, hat ein mehr oder weniger dauerhaft ein großes Kontingent im Kosovo. Sie haben auch die materielle Ausstattung angesprochen in Ihren Einleitungsbemerkungen. Blutet die Bundeswehr materiell im Inneren aus, weil sie mit ihrem Material im Prinzip im Einsatz ist?
Penner: Also, von den Kümmernissen der Unzulänglichkeit der Sachausstattung habe ich insbesondere bei einem Besuch erfahren. Das war allerdings auch eine Instandsetzungseinheit, die die Gelegenheit wahrgenommen hat, allerlei Kuriositäten mir zu erzählen, die aber seit Jahr und Tag bekannt sind. Es ist wahr, das lässt sich wohl nicht bestreiten, dass - um im Slogan des Verteidigungsministeriums zu reden - der Haushalt für die Verteidigung, also der Einzelplan 14, auf Rand genäht ist'. Das ist wohl wahr, aber es ist immer auch dabei hinzuzufügen, dass die Ausstattung des Einzelplan 14 immer etwas besonderes gewesen ist. Jedenfalls kann ich das für die Zeit sagen, in der ich das Ganze aktiv politisch verfolge - und das sind mittlerweile bald 30 Jahre; ich bin ja 1972 erstmals in den Bundestag gekommen. Nein. Von einem habe ich mich allerdings überzeugen können: Die Ausstattung der Bundeswehr im Einsatz, ich meine jetzt in diesem Fall im Kosovo, die ist in Ordnung. Also, da hat die Bundeswehr keine Beschwer, und in Teilgebieten ist die Bundeswehr dabei erstklassig ausgestattet. Also was das Sanitätswesen der Bundeswehr im Einsatz angeht - Lazaretts im Kosovo -, das hält jedem Vergleich stand, und die Leistungen der Soldaten im übrigen auch.
Clement: Würden Sie vor dem Hintergrund der in Deutschland - ich sage mal - zurückgelassenen Truppenteilen vorhandenen Mängel sich wünschen, dass der Verteidigungshaushalt doch etwas angehoben wird?
Penner: Das ist eine politische Entscheidung, die meine früheren Kollegen zu entscheiden haben und das Bundesverteidigungsministerium, also Bundesverteidigungsminister und Bundesregierung. Natürlich hat da der Wehrbeauftragte wenig einzubringen, sollte er auch nicht tun. Er sollte sich nicht in konkrete politische Streitfragen einmischen. Nur eines ist unabweisbar: Eine Bundeswehr, die ein erweitertes Tätigkeitsfeld zugewiesen bekommt, wie das ja seit einigen Jahren der Fall ist - was von mir aus nicht zu kommentieren ist -, muss sich darauf einrichten, dass das auch was kostet. Zum Nulltarif ist das nicht zu machen.
Clement: Herr Penner, es gab immer wieder Diskussionen in letzter Zeit - in den letzten Jahren vor allen Dingen - um rechtsradikaler, ausländerfeindlicher - wobei das nicht das Gleiche sein muss - Vorkommnisse innerhalb der Bundeswehr. Wie sehen Sie die Entwicklung da?
Penner: Der Wehrbeauftragte bekommt unter der Rubrik 'Besondere Vorkommnisse' alle diese Vorkommnisse mit rechtsradikalem Hintergrund, die auch der Hardthöhe mitgeteilt werden, direkt gemeldet. Das heißt also, nachdem, was ich bisher an diesbezüglichen Meldungen bekommen habe, sieht die Sache so aus: Im Jahr 2000 hatten wir einen spürbaren Anstieg gegenüber dem Vorjahr, das weisen die Zahlen aus. Ich glaube, sie waren 25 Prozent höher als im Vorjahr. Aber man muss auch zusätzlich hinzufügen dürfen, dass die Zahlen, die in der Bundeswehr zu registrieren waren, nicht etwa einen überproportionalen Anstieg gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft bedeutet haben. Und zusätzlich muss man auch erwähnen, dass die Vorfälle, die meist Äußerungstatbestände sind - also Zeigen des Hitlergrußes, Gröhlen von NS-Liedern im trunkenen oder im nüchternen Zustand, Beschmieren von Kasernenwänden, auch Toilettenwänden mit Nazisymbolen oder Übermitteln von SMS-Nachrichten mit ausländerfeindlichem Hintergrund usw. -, dass eine überwiegende, ja erdrückende Anzahl solcher Entgleisungen von Grundwehrdienstleistenden und Länger-Wehrdienstleistenden verübt worden sind und Zeitsoldaten und Berufssoldaten demgegenüber ganz geringfügig betroffen sind. Das ist auch seit Jahren schon so, auch in diesem Jahr wurden diese Vorkommnisse in einer Größenordnung von etwa 80 Prozent von Grundwehrdienstleistenden und Länger-Wehrdienstleistenden verübt. Das heißt nicht, dass die Bundeswehr nicht aufpassen müsste. Die Bundeswehr ist ja - das kann man ja sagen - die stärkste Macht im Staate oder die Institution, die am stärksten Macht verkörpert. Sie ist straff durchorganisiert, sie ist über das Uniformwesen und über das Erlernen von Umgang mit Waffen und Gewalt natürlich für Rechtsextremisten immer in besonderer Weise begehrliches Objekt. Und das heißt also: Bei einer solchen Institution wie der Bundeswehr - übrigens abgestuft auch der Polizei - muss immer ein besonderes Auge auf einen scharfen Trennungsstrich, auf das Funktionieren der Brandmauer, das Intakthalten der Brandmauer zum Rechtsextremismus gepachtet werden. Und ich habe den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Bundeswehr, übrigens auch die militärisch Verantwortlichen der Bundeswehr, das sehr wohl sehen, denn da sie international auch tätig sind, wissen sie, welches Echo gerade beim Wiederaufflammen des Rechtsextremismus im Ausland, was vielleicht sonst von Deutschland kaum Notiz nimmt, was für ein Echo solche Ereignisse auslösen.
Clement: Sie haben also den Eindruck, dass das, was an Programm ja mal vorgelegt worden ist von der Bundeswehr vor 1 - 2 Jahren, um dieses Thema in den Griff zu bekommen, dass das funktioniert, greift und auch noch umgesetzt wird?
Penner: Es gibt ja ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang, bei dem das Parlament auch in besonderer Weise aufmerksam ist, das ist das Thema 'Politische Bildung'. Nun weiß ja jeder, der sich ein bisschen mit diesem beschäftigt, dass die Bundeswehr nun nicht etwas nachholen kann, was die Gesellschaft insgesamt nicht schafft. Aber die Bundeswehr gibt sich doch alle Mühe, einen Anteil zu leisten, dass das bei ihr einigermaßen in Ordnung ist. Und das heißt also: Die Bundeswehr hat gelernt, dass es nicht allein mit dem Auswendiglernen von Staatsbegriffen, von Begriffen aus der Staatsorganisation - wer ist Bundeskanzler, wer Verteidigungsminister, wer Bundespräsident ist - getan ist, sondern dass sie versuchen müssen, dieses Thema so nahe wie möglich an die einzelnen Soldaten heranzuführen. Und dabei sind Wege gefunden worden, die ich nur begrüßen kann - etwa die Besuche von Konzentrationslagern nach entsprechender Vorbereitung, das Hinfälligmachen von Folgen, wenn es zu totalitären Entgleisungen durch einen Staat kommt, insbesondere durch Deutschland. Das hat jedenfalls größere Chancen, etwas hinfällig zu machen, eine Diskussion auszulösen, als papierene Erkenntnisse vom Mittel zu wollen in einer Zeit, die ja im wesentlichen auch durch Bilder bestückt ist.
Clement: Herr Penner, Sie haben gesagt, die aktuellen politischen Diskussionen seien nicht unbedingt das, wo Sie sich einmischen wollen. Aber gelegentlich werden Sie gefragt, was Sie denn von der Wehrpflicht halten. Sie haben eine kritische Haltung dazu mal durchblicken lassen. Wie stehen Sie zur Wehrpflicht, wie lange kann die noch aufrecht erhalten werden angesichts der Zahlen und der Daten, die wir haben?
Penner: Ich habe Bemerkungen zur Wehrpflicht gemacht, ohne zur Wehrpflicht selbst Stellung zu nehmen. Das gehört sich auch nicht für den Wehrbeauftragten, weil der Wehrbeauftragte ja keine Kontrolltätigkeit eigener Art ausübt, sondern eine artgeleitete. Der Wehrbeauftragte ist in der Sprache der Verfassung das Hilfsorgan des Parlaments bei der parlamentarischen Kontrolle und hat darauf zu achten, dass die Grundrechte für die Soldaten gewährt bleiben. Und das ist ein Stichwort gewesen - die Wahrung der Grundrechte für die Soldaten. Ich bin in der Tat der tiefen Überzeugung, dass es keine staatliche Inpflichtnahme gibt, die so tief greift, wie die Wehrpflicht - aus dem einfachen Grunde, weil diese Inpflichtnahme ja verbunden ist gegebenenfalls auch Leib und Leben einzusetzen. Und das bedeutet, dass man in besonderer Weise bei der rechtlichen Legitimation sorgfältig achten muss, ob diese Inpflichtnahme, die ja auch in Grundrechtspositionen eingreift, immer in Ordnung ist. Und dabei muss man einen Blick auf verschiedenes haben, einen Blick darauf, ob die veränderten sicherheitspolitischen Umstände sich denn auswirken können auf Legitimation. Wir wissen ja: Der Auftrag der Bundeswehr ist erweitert worden um Einsatzfähigkeit über den Verteidigungsauftrag hinaus. Und sicherlich ist auch von Belang, dass man einen Blick haben muss auf die Anzahl derer, die nun tatsächlich Wehrpflicht leisten, weil es auf die dann ankommt im Verhältnis zu denen, die das nicht tun. Und schließlich ist natürlich auch wichtig - also ich würde mal sagen, metajuristisch politisch nicht uninteressant -, dass Staaten wie Italien, Frankreich und Spanien die Wehrform wechseln oder gewechselt haben hin zur Freiwilligenarmee, und dass damit die Bundesrepublik Deutschland der einzige alte große NATO-Staat ist, der noch bei der Wehrpflicht bleibt. Auf Gesichtspunkte dieser Art habe ich hingewiesen. Daraus ist - aus meiner Sicht - fälschlicherweise der Eindruck erweckt worden, ich sei ein Skeptiker für Wehrpflicht. Also, ich bin eher ein Anhänger von Pflichten, weil ich protestantisch geprägt bin. Aber im Hinblick darauf, dass der Wehrbeauftragte gehalten ist, besonders einen Blick auf den Grundrechtskatalog zugunsten der Soldaten zu haben, habe ich mich angesichts der geschilderten Tatsachen schon für berechtigt gehalten, auf Aspekte hinzuweisen, die zu beachten sind - ganz abgesehen davon, dass es darüber hinausgehende allgemein politische Aspekte gibt, die nun wirklich bei aller Wirkungsmäßigkeit des Wehrbeauftragten entzogen sein sollten. Nein, ich will auch nicht den Anschein erwecken, als ob einer, der jetzt 28 Jahre lang Bundestagsabgeordneter in unterschiedlichen Funktionen gewesen ist, jetzt gewissermaßen als Oberguru - Dinosaurier in der Politik - sich veranlasst sieht, den aktiven Bundestags-abgeordneten etwas ins Stammbuch zu schreiben. Das liegt mir völlig fern.
Clement: Aber der politische Mensch Wilfried Penner ist, wenn ich das richtig verstehe, für die Wehrpflicht - aber sie muss anders und besser begründet werden, als das zur Zeit geschieht?
Penner: Also, ich will es bei diesen Bemerkungen bewenden lassen. Ich bin schon der Meinung, dass es des Schweißes der Edlen wert ist, ständig bemüht zu sein, die Qualität der rechtlichen Legitimation für die Wehrpflicht im Auge zu behalten, ganz abgesehen davon, dass schon Herzog - und in seiner Nachfolge auch Rau - auf die Notwendigkeit der erneuten Befestigung der politischen Legitimation durch einen intensiven Dialog innerhalb der Gesellschaft aufmerksam gemacht haben. Das halte ich auch für richtig. Es kann ja die Möglichkeit nicht von der Hand gewiesen werden, dass andernfalls das Bundesverfassungsgericht, das sich übrigens letztmals zur Legitimität der Wehrpflicht im Jahr 1960 geäußert hat, dass sich das Bundesverfassungsgericht in einer völlig anderen Zusammensetzung und bei völlig veränderten Rahmendaten zu Entscheidungen veranlasst sieht, die dann die Politik in die Rolle des Getriebenen hineinbringt. Es gibt ja schon einen Vorlagebeschluss des Landgerichts Potsdam beim Bundesverfassungsgericht, bei dem allerdings noch keinen Termin gibt. Das steht also dahin. Aber es ist natürlich theoretisch denkbar, dass der eine oder andere Wehrpflichtige - unterstützt von Rechtskundigen - das Grundsatzproblem sieht und eine einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht anstrebt. Aber wie gesagt, dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte, dass das auch geschieht.
Clement: Herr Penner, als die neue Bundesregierung ins Amt kam vor zweieinhalb Jahren, hat Minister Scharping eine Rundreise gemacht durch die Armee, mit allen gesprochen. Das hat er noch einmal wiederholt. Man hatte damals als Beobachter das Gefühl, da kommt ein neuer Geist, ein neues Vertrauen zwischen Soldaten und politischer Führung auf. Haben Sie den Eindruck, dass das heute noch genau so Bestand hat wie es damals angefangen worden ist?
Penner: Also, ich höre selten, ganz selten Klagen darüber, dass eine persönliche Verantwortung festgemacht wird für Dinge, die als lästig, falsch oder gar völlig verfehlt bezeichnet werden. Das höre ich nicht. Ich habe übrigens in früherer Zeit auch den Eindruck gewonnen, dass das Engagement von Scharping, was ja besonders dicht erschien, während der Kosovo-Krise sich auf die Bundeswehr ausgesprochen positiv emotional ausgewirkt hat - in einer Weise, wie ich das nur noch vergleichbar gefunden habe bei dem früheren Verteidigungsminister Georg Leber, der es ja auch verstand, die Soldaten emotional zu packen. Mag sein, dass das jetzt anders geworden ist, es haben sich ja auch andere Verhältnisse ergeben. Die Notlage, die spannungsgeladenen Krisenzeiten wie noch vor einiger Zeit im Kosovo, gibt es ja nicht mehr. Und dann gibt es eben wieder den Alltag mit den Alltagssorgen - Stichwort 'Beförderungs- und Verwendungsstau', Stichwort 'Garnisonenverringerung', Stichwort 'Umstrukturierung der Bundeswehr' und vieles andere mehr. Und da muss man eben nüchtern vorgehen, und da ist also für das, was für Soldaten besonders wichtig ist, auch ein Band emotionaler Zuwendung zu unterhalten, nicht so viel Platz, wie das bei früherer Gelegenheit in dieser Phase der Krise, in dieser Phase der Not sich ergeben hat.
Clement: Wenn man sich überlegt, dass die Bundeswehr jetzt ja wieder in eine neue Struktur geht, wo sie die alte eigentlich noch gar nicht richtig eingenommen hat, hat das natürlich Auswirkungen auf die Befindlichkeit von Soldaten, auch auf ihre persönliche Lebensplanung. Wie schlägt sich das bei ihnen so nieder?
Penner: Also, bisher habe ich dabei feststellen können, dass die Truppe den neuen Entscheidungen mit gespannter Erwartung entgegensieht, dass daraus aber noch nicht ein konkreter Ärger, Kummer oder gar Schmerz erwachsen ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die konkreten Entscheidungen erst zu Beginn nächster Woche feststehen - welche Kasernen beibehalten werden, welche Städte Garnisonsstädte bleiben pp. Dann gehe ich allerdings davon aus, dass die angestaute Erwartung, die ja nicht nur die Soldaten - was die berufliche Perspektive betrifft -, sondern auch die Familien, nota bene die Frauen, die ja mehr und mehr auch eigene berufliche Ziele verfolgen, dass die sich niederschlägt in ganz konkrete Aktionen, gegebenenfalls auch in Eingaben an den Wehrbeauftragten.
Clement: Das ist die aktuelle Diskussion in der nächsten Woche. Die aktuelle Diskussion der vergangenen Woche beschäftigte sich mit der uranabgereicherten Munition, die im Kosovo und in Bosnien verschossen worden sein soll. Wie ist das denn in den Eingaben bei Ihnen berücksichtigt worden, welchen Eindruck haben Sie, wie die Truppe mit diesem Thema umgeht?
Penner: Ich habe schon dem Verteidigungsausschuss auf Anfrage eines Abgeordneten berichten können, dass nach dem Sachstand vom vergangenen Dienstag - an dem sich übrigens bis heute nichts geändert hat - es seit dem Aufkommen der Diskussion nach Weihnachten 2000 insgesamt 31 Eingaben gibt, von denen fünf sich mit individuellen Themata befassen, etwa mit der Sorge, eine spezielle Krankheit, die den Petenten plagt, habe möglicherweise mit dem Einsatz im Kosovo und seinen gesundheitlichen Risiken zu tun. Oder eine andere Eingabe beklagt sich darüber, dass die Kassen eine aus der Sicht des Petenten notwendige Nachsorgeuntersuchung nicht durchführt. Der Petent ist inzwischen aus der Bundeswehr ausgeschieden; er begehrt dann, dass die Bundeswehr dann die entsprechende Nachsorgeuntersuchung kostenmäßig trägt. Die Masse der Eingaben hat zum Gegenstand eine angebliche Unterinformation im Hinblick auf Risiken, die von den Resten der Uranmunition ausgehen. Davon sind 16 wortgleich, textgleich, kommen aus derselben Einheit. Weitere fünf beschäftigen sich mit dem gleichen Thema, sind ebenso textgleich - aber nicht textgleich mit den 16. Und die restlichen fünf von den verbleibenden 26 Eingaben sind individuell geschriebene Eingaben, die sich mit dem selben Thema beschäftigen.
Clement: Wenn Sie bei Ihren Truppenbesuchen in die Truppe gehen und über dieses Thema sprechen mit den Soldaten: Haben Sie das Gefühl, dass sich da auch so etwas wie eine Vertrauensfrage an die politische Führung stellt?
Penner: Also, bei meinen Besuchen bei der Truppe war das nicht das vorrangige Thema. Wohl bin ich gefragt worden, als die Diskussion besonders lebendig war, welche Bewandtnis es denn auf sich habe. Und ich habe dann geschildert, dass der Verteidigungsausschuss sich des Themas annehmen würde und dass die Verantwortlichen der Hardthöhe bemüht seien, Licht in das Dunkel zu bringen. Ich hatte also bei meinen Begegnungen mit der Truppe den Eindruck, dass es nicht das Thema Nr. 1 war; wohl aber wurde es als ein Thema angesehen, das wichtig werden könne für sie. Und ich hatte so den speziellen Eindruck, dass es im wesentlichen Unsicherheit war, die durch die lebendige Diskussion hervorgerufen wurde - nicht so sehr konkrete Sorge.
Clement: Seit Anfang des Jahres dienen Frauen auch in Kampfverbänden, Herr Penner. Haben Sie denn schon einen ersten Eindruck, wie das funktioniert?
Penner: Ja, ich habe am vergangenen Donnerstag einen unangemeldeten Truppenbesuch bei einer Einheit gemacht, bei der 17 Frauen in der Grundausbildung sind. Ich habe mich davon überzeugen können, dass das völlig problemlos vonstatten geht. Ich habe dabei allerdings erfahren, dass für die Grundausbildung das Heeresführungskommando Vorsorge getroffen hat, dass die besten Ausbilder sich für diese Aufgabe bereithalten. Und das ist da auch geschehen. Ich habe auch mit den Frauen selbst gesprochen, und die machten allesamt nicht den Eindruck, als ob sie nun sich einer besonderen Fron unterzögen. Allerdings habe ich auch nicht den Eindruck gewonnen, als ob es nur ein Motiv für die Frauen gäbe, die ich dort kennengelernt habe, in die Bundeswehr zu gehen. Da gibt es sicherlich unterschiedliche Motive, unter anderem auch eines, dass es auch für Frauen reizvoll sein kann, unter den besonderen Bedingungen der Bundeswehr eine berufliche Qualifikation zu erwerben. Ich habe ausdrücklich gefragt, wie es denn so sei im Umgang mit Männern, und ich hatte nicht den Eindruck, dass Befürchtungen, die gelegentlich auch von außen her aber auch von innen in der Bundeswehr geäußert wurden, dass es dabei zu Reibereien zwischen den Geschlechtern kommen könnte. Das war da nicht der Fall. Das erschien als ein völlig unangespanntes Verhältnis. Und man muss dabei bedenken: Die Ausbildung geht gemeinsam mit den jungen Soldaten vonstatten.
Clement: Herr Penner, Sie haben gerade davon gesprochen, die Bundeswehr ist zur Zeit eine Einsatzarmee, hat ein mehr oder weniger dauerhaft ein großes Kontingent im Kosovo. Sie haben auch die materielle Ausstattung angesprochen in Ihren Einleitungsbemerkungen. Blutet die Bundeswehr materiell im Inneren aus, weil sie mit ihrem Material im Prinzip im Einsatz ist?
Penner: Also, von den Kümmernissen der Unzulänglichkeit der Sachausstattung habe ich insbesondere bei einem Besuch erfahren. Das war allerdings auch eine Instandsetzungseinheit, die die Gelegenheit wahrgenommen hat, allerlei Kuriositäten mir zu erzählen, die aber seit Jahr und Tag bekannt sind. Es ist wahr, das lässt sich wohl nicht bestreiten, dass - um im Slogan des Verteidigungsministeriums zu reden - der Haushalt für die Verteidigung, also der Einzelplan 14, auf Rand genäht ist'. Das ist wohl wahr, aber es ist immer auch dabei hinzuzufügen, dass die Ausstattung des Einzelplan 14 immer etwas besonderes gewesen ist. Jedenfalls kann ich das für die Zeit sagen, in der ich das Ganze aktiv politisch verfolge - und das sind mittlerweile bald 30 Jahre; ich bin ja 1972 erstmals in den Bundestag gekommen. Nein. Von einem habe ich mich allerdings überzeugen können: Die Ausstattung der Bundeswehr im Einsatz, ich meine jetzt in diesem Fall im Kosovo, die ist in Ordnung. Also, da hat die Bundeswehr keine Beschwer, und in Teilgebieten ist die Bundeswehr dabei erstklassig ausgestattet. Also was das Sanitätswesen der Bundeswehr im Einsatz angeht - Lazaretts im Kosovo -, das hält jedem Vergleich stand, und die Leistungen der Soldaten im übrigen auch.
Clement: Würden Sie vor dem Hintergrund der in Deutschland - ich sage mal - zurückgelassenen Truppenteilen vorhandenen Mängel sich wünschen, dass der Verteidigungshaushalt doch etwas angehoben wird?
Penner: Das ist eine politische Entscheidung, die meine früheren Kollegen zu entscheiden haben und das Bundesverteidigungsministerium, also Bundesverteidigungsminister und Bundesregierung. Natürlich hat da der Wehrbeauftragte wenig einzubringen, sollte er auch nicht tun. Er sollte sich nicht in konkrete politische Streitfragen einmischen. Nur eines ist unabweisbar: Eine Bundeswehr, die ein erweitertes Tätigkeitsfeld zugewiesen bekommt, wie das ja seit einigen Jahren der Fall ist - was von mir aus nicht zu kommentieren ist -, muss sich darauf einrichten, dass das auch was kostet. Zum Nulltarif ist das nicht zu machen.
Clement: Herr Penner, es gab immer wieder Diskussionen in letzter Zeit - in den letzten Jahren vor allen Dingen - um rechtsradikaler, ausländerfeindlicher - wobei das nicht das Gleiche sein muss - Vorkommnisse innerhalb der Bundeswehr. Wie sehen Sie die Entwicklung da?
Penner: Der Wehrbeauftragte bekommt unter der Rubrik 'Besondere Vorkommnisse' alle diese Vorkommnisse mit rechtsradikalem Hintergrund, die auch der Hardthöhe mitgeteilt werden, direkt gemeldet. Das heißt also, nachdem, was ich bisher an diesbezüglichen Meldungen bekommen habe, sieht die Sache so aus: Im Jahr 2000 hatten wir einen spürbaren Anstieg gegenüber dem Vorjahr, das weisen die Zahlen aus. Ich glaube, sie waren 25 Prozent höher als im Vorjahr. Aber man muss auch zusätzlich hinzufügen dürfen, dass die Zahlen, die in der Bundeswehr zu registrieren waren, nicht etwa einen überproportionalen Anstieg gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft bedeutet haben. Und zusätzlich muss man auch erwähnen, dass die Vorfälle, die meist Äußerungstatbestände sind - also Zeigen des Hitlergrußes, Gröhlen von NS-Liedern im trunkenen oder im nüchternen Zustand, Beschmieren von Kasernenwänden, auch Toilettenwänden mit Nazisymbolen oder Übermitteln von SMS-Nachrichten mit ausländerfeindlichem Hintergrund usw. -, dass eine überwiegende, ja erdrückende Anzahl solcher Entgleisungen von Grundwehrdienstleistenden und Länger-Wehrdienstleistenden verübt worden sind und Zeitsoldaten und Berufssoldaten demgegenüber ganz geringfügig betroffen sind. Das ist auch seit Jahren schon so, auch in diesem Jahr wurden diese Vorkommnisse in einer Größenordnung von etwa 80 Prozent von Grundwehrdienstleistenden und Länger-Wehrdienstleistenden verübt. Das heißt nicht, dass die Bundeswehr nicht aufpassen müsste. Die Bundeswehr ist ja - das kann man ja sagen - die stärkste Macht im Staate oder die Institution, die am stärksten Macht verkörpert. Sie ist straff durchorganisiert, sie ist über das Uniformwesen und über das Erlernen von Umgang mit Waffen und Gewalt natürlich für Rechtsextremisten immer in besonderer Weise begehrliches Objekt. Und das heißt also: Bei einer solchen Institution wie der Bundeswehr - übrigens abgestuft auch der Polizei - muss immer ein besonderes Auge auf einen scharfen Trennungsstrich, auf das Funktionieren der Brandmauer, das Intakthalten der Brandmauer zum Rechtsextremismus gepachtet werden. Und ich habe den Eindruck, dass die Verantwortlichen der Bundeswehr, übrigens auch die militärisch Verantwortlichen der Bundeswehr, das sehr wohl sehen, denn da sie international auch tätig sind, wissen sie, welches Echo gerade beim Wiederaufflammen des Rechtsextremismus im Ausland, was vielleicht sonst von Deutschland kaum Notiz nimmt, was für ein Echo solche Ereignisse auslösen.
Clement: Sie haben also den Eindruck, dass das, was an Programm ja mal vorgelegt worden ist von der Bundeswehr vor 1 - 2 Jahren, um dieses Thema in den Griff zu bekommen, dass das funktioniert, greift und auch noch umgesetzt wird?
Penner: Es gibt ja ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang, bei dem das Parlament auch in besonderer Weise aufmerksam ist, das ist das Thema 'Politische Bildung'. Nun weiß ja jeder, der sich ein bisschen mit diesem beschäftigt, dass die Bundeswehr nun nicht etwas nachholen kann, was die Gesellschaft insgesamt nicht schafft. Aber die Bundeswehr gibt sich doch alle Mühe, einen Anteil zu leisten, dass das bei ihr einigermaßen in Ordnung ist. Und das heißt also: Die Bundeswehr hat gelernt, dass es nicht allein mit dem Auswendiglernen von Staatsbegriffen, von Begriffen aus der Staatsorganisation - wer ist Bundeskanzler, wer Verteidigungsminister, wer Bundespräsident ist - getan ist, sondern dass sie versuchen müssen, dieses Thema so nahe wie möglich an die einzelnen Soldaten heranzuführen. Und dabei sind Wege gefunden worden, die ich nur begrüßen kann - etwa die Besuche von Konzentrationslagern nach entsprechender Vorbereitung, das Hinfälligmachen von Folgen, wenn es zu totalitären Entgleisungen durch einen Staat kommt, insbesondere durch Deutschland. Das hat jedenfalls größere Chancen, etwas hinfällig zu machen, eine Diskussion auszulösen, als papierene Erkenntnisse vom Mittel zu wollen in einer Zeit, die ja im wesentlichen auch durch Bilder bestückt ist.
Clement: Herr Penner, Sie haben gesagt, die aktuellen politischen Diskussionen seien nicht unbedingt das, wo Sie sich einmischen wollen. Aber gelegentlich werden Sie gefragt, was Sie denn von der Wehrpflicht halten. Sie haben eine kritische Haltung dazu mal durchblicken lassen. Wie stehen Sie zur Wehrpflicht, wie lange kann die noch aufrecht erhalten werden angesichts der Zahlen und der Daten, die wir haben?
Penner: Ich habe Bemerkungen zur Wehrpflicht gemacht, ohne zur Wehrpflicht selbst Stellung zu nehmen. Das gehört sich auch nicht für den Wehrbeauftragten, weil der Wehrbeauftragte ja keine Kontrolltätigkeit eigener Art ausübt, sondern eine artgeleitete. Der Wehrbeauftragte ist in der Sprache der Verfassung das Hilfsorgan des Parlaments bei der parlamentarischen Kontrolle und hat darauf zu achten, dass die Grundrechte für die Soldaten gewährt bleiben. Und das ist ein Stichwort gewesen - die Wahrung der Grundrechte für die Soldaten. Ich bin in der Tat der tiefen Überzeugung, dass es keine staatliche Inpflichtnahme gibt, die so tief greift, wie die Wehrpflicht - aus dem einfachen Grunde, weil diese Inpflichtnahme ja verbunden ist gegebenenfalls auch Leib und Leben einzusetzen. Und das bedeutet, dass man in besonderer Weise bei der rechtlichen Legitimation sorgfältig achten muss, ob diese Inpflichtnahme, die ja auch in Grundrechtspositionen eingreift, immer in Ordnung ist. Und dabei muss man einen Blick auf verschiedenes haben, einen Blick darauf, ob die veränderten sicherheitspolitischen Umstände sich denn auswirken können auf Legitimation. Wir wissen ja: Der Auftrag der Bundeswehr ist erweitert worden um Einsatzfähigkeit über den Verteidigungsauftrag hinaus. Und sicherlich ist auch von Belang, dass man einen Blick haben muss auf die Anzahl derer, die nun tatsächlich Wehrpflicht leisten, weil es auf die dann ankommt im Verhältnis zu denen, die das nicht tun. Und schließlich ist natürlich auch wichtig - also ich würde mal sagen, metajuristisch politisch nicht uninteressant -, dass Staaten wie Italien, Frankreich und Spanien die Wehrform wechseln oder gewechselt haben hin zur Freiwilligenarmee, und dass damit die Bundesrepublik Deutschland der einzige alte große NATO-Staat ist, der noch bei der Wehrpflicht bleibt. Auf Gesichtspunkte dieser Art habe ich hingewiesen. Daraus ist - aus meiner Sicht - fälschlicherweise der Eindruck erweckt worden, ich sei ein Skeptiker für Wehrpflicht. Also, ich bin eher ein Anhänger von Pflichten, weil ich protestantisch geprägt bin. Aber im Hinblick darauf, dass der Wehrbeauftragte gehalten ist, besonders einen Blick auf den Grundrechtskatalog zugunsten der Soldaten zu haben, habe ich mich angesichts der geschilderten Tatsachen schon für berechtigt gehalten, auf Aspekte hinzuweisen, die zu beachten sind - ganz abgesehen davon, dass es darüber hinausgehende allgemein politische Aspekte gibt, die nun wirklich bei aller Wirkungsmäßigkeit des Wehrbeauftragten entzogen sein sollten. Nein, ich will auch nicht den Anschein erwecken, als ob einer, der jetzt 28 Jahre lang Bundestagsabgeordneter in unterschiedlichen Funktionen gewesen ist, jetzt gewissermaßen als Oberguru - Dinosaurier in der Politik - sich veranlasst sieht, den aktiven Bundestags-abgeordneten etwas ins Stammbuch zu schreiben. Das liegt mir völlig fern.
Clement: Aber der politische Mensch Wilfried Penner ist, wenn ich das richtig verstehe, für die Wehrpflicht - aber sie muss anders und besser begründet werden, als das zur Zeit geschieht?
Penner: Also, ich will es bei diesen Bemerkungen bewenden lassen. Ich bin schon der Meinung, dass es des Schweißes der Edlen wert ist, ständig bemüht zu sein, die Qualität der rechtlichen Legitimation für die Wehrpflicht im Auge zu behalten, ganz abgesehen davon, dass schon Herzog - und in seiner Nachfolge auch Rau - auf die Notwendigkeit der erneuten Befestigung der politischen Legitimation durch einen intensiven Dialog innerhalb der Gesellschaft aufmerksam gemacht haben. Das halte ich auch für richtig. Es kann ja die Möglichkeit nicht von der Hand gewiesen werden, dass andernfalls das Bundesverfassungsgericht, das sich übrigens letztmals zur Legitimität der Wehrpflicht im Jahr 1960 geäußert hat, dass sich das Bundesverfassungsgericht in einer völlig anderen Zusammensetzung und bei völlig veränderten Rahmendaten zu Entscheidungen veranlasst sieht, die dann die Politik in die Rolle des Getriebenen hineinbringt. Es gibt ja schon einen Vorlagebeschluss des Landgerichts Potsdam beim Bundesverfassungsgericht, bei dem allerdings noch keinen Termin gibt. Das steht also dahin. Aber es ist natürlich theoretisch denkbar, dass der eine oder andere Wehrpflichtige - unterstützt von Rechtskundigen - das Grundsatzproblem sieht und eine einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht anstrebt. Aber wie gesagt, dafür gibt es bisher keine Anhaltspunkte, dass das auch geschieht.
Clement: Herr Penner, als die neue Bundesregierung ins Amt kam vor zweieinhalb Jahren, hat Minister Scharping eine Rundreise gemacht durch die Armee, mit allen gesprochen. Das hat er noch einmal wiederholt. Man hatte damals als Beobachter das Gefühl, da kommt ein neuer Geist, ein neues Vertrauen zwischen Soldaten und politischer Führung auf. Haben Sie den Eindruck, dass das heute noch genau so Bestand hat wie es damals angefangen worden ist?
Penner: Also, ich höre selten, ganz selten Klagen darüber, dass eine persönliche Verantwortung festgemacht wird für Dinge, die als lästig, falsch oder gar völlig verfehlt bezeichnet werden. Das höre ich nicht. Ich habe übrigens in früherer Zeit auch den Eindruck gewonnen, dass das Engagement von Scharping, was ja besonders dicht erschien, während der Kosovo-Krise sich auf die Bundeswehr ausgesprochen positiv emotional ausgewirkt hat - in einer Weise, wie ich das nur noch vergleichbar gefunden habe bei dem früheren Verteidigungsminister Georg Leber, der es ja auch verstand, die Soldaten emotional zu packen. Mag sein, dass das jetzt anders geworden ist, es haben sich ja auch andere Verhältnisse ergeben. Die Notlage, die spannungsgeladenen Krisenzeiten wie noch vor einiger Zeit im Kosovo, gibt es ja nicht mehr. Und dann gibt es eben wieder den Alltag mit den Alltagssorgen - Stichwort 'Beförderungs- und Verwendungsstau', Stichwort 'Garnisonenverringerung', Stichwort 'Umstrukturierung der Bundeswehr' und vieles andere mehr. Und da muss man eben nüchtern vorgehen, und da ist also für das, was für Soldaten besonders wichtig ist, auch ein Band emotionaler Zuwendung zu unterhalten, nicht so viel Platz, wie das bei früherer Gelegenheit in dieser Phase der Krise, in dieser Phase der Not sich ergeben hat.