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Per Floß nach Madagaskar

Zoologie. - Wie Madagaskar zu seiner einzigartigen Tierwelt gekommen ist, war lange Zeit umstritten. Denn viele Landtiere haben sich nachweislich erst auf Madagaskar angesiedelt, nachdem sich die Insel schon vor circa 90 Millionen Jahren vom Festland getrennt hat. Einige davon vermutlich per Floß.

Von Tomma Schröder | 20.03.2012
    Eine Insel, etwa 80 Meter im Durchmesser, mit etwas Gestrüpp und einem Baum darauf driftet über den Ozean. Ein Affe hängt im Baum, vielleicht dreht sogar ein Jaguar verzweifelt seine Runden um die kleine Insel. Ein solches Bild muss keine reine Fiktion sein, behauptet Karen Samonds, Paläontologin an der University of Queensland in Brisbane.

    "Es ist ein lustiges Bild. Wir behaupten natürlich nicht, dass die Tiere sich eine Art Boot gebaut haben. Aber es gibt viele Anekdoten, die von schwimmenden Inseln und Flößen berichten. Dabei brechen nach heftigen Stürmen große Klumpen der Vegetation von den Ufern ab. Und teilweise sind die relativ groß: Es gibt Zeugnisse von bis zu 100 Meter großen Inseln, die teilweise mehrere 100 Kilometer weit von ihrem Ursprungsort entfernt gesichtet wurden. Sie können den Berichten zufolge Bäume oder kleine Frischwasserreservoirs beherbergen – und auch große Säugetieren, wie Affen oder Jaguare."

    Besonders wichtig, so sagt Karen Samonds, seien diese bewohnten Flöße für die Artenvielfalt auf Madagaskar gewesen. Die Paläontologin ist allerdings nicht die erste, die diese These vertritt. Sie wurde bereits 1940 aufgestellt, um zu erklären, wieso viele Tierarten sich noch auf Madagaskar ansiedeln konnten, nachdem es – vom afrikanischen und asiatischen Festland losgelöst – zur Insel geworden war. Doch erst eine ozeanografische Studie vor zwei Jahren konnte zeigen, dass die Meeresströmungen bis vor 15-20 Millionen Jahren noch anders verliefen als heute und tatsächlich dafür gesorgt haben könnten, dass abgebrochene Erdklumpen mitsamt der darauf befindlichen Fauna nach Madagaskar gelangen konnten.

    "Dieser Artikel hat uns tatsächlich eine Tür geöffnet. Wenn wir denken, dass die Tiere mit Hilfe solcher driftenden Inseln nach Madagaskar gekommen sind – auch wenn das nur sehr selten vorkam – dann können wir jetzt eine Prognose machen: Wir können vorhersagen, wann welche Tiere auf Madagaskar angekommen sein müssten."

    Karen Samonds hat also stammesgeschichtliche Daten zusammengetragen, die zeigen konnten, wann welche Tierstämme nach Madagaskar gekommen sind, woher sie kamen und ob sie Flug- oder Landtiere waren. Diese Informationen hat sie dann in Verbindung mit den zur Ansiedlungszeit vorherrschenden Meeresströmungen und der Entfernung der Insel von anderen Landmassen gebracht.

    Demnach nimmt die Zahl der angesiedelten Landtiere mit der Zeit immer stärker ab. Vor knapp 100 Millionen Jahren, als Madagaskar noch mit Teilen des asiatischen Kontinents zusammenhing, waren die Landtiere deutlich in der Überzahl. Nach der Isolation der Insel vom Festland vor circa 90 Millionen Jahren sinkt ihr Anteil. Erst langsam, dann plötzlich stark:

    "Wenn wir annehmen, dass die driftenden Inseln eine Erklärung für die moderne Tierwelt auf Madagaskar sind, dann müssten wir hohe Ankunftsraten haben, so lange die Meeresströmungen in die richtige Richtung verliefen. Und tatsächlich war die Anzahl der fliegenden und schwimmenden Tiere in einem sehr frühen Stadium noch ungefähr genauso hoch wie die der Landtiere. Aber nachdem die Meeresströmung vor Madagaskar die Richtung geändert hatte, nahm die Menge der angesiedelten Landtiere schlagartig ab. Stattdessen dominierten Tiere, die fliegen können, wie Vögel und Fledermäuse."

    Dieser Zusammenhang zeige, dass die Landtiere über Flöße nach Madagaskar kamen und nicht über eine Landbrücke, wie früher vermutet wurde, meint Samonds. Ihre Analyse möchte sie darüber hinaus aber auch als Modell für andere Inseln verstanden wissen.

    "Wir hoffen, dass diese Analyse uns nicht nur hilft Madagaskar besser zu verstehen, sondern vielleicht auch die Tierwelt anderer isolierter Inseln. Denn es gibt andere Gegenden, wo wir keine direkten Hinweise wie Fossilien haben. Und dort könnte uns diese Verbindung von Biogeografie und Daten über vorherrschende Meeresströmungen und Winde in der Vergangenheit dabei helfen, zu verstehen, was in der Vergangenheit passiert ist."