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"Personalabbau ist eine Frage des strategischen Kalküls geworden"

Die öffentliche Empörung über den großen Stellenabbau beim Allianz-Konzern hat der Werteethiker Josef Wieland mit einem moralischen Tabubruch erklärt. Personalabbau werde nur "als letztes Mittel in Krisenzeiten" akzeptiert, sagte der Professor für Ökonomie an der Fachhochschule Konstanz, "nicht aber, wenn die Botschaft lautet: Die Gewinnlage ist gut."

Moderation: Michael Köhler |
    Michael Köhler: Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Toben will Gespräche führen und NRW-Regierungschef Rüttgers fand deutliche, kritische Worte zur Ankündigung der Allianz, massiv Stellen zu streichen, Standorte zu schließen und Arbeitsplätze abzubauen. Von insgesamt 7.500 Stellen ist die Rede bei der Allianz und der Konzerntochter Dresdner Bank. Schließungen in Dortmund, Aachen und Köln machten Nordrhein-Westfalen zur Allianz-Freien-Zone sagten Kritiker. Und wieder einmal nach Mercedes oder VW gibt es einen, für den gemeinen Menschenverstand zumindest Widerspruch zwischen Ertragslage und der Ankündigung Stellen zu streichen. Fragen wir also mal Josef Wieland, der ist Professor für Ökonomie, sowie Philosoph und leitet das Institut für Wertemanagement an der Fachhochschule Konstanz, das ist ein Zentrum für Wirtschaftsethik. Herr Wieland, war das die richtige Entscheidung der Allianz?

    Josef Wieland: Na bei solchen Fällen gibt es immer zwei Aspekte. Der eine ist der betriebswirtschaftliche Aspekt: Gibt eine solche Notwendigkeit, ist es so, um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben und Standorte zu generieren, die konkurrenzfähig sind, dass die Personalkosten runter müssen, die Personalkosten effizienter sein müssen. Das sind Maßnahmen, die das Management entscheiden muss, da hat die Öffentlichkeit in der Regel auch gar nicht die Daten.

    Aber insgesamt gilt hier natürlich auch die Frage, Personal ist ja nur ein Parameter. Es gibt ja viele die ein Unternehmen hat, Wettbewerb zu generieren: bessere Produkte, bessere Abläufe, besserer Service. Und ich denke man muss darauf achten, dass das geklärt ist. Das ist eine andere Frage. Der Aufschrei der Empörung kommt natürlich daher, dass hier eigentlich ein moralisches Tabu des rheinischen Kapitalismus, also unserer Gesellschaft, verletzt wird, nämlich dass Personalabbau nur als letztes Mittel in Krisenzeiten sozusagen akzeptiert wird. Nicht aber wenn die Botschaft lautet, die Gewinnlage ist gut, und es ist praktisch eine Frage der Zukunftssicherung der Unternehmen. Also das ist etwas, was in unserer Gesellschaft absolut nicht akzeptiert wird.

    Köhler: Das heißt, man kann es ökonomisch verstehen, damit beispielsweise Fälle wie bei VW nicht eintreten: zu späte Sanierung, zu späte Umstrukturierung. Andererseits kommen wir aber zu einem Problem, vielleicht weil Sie den rheinischen Kapitalismus ansprachen: Das Fehlen individueller Verantwortung, wenn man es nicht mehr mit inhabergeführten Unternehmen zu tun hat. Also der Typus, sage ich mal, des Patriarchen ist im modernen, globalisierten Kapitalismus natürlich weg. Heute gilt als toller Typ, wer ein harter Hund ist. Soll heißen, werden solche sozialen Konflikte mehr werden?

    Wieland: Davon gehe ich aus, und zwar nicht weil ich annehme, dass das Management aus besonders vielen harten Hunden besteht, sondern weil ich glaube einfach, dass sich der Faktor Personal und wie geht man mit Stellen um, dass sich das verändert hat. Sehen Sie, ich habe ja schon darauf hingewiesen: Früher war die Nachricht: gut, das ist sozusagen das unmittelbar letzte Mittel, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Heute ist die Frage des Personalabbaus eine Frage des strategischen Kalküls geworden. Es gibt es einfach eine Entkopplung von der wirtschaftlichen Erfolgslogik und dem, was an Personalstellen sicher ist. Das ist das, was sozusagen in unserer Gesellschaft eigentlich nicht eingeübt ist - und was aber, wenn man sich weltweit umschaut, der Stand der Dinge ist, sozusagen.

    Das hat zur Konsequenz und das geht dann auf ihre Frage, nicht nur welche Loyalität hat das Unternehmen gegenüber seinen Mitarbeitern, sondern auch welche Loyalität entwickeln die Mitarbeiter überhaupt noch gegenüber ihren Unternehmen, wenn sie wissen, dass unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, dass unabhängig vom Erfolg des Unternehmens, die Stellen, die sie innehaben, also die Tätigkeit, die sie dort ausüben, dass sie nicht dazu führt, dass man davon ausgehen kann, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Und der sichere Arbeitsplatz ist in Deutschland ein, wie wir alle wissen, hohes moralisches Gut. Ja ich glaube, wir werden davon tatsächlich Abstand nehmen müssen und anfangen müssen, Arbeitsplätze als relativ normale Vertragsverhältnisse zu sehen.

    Köhler: Ich würde gerne im zweiten Teil unseres Gesprächs das aufgreifen, was Sie sagen, nämlich moralischer Konsens. Und ich habe Sie eingeladen nicht als Wirtschaftsweisen oder Mitglied eines Ombudsrats, sondern als Direktor und Mitgründer des Konstanzer Instituts für Wertemanagement. Und Sie haben einen Begriff mal in die Wagschale geworfen, den ich interessant finde, aber den ich gleich zu Beginn vielleicht auch in Frage stellen möchte, nämlich den des Moral-Kapitals. Das klingt super. Hat in meinen Ohren so ein bisschen vielleicht den Makel, oder Fehler, dass das ein unverzinster Begriff von Kapital ist und bleibt, oder stimmt das nicht?

    Wieland: Sehen Sie, jede Gesellschaft lebt davon, dass Menschen einzahlen, in diese Gesellschaft einzahlen. Nicht nur in Form von Finanzeinzahlung, sondern auch im Glauben daran, dass diese Gesellschaft eine Zukunft hat, in das Vertrauen auf die Struktur, das was man eben auch das Sozialkapital einer Gesellschaft nennt. Und das war in Deutschland also sehr stark ausgeprägt. Und darauf basierte eigentlich auch die Erfolgsgeschichte unserer Gesellschaft hier in Deutschland in der Nachkriegszeit. Diese Zusammenhänge existieren so heute nun nicht mehr. So dass tatsächlich die Frage, wie hoch ist denn noch das Moralkapital in unserer Gesellschaft, mit einem großen Fragezeichen versehen werden muss.

    Wir erleben das permanent in den Medien, wo ja die moralische Integrität des Managements zum Beispiel in Frage gestellt wird. Das sind ja Schlagzeilen, die über Habgier und so weiter gehen, über Unzuverlässigkeit, über Betrug, Korruption, über einen leichten Lebenswandel. Das alles bestimmt ja unsere Gesellschaft, und man muss sich ja die Frage stellen, dass das auf einmal eine solche Rolle spielt. Und das kommt eben daher, dass tatsächlich - das glaube ich ganz bestimmt, und das ist etwas was nicht überall mit dem nötigen Ernst gesehen wird - unserer Gesellschaft der moralische Boden entzogen wird, Zug um Zug. Und die Frage ist, es wird kein neuer eingezogen, wo geht das hin?

    Köhler: Sie lehren so etwas an Ihrer Managementschule für angehende Betriebswirte und Volkswirte, zum Beispiel Kommunikation und Kooperation. Ich sage jetzt einmal so ein bisschen häretisch: Ist das nicht ein kleines Armutszeugnis für unsere Zeit? Es gab mal so etwas, so das selbstverständlich war, dass der Unternehmer mit der Rolle Fünfmarkstücke auf dem Hof stand, wenn es gut gelaufen war und den Lehrlingen, jedem, ein Fünfmarkstück in die Hand drückte. Gut, das mag vielleicht ein Beispiel aus den späten 1950ern sein, soll aber heißen: Kann man so etwas wieder herbeiführen? Ich habe so ein bisschen Zweifel daran.

    Wieland: Ich glaube, diese paternalistischen Zusammenhänge, die Sie da beschreiben, die gibt es natürlich noch. Ich lebe ja jetzt in Baden-Württemberg und das ist ein Land mit einer starken mittelständischen und oft familiengeführten Unternehmenskultur. Diese Dinge gibt es noch. Das soll man nicht unterschätzen. Es gibt auch nach wie vor noch viele Unternehmen, die sich sehr bemühen, die Lebenschancen auch ihrer Mitarbeiter zu wahren und ganz nach vorne stellen. Und ich denke, man sollte sich über dies Fälle, über die wir jetzt diskutieren, also über Branchen, wie Banken, Versicherungen, Großunternehmen, die auch ganz anderen Märkten ausgesetzt sind, nicht in die Irre führen lassen. Dennoch ...

    Köhler: Wir reden über 7.500 Arbeitsplätze.

    Wieland: Das ist klar, aber das ist ja das Argument, was die Mittelständler immer haben, wenn sie sozusagen an irgendeiner Stelle zehn schaffen, das ist natürlich keine Schlagzeile, aber 7.000 das ist schon einmal eine. Aber trotzdem, das Problem kann man nicht weg diskutieren, sie haben völlig Recht. Ich glaube die Lösung besteht darin und das ist ja auch der Sinn dessen, was wir mit unseren Studenten tun, dass heute die Wahrnehmung in sozialer Verantwortlichkeit, die Ausbildung eines integeren Charakters zum Beispiel eine Notwendigkeit geworden ist für das Management und eben auch, glaube ich, für den Geschäftserfolg. Denn daran glaube ich ganz bestimmt, dass es nicht so ist, dass nur derjenige, der skrupellos ist, dass nur derjenige der moralisch nur geringe Standards hat, dass der erfolgreich sein kann. Dafür gibt es sehr viele Beispiele, auch in der Wirtschaft heute, dass das nicht der Fall ist.

    Köhler: Gut, der Eindruck mag gelegentlich trügen, dass wir es nur noch im Management mit Sanierern und Fusionieren zu tun haben. Trotzdem ein letztes Beispiel. Mir hat etwas imponiert, was ich mal in einem sehr großen inhabergeführten Unternehmen an der amerikanischen Ostküste gesehen habe. Da stand im Betrieb an mehreren Stellen, Verwaltung, …, Forschung, Produktion, ein kleines Schildchen, da stand drauf: Treat your next with respect. behandle deinen Nächsten mit Achtung und Würde. Das ist natürlich dem so genannten amerikanischen Ostküsten-Protestantismus ein wenig geschuldet. Trotzdem: Sie spürten diesen Geist an jeder Ecke. Von der Toilette bis zur Kantine. Das hat mir doch mächtig imponiert. Selbst wenn da ein gewisser Konformitätsdruck mit einhergeht.

    Wieland: Ja das gibt es heute auch. Die Unternehmen geben sich ja alle ethische Verhaltensstandards und ähnliche Dinge mehr. Das sind sozusagen Versuche, diese entschwindende Unternehmensmoral wieder in die Unternehmen einzuführen und das sind mittlerweile auch Managementstandards, an denen wir in Konstanz sehr stark mitgewirkt haben. Da komme ich aber auf einen Punkt zurück, den Sie eben gemacht haben. Es muss nicht der Eigentümer sein, aber es bleibt eben das Faktum bestehen, dass diese Papiere und diese Sprüche nur dann tatsächlich etwas Positives bewirken, wenn sie über Vorbild des Topmanagements tatsächlich gelebt werden, wenn es wirklich dieses commitment unter Mitarbeiter gibt, wenn es wirklich ein Vorleben der Werte gibt. Und ich glaube, das ist auch eine der Aufgaben, die auf das Management in Deutschland zukommt, nämlich den Beweis dafür anzutreten, dass sie tatsächlich auch in einer moralischen Weise verantwortlich handeln können.

    Köhler: Über Loyalitätskrisen und Moral-Kapital war das der Konstanzer Wertethiker Professor Josef Wieland.