Samstag, 20. April 2024

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Pete Townshends Buch "The Age of Anxiety"
"Wir leben in einem Zeitalter der Angst"

Pete Townshend von The Who debütiert mit einem Roman: In „The Age of Anxiety“ geht es um die Ängste seiner Generation und derjenigen der Millennials. Aktuellen Protesten steht er dennoch skeptisch gegenüber. „Wir werden uns nicht noch einmal täuschen lassen“, sagte er im Deutschlandfunk.

Pete Townshend im Corsogespräch mit Friedbert Meurer | 23.11.2019
Gitarrist Pete Townshend performt 2013 mit seiner Band The Who die Rock-Oper "Quadrophenia" im Ziggodome in Amsterdam.
Gitarrist Pete Townshend von der Band The Who (picture alliance / dpa / Paul Bergen)
Friedbert Meurer: "Das Zeitalter der Angst", so lautet der Titel Ihres ersten Romans. Das Phänomen der Angst beschäftigt Sie sehr stark. Hat Angst Sie persönlich geprägt und Ihre Karriere in Gang gesetzt?
Pete Townshend: Nein. Es geht darum, was ich um mich herum erlebe oder was ich in meinem Publikum beobachte. Jemand, der Musik und Geschichten schreibt für Menschen in meinem Alter und für jüngere Leute, die sich für meine Musik interessieren: Ich stelle auch bei ihnen Angst fest. Ich selbst bin jetzt darüber hinweg. Ich werde 75 Jahre alt. Ich kann nicht mehr viel ändern. Ich mache mir Gedanken, dass ich wegen des Klimawandels nicht mehr so viel fliegen kann. Aber ansonsten: Ich kann nicht mehr viel verändern.
Meurer: Die ältere Generation tendiert ja dazu zu sagen: Wir waren widerstandsfähiger, wir sind die Kriegsgeneration. Sind auch diese Älteren verängstigt, das betrifft nicht nur die junge Generation?
Townshend: Nein, ich glaube, dass das jede Generation betrifft. In meinem Roman bedeutet Angst die unterschwellige Angst, über die wir eher nicht reden. Es ist nicht unbedingt Klimawandel oder all die offensichtlichen Dinge. Es geht darum, wie wir uns fühlen, wenn wir mit all den Informationen konfrontiert werden.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich sage nicht, dass irgendetwas nicht richtig ist, was Greta Thunberg tut. Aber wenn sie sagt: "Vertraut der Wissenschaft!" und ich soll der Wissenschaft folgen, dann weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich verfüge nicht über das Wissen, um das zu verstehen. Wir leben im Zeitalter des Internets und der Informationen. Wo finde ich die eine Wissenschaft? Wie stellen wir Lebensmittel her, Fleisch, ohne dass wir den Planeten vergiften? Was ist mit dem Benzin für mein Auto? Wie lebe ich mein gewohntes Leben, ohne meinen Planeten zu zerstören? Ich weiß nicht, wie ich das machen soll – und Greta Thunberg weiß es auch nicht.
"We won't get fooled again"
Meurer: Wir kennen Ihren berühmten Songtitel "Uns legt ihr nicht wieder herein". Gegenüber politischem Aktivismus und Revolutionen waren Sie eher skeptisch. Das gilt auch heute noch?
Townshend: Ja, das habe ich definitiv so gesehen. "We won't get fooled again" habe ich geschrieben, weil damals Hippies im Umfeld unserer Band auftauchten. Sie verloren damals gerade ihre Macht und ihren Einfluss. In Deutschland erlebten wir dann Baader/Meinhof, die an Macht verloren. Sie waren jung, aktivistisch und wütend. Sie wollten, dass wir Musiker ihnen helfen und uns ihnen anschließen. Dieser Song sagt: "Nein, ihr seid genauso schlecht wie die anderen auch."
Meurer: "Angst" ist ein deutsches Wort, "The German Angst". Haben die Deutschen mehr Angst als die Briten, oder ist das Unsinn?
Townshend: Ich habe mich das gerade neulich gefragt. Als die Mauer fiel und Roger Waters mit "The Wall" in Berlin auftrat, da fiel mir etwas ein, was mir jemand damals sagte. Was im Osten anders sei, das ist, dass jede Frau eine Verwandte oder Vorfahren hat, die von russischen Soldaten vergewaltigt wurden. Das lässt sich nicht mehr ändern. Ich dachte: "Mensch, Berlin wird auf Jahrhunderte ein außergewöhnlicher Ort sein." Es geht um die Tragödie Deutschland. Es geht nicht nur darum, was Deutschland falsch gemacht hat, sondern wie sie nach dem Ende des Kriegs behandelt wurden.
Meurer: Sie wurden zehn Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Wie sehr sind Sie vom Krieg und den Schrecken des Krieges geprägt worden?
"Es gab wenig zu essen und die Leute hatten kein Geld"
Townshend: Ich wurde nicht direkt vom Krieg geprägt, sondern von dem, was danach kam. Es gab wenig zu essen und die Leute hatten kein Geld. Uns blieben Liebeserlebnisse und unsere Phantasie. Meine Eltern waren Musiker und sangen Lieder über die Liebe. Die Tragödie meiner Generation war, dass wir nicht erfuhren, was wirklich passiert war. Alle schwiegen darüber. Sie wollten stark sein und dass das Leben weiter geht. Von den 20 Jungen in meiner Klasse hatten zehn keinen Vater. Zwei hatten US-amerikanische Väter. Das hat mich geprägt. "Tommy" ist der Ausdruck davon, was es bedeutete, genau dort und zu der Zeit geboren zu sein. Wir suchten nach einem Ort, wo wir frei sein konnten, frei von den Werten des alten Europa. Ich wusste das nicht, als ich 20 war. Es ist außerordentlich, aber auch meine Generation der Nachkriegsboomer trägt diesen Krieg mit sich.
Meurer: Ihr Song "My Generation": Da geht es nicht darum, dass Sie sterben wollten, bevor Sie alt werden. Ging es darum eine Grenze zwischen der Vergangenheit und der Moderne zu ziehen?
Townshend: Ja, das ist richtig. Wir fühlten uns damals entrechtet. Deswegen waren The Who in Europa so erfolgreich, in Deutschland, Frankreich, Holland und den USA genauso wie im Vereinigten Königreich. Alle Gleichaltrigen empfanden das damals so. Wir waren dankbar, dass wir in einer sehr friedlichen Zeit lebten, obwohl ja der Schatten der Atombombe über uns lag. Er war real und sehr angsteinflößend. Wir hatten aber das Gefühl, dass wir keine Aufgabe hatten – nichts was so nobel war, wie sich für eine nationale Sache zu opfern.
Meurer: Vielleicht taucht das jetzt wieder auf, diese Sehnsucht nach einer nationalen Bestimmung. Ich meine den Brexit. Gründet der Brexit auch auf Angst, auf Angst vor Veränderung?
Townshend: Ich habe dafür gestimmt, in der EU zu bleiben. Jeder hätte das getan, wenn er gewusst hätte, was der Brexit für Folgen hat. Viele haben für den Austritt aus der EU gestimmt, weil sie dachten, sie bekommen ihr gutes kleines England zurück. Wir alle lieben unser altes England, daran ist nichts falsch. Wir mögen Agatha Christie, ein Pint Bier und Yorkshire Pudding mit Roastbeef. Aber wir haben Angst. Ich erinnere mich an eine Frau und einen Mann, die Pferde züchten und etwas älter sind als ich. Sie sind vehement für den Brexit. Ich habe die Frau gefragt, warum? Und sie antwortete: "Wir haben nicht im Krieg gekämpft, um von Angela Merkel gesagt zu bekommen, was wir zu tun haben!" Wir sind alte Leute, unsere Bevölkerung ist alt, sie denkt altmodisch. Niemand hat verstanden, warum es gut ist, in der EU zu sein.
Normalerweise bin ich Sozialist
Meurer: Für wen werden Sie jetzt wählen bei den Neuwahlen? Hätten Sie gerne ein zweites Referendum?
Townshend: Mein jüngstes Kind, Joseph, er war damals 28 Jahre alt, und seine Frau sind beide Künstler. Als sie beide hörten, wie das Referendum ausgegangen war, weinten sie. Sie brachen wirklich zusammen und weinten. Es ist nahezu unvermeidlich, dass jetzt mehr Junge wählen werden. Sie haben das damals nicht getan. Ich glaube aber nicht, dass wir ein weiteres Referendum haben sollten. Was ich wähle? Normalerweise bin ich Sozialist. Aber wenn ich jetzt Labour wähle und Jeremy Corbyn ist hinter mir her, dann lande ich wieder da, wo ich 1973 schon einmal war. Verdammt, ich hatte damals kein Geld! Überhaupt nichts! Ich bin ein berühmter Rock Star und muss dann wieder in einem mickrigen Auto herumfahren und in einem kleinen Haus leben. Und die Leute werden zu mir sagen: "Du bist doch ein glücklicher Mistkerl!" Ich bin Sozialist, ich glaube daran und zahle gerne hohe Steuern. Aber ich möchte etwas behalten, um angenehm zu leben. Ich habe einen kleinen Bauch bekommen, ja. Ich gebe zu, ich bin verwöhnt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.