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'Personalfragen stehen erst im nächsten Jahr an'

Gerner: Die CDU sieht sich selbst gerne als "Partei der Einheit", aber dort wo die Mauer fiel hat sie die Herzen der Menschen bis heute nicht wie erhofft erreicht. Gerade einmal 12,4 Prozent im Osten Berlins sprechen eine deutliche Sprache. Das Berliner Ergebnis liegt aber auch der Bundespartei im Magen. Die CDU-Spitze um Angela Merkel macht gute Miene zum bösen Spiel. Roland Koch, Hessens Ministerpräsident, ist am Telefon. Schönen guten Morgen!

    Koch: Guten Morgen Herr Gerner.

    Gerner: Die Präsidiumsmitglieder haben gestern Solidaritätsbekundungen für Angela Merkel abgegeben. Sind die echt?

    Koch: Ja, natürlich sind die echt. Es wäre doch ganz unvernünftig, wenn die CDU Deutschlands sich in einem Weg, den sie lange besprochen hat und den wir gemeinsam gehen, von jedem einzelnen Ereignis, das uns nicht freut, abbringen lassen würde. Das Berliner Wahlergebnis hat logischerweise niemand gefreut, aber es ist ein Ergebnis in einer bedeutenden großen Stadt, in unserer Bundeshauptstadt, aber es ist kein Ergebnis, das die Überlegungen, die uns dazu führen zu sagen, wir können die Bundestagswahl im kommenden Jahr gewinnen und wir wollen sie gewinnen, verändert.

    Gerner: Kann es auch sein, dass diese Solidaritätsbekundungen abgesehen vom Präsidium etwas von einem Ritual haben? Heute kommen schon wieder erste Stimmen aus der CDU-Landesgruppe in Nordrhein-Westfalen etwa, die eine Verlegung der Kanzlerkandidaten-Nominierungsfrist fordern.

    Koch: Schauen Sie mal, Herr Gerner, jeden Montagmorgen nach einer Wahl hatte die Frage an die jeweiligen Parteiführungen, ob sie jetzt noch im Amt seien, ein sehr großes journalistisches Ritual. Da stehen 100 Mann vor der Tür und fragen, hatte die Wahl in Berlin jetzt Folgen für Angela Merkel oder nicht. Dann antworten wir, sie hat keine. Also wo ist das Ritual? - Ich glaube wir sind auf beiden Seiten ein bisschen so, dass die mediale Aufgeregtheit ein wenig überschlägt und natürlich dies auch den einen oder anderen Partei trifft. Wir haben 15 Landesverbände, 15 Landesvorsitzende. Die sind alle gemeinsam mit der Bundesvorsitzenden einer Meinung, genauso wie mit dem Kollegen Stoiber in der CSU. Wir bleiben bei dem, was wir verabredet haben, weil es dafür gute Gründe gibt. Dann mag es den einen oder anderen in einer 600000 Mann großen Partei auch geben, der anderer Meinung ist. Das ist legitim. Das wird dann in den Zeitungen dazu führen, dass dieser einzelne bundesweit für einen Tag bekannt ist, aber es ändert nichts an der prinzipiellen Ausrichtung, die die Parteiführung sehr gemeinschaftlich und nicht aus Taktik, sondern aus innerer Überzeugung - wir haben uns über diese Frage ja lange genug Gedanken gemacht - hat.

    Gerner: Warum sind Sie dagegen, die Kür des Kanzlerkandidaten vorzuziehen?

    Koch: Weil wir zunächst einmal gesagt haben, wir wollen, dass Aufmerksamkeit auf dem liegt, was wir inhaltlich wollen. Wir wollen eine gemeinsame inhaltliche Vereinbarung, CDU und CSU, für die Bundestagswahl treffen. Dem dient der Parteitag. Dort wird die programmatische Basis beschlossen. Wir werden die Personalien im nächsten Jahr noch genug diskutieren, aber erst die Sachfragen und dann die Personen. Zum zweiten haben wir gesagt, wir wissen - und wenn man es nicht woanders lernen wollte, hätte man das auch bei den Sozialdemokraten nachschauen können -, auch Kandidaturen haben in einer Mediengesellschaft ihren Ablauf, ihren Höhepunkt und es ist klug, dies in einem angemessenen Verhältnis zur Bundestagswahl zu setzen. Dafür reicht kein Jahr vorher, sondern da reicht ein halbes.

    Gerner: Herr Koch, ich versuche, mir das einmal vorzustellen, was das bedeutet. In sechs Wochen der Dresdener Parteitag, eine große Kundgebung, die letzte in diesem Jahr, der CDU vor dem Wahlkampf 2002. Da tritt also Angela Merkel auf. Gerhard Schröder wird zugucken und sagt sich, die wissen noch nicht einmal, wen sie gegen mich aufstellen wollen. Wird da nicht eine Chance vertan, einen Kanzlerkandidaten publikumswirksam zu präsentieren?

    Koch: Wenn das theoretisch richtig wäre, wäre Gerhard Schröder nicht Bundeskanzler. Verschieben wir doch bitte nicht alle vier Jahre die Welten und erfinden völlig neues. Die Auseinandersetzungen in der anderen großen Volkspartei über einen guten Kandidaten - die sind in einer Volkspartei Gott sei Dank vorhanden, weil da gibt es überall mehr als einen Kandidaten - waren ganz genauso. Warum hat in Amerika noch niemand jemals die Forderung gestellt, dass der amerikanische Präsidentschaftskandidat schon zwei Jahre vorher nominiert wird oder eines? Warum machen die Beteiligten das immer ein halbes Jahr vorher? Es könnte doch sein, dass es dafür vernünftige Gründe gibt und dass man zum richtigen Zeitpunkt Kandidatenpräsentationen macht. Man muss dann allerdings damit leben, dass Journalisten ein halbes Jahr lang die Interviews und die Zeitungsspalten damit füllen müssen zu fragen, warum wir es nicht früher machen. Wir machen es dann, wenn wir dem Wähler, nachdem wir unser Programm festgelegt haben - das machen wir im Dezember und da wollen wir auch, dass Aufmerksamkeit dafür besteht -, gemeinsam CDU und CSU, die auch Rücksicht aufeinander nehmen müssen, eine gemeinsame Entscheidungsgrundlage präsentieren können. Das ist dann, wann wir es verabredet haben.

    Gerner: Hätte denn einer der beiden aus der Union zum jetzigen Zeitpunkt, zum heutigen überhaupt eine Siegeschance gegen Gerhard Schröder?

    Koch: Ja, natürlich, und aus diesem Wahlergebnis von Berlin kann man auch ein paar Hinweise ziehen. Es ist ja durchaus nicht so, dass nachdem wir in der Union gestern nicht sehr freudig waren die Sektkorken bei der SPD geknallt hätten. Die Sozialdemokraten wissen, dass sie in Berlin fast acht Prozent unter ihrem Bundestagswahlergebnis geblieben sind, wo sie eine außergewöhnliche Chance gehabt haben. Sie sind sehr enttäuscht darüber, wie wenig sie diese wahrnehmen konnten. Gerhard Schröder und die Grünen wissen, dass sie seit der Bundestagswahl in keiner der nachfolgenden Wahlen mehr ihr Wählerpotenzial der Bundestagswahl erreicht haben. Wir liegen in allen Umfragen mindestens gleich auf. CDU und FDP haben in aller Regel mehr Stimmen als SPD und Grüne bei den demoskopischen Instituten. Also das ist die Basis ein Jahr vor einer Bundestagswahl, in der man sehr gelassen sagen kann, diese Bundestagswahl ist auf jeden Fall zu gewinnen. Sie ist nicht gewonnen, aber wir haben eine faire Chance und die wollen wir wahrnehmen.

    Gerner: Herr Koch, würden Sie mir zustimmen, dass es in diesen Zeiten der Bekämpfung des Terrors, Folgen der Anschläge, schwieriger geworden ist für die CDU, innenpolitisch Akzente zu setzen, da die Diskussion durch das, was Otto Schily angeht, dominiert wird und die CDU sozusagen gezwungen ist, etwas mitzuschwimmen?

    Koch: Da muss man denke ich ein bisschen unterscheiden. Die Einschätzungen im unmittelbaren Umfeld der Tage wie des 11. September, wo eine Nation egal in welchem Land klugerweise zusammenrückt, ist das ist ein Vorteil für die jeweilige politische Führung, wenn sie es nicht grob falsch macht. Das hat man auch bei uns gesehen. Es hat sich übrigens in der Demoskopie zu Gunsten der Regierung oder zu Lasten der Opposition praktisch nicht ausgewirkt. Aber natürlich gibt es das psychologisch. Jetzt ist aber ein bisschen mehr Zeit. Jetzt werden wir auch wieder die Dinge etwas deutlicher sehen. Herr Schily ist derjenige, der für die Spruchbänder der Regierung verantwortlich ist, aber nicht derjenige, der die Taten verantworten kann. Wir sehen ja, dass er mit seinem zweiten Paket zur Verbesserung der inneren Sicherheit an den Grünen gescheitert ist, übrigens nicht nur an den Grünen. Unser SPD-Hessen-Süd-Bezirk hat auch am vergangenen Samstag beschlossen, dass er die Schily-Vorschläge ablehnt. Herr Schily ist also keineswegs die SPD und schon gar nicht die Bundesregierung, und das wird in diesen Tagen auch wieder deutlich. Deshalb bleibt eine Menge Raum für die Frage, wer kann außenpolitisch - auch dort gibt es wichtige Fragen -, aber auch in Fragen wie der inneren Sicherheit und natürlich im nächsten Jahr in der Frage der Wirtschaft antreten. Die ist ja nicht nur schlecht, weil wir im Augenblick international schwierige Bedingungen haben; die ist schlecht, weil wir eine zweieinhalbjährige schlechte Wirtschaftspolitik hatten.

    Gerner: Lassen Sie mich an der Stelle mal kurz nachfragen. Unter diesen außen- und innenpolitischen Vorzeichen, die wir eben angesprochen haben, ist es - stimmen Sie mir da zu - nicht unbedingt leichter für die CSU, sich zu profilieren, eine Alternative darzustellen?

    Koch: Da bleibe ich dabei: Am Ende ist eine Partei, die über sehr viele Jahre klare Prinzipien vertreten hat, wenn die Partei, die sie neu übernommen hat, wie die SPD, die versucht, uns an diesen Stellen zu kopieren, in Schwierigkeiten kommt, natürlich ein sehr attraktiver Partner. Die Sozialdemokraten und die Grünen sind in Schwierigkeiten bei der konsistenten Durchsetzung unserer Überzeugungen. Das gilt sowohl für die Außenpolitik. Wenn man sieht, wie fragil die Basis dieser Regierung ist, wo jeder fragt, wenn zwei Soldaten mehr vom Bundeskanzler angefordert würden, hält das die Regierung oder nicht. Das ist ja nun alles andere als stabil. Wenn Sie sehen, dass der Innenminister sagt, was er für unerlässlich hält, und der grüne Koalitionspartner ihm in die Hand fällt, das ist ja alles andere als stabil. Bürger haben in schwierigen Zeiten einen Sensus dafür, wo Stabilität, Dauerhaftigkeit, Kontinuität einer Regierung stehen kann. Da ist rot/grün nun wahrlich kein so gutes Angebot, dass Christdemokraten oder Liberale sich fürchten müssten.

    Gerner: Herr Koch, eine Sache will ich Sie zum Abschluss noch fragen. Das interessiert mich auch persönlich. Stoiber und Merkel, können die unter vier Augen allein die Kanzlerkandidatur aushandeln?

    Koch: Natürlich haben sie formal nicht eine Gewalt über Parteien, aber sie haben als Vorsitzende eine große Verantwortung und eine große Chance zugleich. Das was Edmund Stoiber und Angela Merkel gemeinsam den Parteien CDU und CSU vorschlagen, das empfinde ich bei allen, die ich in beiden Parteien kenne, so: das wird schwer überwindlich sein.

    Gerner: Was sagt denn die CDU-Satzung?

    Koch: Für einen Kanzlerkandidaten gibt es zwischen zwei selbständigen Parteien kein Satzungsrecht, sondern auch darüber müssen die Parteien sich verständigen, wie sie den gemeinsamen Kandidaten finden würden. Das haben wir aber in der Vergangenheit geschafft; das würden wir sicher auch in der Zukunft schaffen. Auch darüber - so ist die Vereinbarung - müssen die beiden Parteivorsitzenden sich dann, wenn es zu einer Abstimmung käme, zunächst verständigen und einen Vorschlag machen, der in den Gremien beraten werden muss. Ich sage noch einmal: das wichtige an der Autorität ist - und ich bin sicher, dass es dabei bleibt -, wenn die beiden Parteivorsitzenden, die einen großen Rückhalt in ihren beiden Parteien haben, einen gemeinsamen Vorschlag machen zu Verfahren und Inhalt, dann können Sie gewiss sein, dass die Parteien diesem Vorschlag folgen werden.

    Gerner: Das heißt Sie wünschen sich nicht, dass ein größerer Kreis, etwa die Fraktion, darüber mitentscheidet?

    Koch: Ich habe jetzt gar nichts über Wünsche gesagt. Sie haben mich gefragt, reicht die Autorität von zwei Parteivorsitzenden, so etwas zu gestalten, und ich sage Ihnen: Wenn die beiden Parteivorsitzenden gemeinsam etwas vorschlagen, reicht ihre Autorität dafür aus.

    Gerner: Wir haben mit Berlin begonnen; wir wollen mit Berlin abschließen. Frank Steffel, Eberhard Diepgen, Rücktrittsforderungen liegen vor. Haben die eine Zukunft in der Hauptstadt?

    Koch: Herr Gerner, da bitte ich Sie um Verständnis. Ich würde mir in Hessen verbitten, wenn Berliner Kollegen zwei Tage nach der Wahl anfangen, meine Diskussionen in meinem Lande zur Bank zu führen. Das werde ich umgekehrt genauso halten. Die Berliner Kollegen stehen in einer sehr schwierigen Situation. Wenn man mehr als die Hälfte seiner Fraktionskollegen verloren hat, ist denke ich eine Partei gut beraten, ein paar Tage Inne zu halten und dann Entscheidungen zu treffen. Dass es dort nicht weitergehen kann wie in der Vergangenheit, das hat sich in den letzten drei Monaten ja schon deutlich gezeigt. Es ist ja auch nicht weitergegangen mit den alten Kandidaten, sondern Frank Steffel hat das neu übernommen. Er hat keine Chance gehabt, dort irgend etwas zu entwickeln. Er ist von der Wahl direkt in den Wahlkampf gekommen und ich denke, jetzt müssen die Beteiligten in Ruhe darüber nachdenken, wie diese Aufgabe, eine gute Opposition zu sein, um wieder Regierung werden zu können, bewältigt wird.

    Gerner: Roland Koch, Hessens Ministerpräsident von der CDU war das. Herzlichen Dank dafür. Ihr Dienstwagen steht bereit. Die Zeit drängt, haben Sie uns gesagt. Danke dafür!

    Link: Interview als RealAudio