Donnerstag, 02. Mai 2024

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Persönliche Haftung von Politikern

Sanders: Die Enthüllungen um die Parteispendenaffäre der CDU wollen gar nicht enden. Immer neue Details kommen ans Tageslicht. Und nicht nur durch diese Affäre ist der Berufsstand des Politikers ins Gerede gekommen. Selbst der Bundespräsident musste sich Kritik gefallen lassen, weil er Flüge auf Kosten der WestLB unternommen hat, und auch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel - auch ihm geht es nicht viel besser. Auch hier Kritik, weil er auf Landeskosten zu Parteiveranstaltungen gereist sein soll. Hans-Joachim Vogel, ehemaliger Vorsitzender der SPD, ist heute Mitglied im Beirat der unabhängigen Kommission zur Parteienfinanzierung. Und als erstes fragte ich ihn, ob sich überhaupt eine scharfe Trennlinie zwischen Amts- und Parteiaufgaben ziehen lässt.

08.02.2000
    Vogel: Ja, das ist nicht ganz einfach, weil das ja gerade auch für einen Ministerpräsidenten gelegentlich ineinander übergeht. Dennoch empfiehlt sich Sorgfalt und auch die Vermeidung falschen Anscheins. Eines allerdings empfinde ich bei den aktuellen Vorwürfen als abwegig, dass man also einem Ministerpräsidenten vorwirft, dass er nach Erledigung seines dienstlichen Termins anschließend am selben Ort auch noch einen Parteitermin wahrnimmt. Das ist alles schwer verständlich. Heißt das, dass der Ministerpräsident, bevor er den Parteitermin wahrnimmt, erst wieder nach Hause fliegen oder fahren soll? Also, da - glaube ich - sollte man doch bei aller Aufgeregtheit, die ja auch gut zu verstehen ist aus anderem Anlass, mit etwas mehr Besonnenheit die Dinge beurteilen.

    Sanders: Es ist ja aber auch schon der Verdacht aufgekommen: Vielleicht hat man sich diesen einen offiziellen Termin nur dort hingelegt, um anschließend den Partei-Termin wahrnehmen zu können.

    Vogel: Also gut, wenn das nur eine Konstruktion ist, dann ist bei strengen Maßstäben - und ich neige ja im Zweifel eher zu strengen Maßstäben - Kritik angebracht. Aber das muss man wirklich dann im Einzelfall betrachten. Außerdem: Ein Ministerpräsident, der vor seiner eigenen Partei Rechenschaft gibt, beispielsweise über seine Arbeit als Ministerpräsident - wem würden Sie denn das zurechnen?

    Sanders: Also offenbar eine Grauzone.

    Vogel: Ja, was heißt Grauzone? Ich meine, das Leben ist halt komplexer als man sich das bei der ersten Betrachtung vorstellt, nicht wahr? Ich würde ganz scharf urteilen, wenn es sich um Privatangelegenheiten handelt, wenn also der Verdacht auftritt, es sei aus privaten Gründen ein bestimmter Termin an einen bestimmten Ort gelegt worden. Da ist also größer Skepsis am Platz. Aber im anderen Fall - noch einmal: Ein Ministerpräsident muss ja auch seiner eigenen Partei gegenüber seine Tätigkeit als Ministerpräsident begründen und darlegen, oder?

    Sanders: Also, wenn man denn in der Funktion des Ministerpräsidenten zu seiner Partei fährt, das kann man dann durchaus auf Landeskosten machen, meinen Sie?

    Vogel: Wenn es darum geht, dass er seine Tätigkeit und seine Politik als Ministerpräsident darlegt.

    Sanders: Brauchen wir eine Art Verhaltenskodex, wo genau aufgelistet wird, in welchen Situationen ein Politiker was machen kann?

    Vogel: Es ist eine deutsche Neigung, in solchen Fällen immer zunächst nach neuen und noch spezielleren Vorschriften zu rufen. Sicher soll man prüfen, ob da und dort noch etwas zu verbessern ist. Das ist ja auch Aufgabe der jetzt - wie in den vorhergehenden Legislaturperioden - erneut berufenen Parteienfinanzierungs-Kommission. Die wird das auch mit noch größerer Sorgfalt machen, wie in den letzten Perioden. Nur: Entscheidend ist, dass die Menschen Versuchungen widerstehen und dass sie auch den bösen Schein meiden. Das menschliche Verhalten ist das Entscheidende.

    Sanders: Sie haben es gerade angesprochen: Sie sind Mitglied im Beirat der unabhängigen Kommission zur Parteienfinanzierung. Glauben Sie, Herr Vogel, dass in Zukunft Politiker persönlich verantwortlich gemacht werden müssen, also mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden müssen, wenn der Rechenschaftsbericht nicht in Ordnung ist?

    Vogel: Also, ob es strafrechtliche Sanktionen sein müssen, die über den jetzt ja schon geltenden Untreueparagraphen des Strafgesetzbuches hinausgehen, das wird die Kommission zu prüfen haben. Aber dass eine persönlich Haftung - nicht nur eine Haftung der Partei - ins Auge gefasst wird, dafür scheinen mir dann schon eine ganze Reihe von Gründen zu sprechen - etwa in dem Fall, der uns ja nun schon seit Wochen bewegt, auch wegen des Schweigens des ehemaligen Bundeskanzlers. Jetzt ist ja nur die Partei verpflichtet, jetzt sozusagen Gelder zurückzuzahlen, um eben dem Gesetz Genüge zu tun. Da könnte man schon daran denken, dass eine persönliche Haftung eintritt.

    Sanders: Und welche Konsequenzen könnte die denn haben?

    Vogel: Ja, die würde bedeuten, dass sich der Betreffende ganz erheblichen finanziellen Risiken aussetzt, dass er denn also in einem gewissen Umfang dann auch als Person zu Zahlungen herangezogen wird, und nicht nur seine Partei.

    Sanders: In welcher Art und Weise gäbe es denn Ihrer Meinung nach eine Möglichkeit, beispielsweise die Kontrollbefugnisse des Bundestagspräsidenten zu erweitern, damit die Rechenschaftsberichte anders und genauer detaillierter überprüft werden können?

    Vogel: Nun, die Bestimmungen über die Detaillierung der Rechenschaftsberichte sind ja jetzt schon ziemlich konkret. Außerdem muss jeder Rechenschaftsbericht zunächst von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft werden, die ja auch strengen berufsständischen Vorschriften unterliegt. Also, ich will den Beratungen der Kommission nicht vorgreifen, aber wissen Sie: Es hat ja auch jetzt schon nicht an den Vorschriften gefehlt, sondern daran, dass die Vorschriften in einer Art und Weise umgangen worden sind, wie sich niemand hat vorstellen können. Selbst die misstrauischsten Medien - auch Ihr Sender beispielsweise - haben sich das gar nicht vorstellen können. Insofern sind wir also wieder an dem Punkt, wie Menschen sich verhalten. Und da könnte dann die eben besprochene persönliche Haftung in einem gewissen finanziellen Umfang für falsche Erklärungen vielleicht eine gewisse Wirkung tun.

    Sanders: Herr Vogel, welche Konsequenzen müssen wir denn noch ziehen aus der vorliegenden Parteispendenaffäre?

    Vogel: Ja, das steht ganz am Anfang, und ich gehöre nicht zu denen, die also schon nach wenigen Tagen und Wochen da fertige Konzepte haben. Der wunde Punkt ist nach wie vor das Spendenwesen. Da könnte man also beispielsweise daran denken, dass die Spenden über eine neutrale Stelle geleitet werden und dass der neutralen Stelle gesagt wird: ‚Ich bin der Spender sowieso, und möchte die Spende dieser oder jener Partei geben'. Es ist also eine neutrale Stelle, die diesen Spendenvorgang festhält und dokumentiert.

    Sanders: Wo könnte diese neutrale Stelle denn angesiedelt sein?

    Vogel: Nun, sie müsste im öffentlichen Bereich angesiedelt sein. Man könnte an den Bundestagspräsidenten denken, obwohl ich selber Zweifel habe, ob man hier nicht den Bundestagspräsidenten überfrachtet mit derartigen Dingen. Aber sie könnte vielleicht auch beim Rechnungshof angesiedelt werden. Es gibt noch weitere Möglichkeiten; das muss man in Ruhe prüfen. Damit wäre also von vornherein sichergestellt, dass nur das, was über eine solche neutrale Stelle geht, eine ordnungsgemäße Spende ist. Und was diesen Weg nicht benützt hat, steht dann mit der Rechtsordnung nicht im Einklang.

    Sanders: Herr Vogel, sollten denn auch Unternehmen weiterhin spenden dürfen?

    Vogel: Ja, da gibt es immer wieder den Vorschlag, dass juristische Personen - denn ‚Unternehmen' ist ein unscharfer Begriff, es gibt ja auch Einzelkaufleute oder OHG's, da wird immer wieder gesagt, die sollten das nicht dürfen. Aber wissen Sie, dann spendet halt ein Prokurist oder ein Vorstandsmitglied, oder jemand, der das treuhänderisch tut. Damit wird die Sache eher schwerer durchschaubar und nicht leichter.

    Sanders: Hans-Joachim Vogel war das, ehemaliger Vorsitzender der SPD und heute Mitglied im Beirat der unabhängigen Kommission zur Parteienfinanzierung. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Link: DeutschlandRadio Magazin