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Persönlichkeit statt gute Noten

Einige Großkonzerne achten bei der Auswahl der Lehrlinge nicht mehr so stark auf die Schulnoten der Bewerber. Stattdessen testen sie die Kandidaten lieber selbst auf ihre beruflichen und sozialen Fähigkeiten. Die Unternehmen reagieren damit auch auf die demografische Entwicklung.

Von Susanne Arlt | 26.07.2013
    "Also es geht hier im Großen und Ganzen nur darum, aus Aufgaben Information herauszufiltern."

    Max Witte sitzt vor einem Laptop. Der 20-jährige Azubi führt vor, wie er sich vor einem Jahr bei der Siemens AG beworben hat, klickt auf den Button Konzentrationsfähigkeit.

    "Da muss man schnell erkennen, ob es so ist - der nicht - und dann muss man richtig oder falsch klicken. Es geht quasi nur um schnelle Reaktion."

    Bei drei Unternehmen hat er sich beworben. Schickte dazu die üblichen Bewerbungsunterlagen schriftlich ein. Dazu zählen das Anschreiben, der Lebenslauf und natürlich das Schulzeugnis. An Letzterem aber hatte Siemens kein Interesse. Stattdessen musste der Abiturient an einem Online-Test teilnehmen. Dort wurden unter anderem sein numerisches Verständnis, logisches Denken, verbales Verständnis und eben seine Konzentrationsfähigkeit abgefragt. Nicht alle Übungen seien so einfach gewesen wie diese, sagt Max Witte. Gesucht wird der Buchstaben E mit drei Punkten.

    "Zwei Minuten hat man. Umso … oh, falsch. Umso viel wie möglich E herauszufiltern."

    Neben ihm sitzt Azubi Sebastian Schaub. Auch er hat sich vor einem Jahr beworben. Aber nicht alle Firmen, die er angeschrieben hat, haben ihn auch eingeladen. Das habe wohl an seinem Notendurchschnitt gelegen, sagt der 17-Jährige selbstkritisch.

    "Na ja, Verhalten und so was war nie so gut. Deswegen war halt bei manchen Lehrern eine schlechtere Note und ich denke schon, dass ich da bei manchen, wie zum Beispiel Rolls-Royce, nicht genommen wurde deswegen. Aber dadurch, dass Siemens nicht so einen Notenfilter hat, war es für mich halt von Vorteil."

    Grundsätzlich mangelt es Siemens derzeit noch nicht an Bewerbern - einzelne Sparten vielleicht ausgenommen. Aber der Kampf um die Azubis habe längst begonnen, sagt Norbert Giesen, Leiter des Bewerbungsmarketings. Siemens denkt darum schon seit ein paar Jahren bei seiner Azubisuche um. Der Konzern bietet benachteiligten Jugendlichen ein besonderes Ausbildungsprogramm an. Und seit einem Jahr muss sich jeder Lehrstellenanwärter mit dem Online-Test bewerben. Das Zeugnis spiele erst im Bewerbungsgespräch eine untergeordnete Rolle, betont Giesen und glaubt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

    "Wir kommen auch an Bewerber ran, die vielleicht auch mal ein bisschen Pech hatten. Wo auch die Verhaltensmuster zwischen Lehrer und Schüler nicht so gut geschwungen haben. Und das Zweite: Wir sind schneller geworden. Ist auch für den Bewerber einfach besser, dass wir schneller reagieren und nicht dass da Wochen vergehen, bis er eine Antwort bekommt. Und dadurch ist auch die Bewerberbindung größer."

    Siemens ist nicht das einzige Unternehmen, das bei der Lehrstellensuche so verfährt. Auch beim Automobilbauer Daimler sollen schlechte Noten kein Ausschlusskriterium mehr sein. Von einem Trend will Markus Kiss, Ausbildungsexperte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, trotzdem nicht sprechen. Vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmen seien Schulnoten nach wie vor ein Indiz auf den Leistungswillen ihrer Bewerber.

    "Aber da es immer weniger Bewerber gibt, ist man durchaus auch mal geneigt, ein Auge zuzudrücken. Generell können Unternehmen wohl weniger verzichten auf die sogenannten Sekundärtugenden. Also Disziplin, Leistungsbereitschaft, Pünktlichkeit. Wenn man da sieht, dass da einiges im Argen ist, schrecken Unternehmen eher zurück als bei einer schlechten Mathe- oder Deutschnote."

    Denn bei diesen schulischen Schwächen kann im Zweifel immer noch ein bisschen nachschrauben. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Auszubildenden darum Nachhilfeunterricht an. Aufgrund der demografischen Entwicklung bekämen heute leistungsschwache Schüler eine Chance, die sie vor zehn Jahren noch nicht gekriegt hätten, sagt Kiss. Bei über einer Million weniger Schüler geht den Firmen schlichtweg der Nachwuchs aus. Der anhaltende Trend zum Hochschulstudium sei da nicht gerade förderlich. Dabei biete das duale System mit 340 Berufen auch gut bezahlte Jobs, so der DIHK-Ausbildungsexperte. Die Deutsche Bahn AG kann derzeit nicht über einen Mangel an Interessenten klagen. Dennoch hat sich das Unternehmen entschieden, Schulnoten generell weniger wichtig zu nehmen. Pressesprecherin Dagmar Kaiser:

    "Wer sich Schulzeiten darauf konzentriert, Lernen zu lernen, wer gute Noten hat, wird sicherlich es auch leichter haben bei so einem Onlinetest. Wir haben gemerkt und das sagen uns auch die Experten, dass uns Talente verloren gehen, die wir jetzt entdecken wollen und da sind die Schulnoten nicht das allein selig machende."

    Vivien Haupt hat sich noch nach traditioneller Manier beworben. Die Auszubildende hat sich in der Schule angestrengt und konnte mit ihren guten Noten überzeugen. Dass die schulischen Leistungen künftig weniger wert sind, findet sie trotzdem gut.

    "Es gibt so viel in der Schule, wo die Lehrer unterschiedlich bewerten. Man kann nicht alles an den Noten festmachen, deswegen finde ich es gut, dass jeder gleichgestellt wird, jeder die gleichen Chancen hat, sich einfach durchzusetzen."