Dirk-Oliver Heckmann: Die Siemens-Aktiengesellschaft, sie gehört zu den Schwergewichten im Deutschen Aktienindex. Das Unternehmen beschäftigt 370.000 Menschen in 190 Ländern und ist weltweit führend im Bereich der Elektronik und Elektrotechnik. Der Name Siemens genießt nach wie vor einen guten Ruf, trotz des milliardenschweren Korruptionsskandals von vor einigen Jahren. Vor sechs Jahren war Peter Löscher derjenige, der die Aufgabe angenommen hatte, aufzuräumen, doch die Karriere des Österreichers als Siemenschef ist jetzt beendet. Am Samstagabend verständigte sich der Aufsichtsrat darauf, den Topmanager abzulösen, aber der will laut "Süddeutscher Zeitung" seinen Platz erst räumen, wenn auch Aufsichtsratschef Cromme sein Amt niederlegt. Felix Linke über den dramatischen Machtkampf bei Siemens.
Heckmann: Felix Linke war das über den Machtkampf bei Siemens. Und darüber können wir jetzt sprechen mit Daniela Bergdolt. Sie ist Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und Geschäftsführerin des Landesverbands Bayern, ausgewiesene Siemens-Expertin. Schönen guten Tag, Frau Bergdolt!
Daniela Bergdolt: Guten Morgen!
Heckmann: Frau Bergdolt, wie überraschend kam für Sie die Meldung von der Absetzung Löschers?
Bergdolt: Also, ganz überraschend war sie sicherlich für niemanden, weil man hat in letzter Zeit schon oft gemunkelt, dass er nicht mehr wirklich getragen wird. Die Arbeitnehmervertreter sind abgerückt, einzelne aus dem Aufsichtsrat sind abgerückt. Der Vorstand war wohl auch nicht geschlossen hinter ihm. Also überraschend – ganz überraschend war es nicht.
Heckmann: Ist Peter Löscher ein Bauernopfer?
Bergdolt: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, er hat einfach – er war der richtige Mann damals, als die Compliance-Affäre war, aber er hat es dann nicht geschafft, wirklich Visionen zu haben und die Reihen geschlossen hinter sich zu bringen.
Heckmann: Der Auslöser dieses Schrittes ist ja gewesen die Gewinnwarnung von Donnerstag. Löscher musste sein Renditeziel von zwölf Prozent für das Jahr 2014 zurückziehen. Sind wir wieder so weit mit unserer Renditesucht, dass das ausreicht, um einen verdienten Topmanager zu schassen?
Bergdolt: Nein, darum ging es, glaube ich, nicht. Es ging um mehrere Dinge. Es ging einmal darum, dass diese Gewinnwarnung oder die Rücknahme dieses Zieles so unerklärt blieb. Man hat einen Sechszeiler herausgegeben. Man hat keine Erklärungen gegeben, und das war das, was man ja die ganze Zeit schon gesagt hat. Man rückte immer so bröselweise wieder von irgendwelchen Zielen ab. Aber warum eigentlich, das hat niemand so richtig verstanden. Und dann zieht man den Branchenvergleich – man muss sich jetzt nur GE anschauen, die sagen, das ist das tollste Jahr überhaupt und das nächste Jahr wird auch noch gut, und dann fragt man sich, was ist denn nun bei Siemens anders? Und das waren eigentlich diese Kommunikationsfehler, dieses immer wieder ein kleines Schrittchen zurück, das war sicherlich der Grund, aber nicht nur die Frage, hat er jetzt seine Ziele gerade verfehlt.
Heckmann: Welche Fehler hat er noch gemacht, Peter Löscher?
Bergdolt: Ich glaube, er hat seine Leute nicht hinter sich gebracht. Er war irgendwie immer ein Fremder in diesem Konzern. Er wurde nicht – er bekam nicht den Stallgeruch, so sehr er das auch immer propagiert hat, er sei Siemensianer. Aber dazu hat er vielleicht zu wenig mit den Leuten kommuniziert, hat sich zu wenig das Unternehmen angeschaut, war dort zu wenig präsent, war, wie gesagt, sehr viel im Finanzmarkt unterwegs, aber eben nicht bei dem Unternehmen. Und Siemens ist eine – man sagt immer, das ist die Siemens-Familie, und da müssen Sie erst mal reinkommen, in diese Familie. Und das hat er nicht geschafft.
Heckmann: Die "Süddeutsche Zeitung", Frau Bergdolt, die berichtet, Peter Löscher wolle kämpfen. Er sieht ja eine Intrige gegen sich in Gang, und er sagt, wenn Gerhard Cromme nicht geht, gehe ich auch nicht, jedenfalls nicht freiwillig. Hat er eine Chance?
Bergdolt: Also Gerhard Cromme wurde in der letzten Hauptversammlung noch einmal gewählt als Aufsichtsrat und wurde dann als Aufsichtsratsvorsitzender bestätigt, aber für meine Begriffe unter der Prämisse, dass er nicht die volle Amtszeit liefert, weil er die Altersgrenze überschritten hat. Wir haben ihn damals gewählt unter der Prämisse, Siemens braucht im Moment Ruhe, Siemens braucht jemanden, der einen geordneten Übergang durchführt. Das gilt heute umso mehr. Es muss jetzt der geordnete Übergang stattfinden auf den neuen Vorstandsvorsitzenden, aber Cromme ist kein Mann für die weitere volle Amtszeit. Und eins muss man natürlich auch wissen: Der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat ist derjenige, der den Vorstand bestellt. Hier Forderungen vonseiten des Vorstands an den Aufsichtsrat zu stellen, ist in Unkenntnis der tatsächlichen Lage und der tatsächlichen Rechtslage.
Heckmann: Sie haben es gerade eben gesagt, Frau Bergdolt, Gerhard Cromme hatte Peter Löscher geholt damals und ja, wie auch der gesamte Aufsichtsrat, alle Schritte ja mitgetragen. Das heißt, wie viel Verantwortung trägt der Aufsichtsrat und wie viel Verantwortung trägt der Chef des Aufsichtsrats, Gerhard Cromme?
Bergdolt: Darüber brauchen wir nicht diskutieren, natürlich trägt der Aufsichtsrat Verantwortung. Und er trägt natürlich die Verantwortung, dass er Cromme damals geholt hat. Da kann man jetzt drüber spekulieren, war das damals der richtiger Mann. Es war sicherlich richtig, damals jemand von außen zu holen, weil Siemens war wirklich in einer sehr schwierigen Situation, als die Compliance-Affäre war. Aber vielleicht war Cromme nicht der richtige Mann, und dafür trägt ein Aufsichtsrat nun mal die Verantwortung. Sicherlich, und das muss man auch sagen, waren diese beiden Männerschicksale, Cromme und Löscher, immer – ja, die waren miteinander verbunden.
Heckmann: Der Nachfolger von Peter Löscher, der könnte jetzt werden Finanzvorstand Joe Kaeser. Das ist allerdings auch ein Mann, der ebenfalls ja Verantwortung trägt für die Entwicklung des Unternehmens. Er hat die ganze Misere, kann man sagen, mitverursacht, oder?
Bergdolt: Ja, aber ich glaube, Joe Kaeser hat einen ganz großen Vorteil, er ist ein Siemensianer. Er hat den Stallgeruch. Er kann es jetzt schaffen, dem Unternehmen Visionen zu geben, er hat den Zahlenbackground, aber er hat auch diese Vernetzung innerhalb des Unternehmens. Also er ist der Mann, meiner Ansicht nach, der wirklich sagen kann, wir schließen jetzt die Reihen und wir schreiten voran, und wir sind jetzt eine Familie, wir sind ein Siemens, und jetzt geht es los!
Heckmann: Was erwarten Sie denn von dem Nachfolger Peter Löschers?
Bergdolt: Klare Ziele, die einhaltbar sind. Die müssen nicht überdimensionierte sein, die müssen nicht so sein, dass man sie gleich wieder zurücknehmen muss, weil man sich einfach vergaloppiert hat. Klare Erfolgsziele, die man versteht, die man klar kommuniziert und die auch das Unternehmen als Vision packt.
Heckmann: Kann denn ein Wechsel im Vorstand wirklich alles sein, oder hat sich Siemens als Mischkonzern in seiner Struktur nicht überlebt?
Bergdolt: Darüber diskutieren wir seit Jahrzehnten, ob ein Mischkonzern der richtige ist. Da gibt es immer wieder ein Hin und Her. Auf der einen Seite ist hier der Vorteil eines Mischkonzerns, dass, wenn eine Sparte von einer konkunkturellen Delle gepackt wird, kann der andere ausgleichen. Sie sind also nicht so monogamistisch aufgestellt nach dem Motto, jetzt bin ich voll getroffen von einer Konjunkturdelle. Auf der anderen Seite hat immer eine dieser verschiedenen Sparten Schwierigkeiten. Ist eine Glaubensfrage. Ich glaube, dass ein gut positionierter Mischkonzern mit – wenn jeder einzelne Bereich in der Spitzenliga spielt, hat er große Vorteile.
Heckmann: Und wie groß sind dabei die Chancen?
Bergdolt: Das kann man erreichen. Das kann man bei Siemens erreichen.
Heckmann: Daniela Bergdolt war das zum Machtkampf bei der Siemens AG. Peter Löschers Tage, die sind gezählt. Am Mittwoch findet eine Aufsichtsratssitzung statt, die diese Personalie bestätigen soll. Frau Bergdolt, danke Ihnen für das Gespräch!
Bergdolt: Gerne! Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heckmann: Felix Linke war das über den Machtkampf bei Siemens. Und darüber können wir jetzt sprechen mit Daniela Bergdolt. Sie ist Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und Geschäftsführerin des Landesverbands Bayern, ausgewiesene Siemens-Expertin. Schönen guten Tag, Frau Bergdolt!
Daniela Bergdolt: Guten Morgen!
Heckmann: Frau Bergdolt, wie überraschend kam für Sie die Meldung von der Absetzung Löschers?
Bergdolt: Also, ganz überraschend war sie sicherlich für niemanden, weil man hat in letzter Zeit schon oft gemunkelt, dass er nicht mehr wirklich getragen wird. Die Arbeitnehmervertreter sind abgerückt, einzelne aus dem Aufsichtsrat sind abgerückt. Der Vorstand war wohl auch nicht geschlossen hinter ihm. Also überraschend – ganz überraschend war es nicht.
Heckmann: Ist Peter Löscher ein Bauernopfer?
Bergdolt: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, er hat einfach – er war der richtige Mann damals, als die Compliance-Affäre war, aber er hat es dann nicht geschafft, wirklich Visionen zu haben und die Reihen geschlossen hinter sich zu bringen.
Heckmann: Der Auslöser dieses Schrittes ist ja gewesen die Gewinnwarnung von Donnerstag. Löscher musste sein Renditeziel von zwölf Prozent für das Jahr 2014 zurückziehen. Sind wir wieder so weit mit unserer Renditesucht, dass das ausreicht, um einen verdienten Topmanager zu schassen?
Bergdolt: Nein, darum ging es, glaube ich, nicht. Es ging um mehrere Dinge. Es ging einmal darum, dass diese Gewinnwarnung oder die Rücknahme dieses Zieles so unerklärt blieb. Man hat einen Sechszeiler herausgegeben. Man hat keine Erklärungen gegeben, und das war das, was man ja die ganze Zeit schon gesagt hat. Man rückte immer so bröselweise wieder von irgendwelchen Zielen ab. Aber warum eigentlich, das hat niemand so richtig verstanden. Und dann zieht man den Branchenvergleich – man muss sich jetzt nur GE anschauen, die sagen, das ist das tollste Jahr überhaupt und das nächste Jahr wird auch noch gut, und dann fragt man sich, was ist denn nun bei Siemens anders? Und das waren eigentlich diese Kommunikationsfehler, dieses immer wieder ein kleines Schrittchen zurück, das war sicherlich der Grund, aber nicht nur die Frage, hat er jetzt seine Ziele gerade verfehlt.
Heckmann: Welche Fehler hat er noch gemacht, Peter Löscher?
Bergdolt: Ich glaube, er hat seine Leute nicht hinter sich gebracht. Er war irgendwie immer ein Fremder in diesem Konzern. Er wurde nicht – er bekam nicht den Stallgeruch, so sehr er das auch immer propagiert hat, er sei Siemensianer. Aber dazu hat er vielleicht zu wenig mit den Leuten kommuniziert, hat sich zu wenig das Unternehmen angeschaut, war dort zu wenig präsent, war, wie gesagt, sehr viel im Finanzmarkt unterwegs, aber eben nicht bei dem Unternehmen. Und Siemens ist eine – man sagt immer, das ist die Siemens-Familie, und da müssen Sie erst mal reinkommen, in diese Familie. Und das hat er nicht geschafft.
Heckmann: Die "Süddeutsche Zeitung", Frau Bergdolt, die berichtet, Peter Löscher wolle kämpfen. Er sieht ja eine Intrige gegen sich in Gang, und er sagt, wenn Gerhard Cromme nicht geht, gehe ich auch nicht, jedenfalls nicht freiwillig. Hat er eine Chance?
Bergdolt: Also Gerhard Cromme wurde in der letzten Hauptversammlung noch einmal gewählt als Aufsichtsrat und wurde dann als Aufsichtsratsvorsitzender bestätigt, aber für meine Begriffe unter der Prämisse, dass er nicht die volle Amtszeit liefert, weil er die Altersgrenze überschritten hat. Wir haben ihn damals gewählt unter der Prämisse, Siemens braucht im Moment Ruhe, Siemens braucht jemanden, der einen geordneten Übergang durchführt. Das gilt heute umso mehr. Es muss jetzt der geordnete Übergang stattfinden auf den neuen Vorstandsvorsitzenden, aber Cromme ist kein Mann für die weitere volle Amtszeit. Und eins muss man natürlich auch wissen: Der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat ist derjenige, der den Vorstand bestellt. Hier Forderungen vonseiten des Vorstands an den Aufsichtsrat zu stellen, ist in Unkenntnis der tatsächlichen Lage und der tatsächlichen Rechtslage.
Heckmann: Sie haben es gerade eben gesagt, Frau Bergdolt, Gerhard Cromme hatte Peter Löscher geholt damals und ja, wie auch der gesamte Aufsichtsrat, alle Schritte ja mitgetragen. Das heißt, wie viel Verantwortung trägt der Aufsichtsrat und wie viel Verantwortung trägt der Chef des Aufsichtsrats, Gerhard Cromme?
Bergdolt: Darüber brauchen wir nicht diskutieren, natürlich trägt der Aufsichtsrat Verantwortung. Und er trägt natürlich die Verantwortung, dass er Cromme damals geholt hat. Da kann man jetzt drüber spekulieren, war das damals der richtiger Mann. Es war sicherlich richtig, damals jemand von außen zu holen, weil Siemens war wirklich in einer sehr schwierigen Situation, als die Compliance-Affäre war. Aber vielleicht war Cromme nicht der richtige Mann, und dafür trägt ein Aufsichtsrat nun mal die Verantwortung. Sicherlich, und das muss man auch sagen, waren diese beiden Männerschicksale, Cromme und Löscher, immer – ja, die waren miteinander verbunden.
Heckmann: Der Nachfolger von Peter Löscher, der könnte jetzt werden Finanzvorstand Joe Kaeser. Das ist allerdings auch ein Mann, der ebenfalls ja Verantwortung trägt für die Entwicklung des Unternehmens. Er hat die ganze Misere, kann man sagen, mitverursacht, oder?
Bergdolt: Ja, aber ich glaube, Joe Kaeser hat einen ganz großen Vorteil, er ist ein Siemensianer. Er hat den Stallgeruch. Er kann es jetzt schaffen, dem Unternehmen Visionen zu geben, er hat den Zahlenbackground, aber er hat auch diese Vernetzung innerhalb des Unternehmens. Also er ist der Mann, meiner Ansicht nach, der wirklich sagen kann, wir schließen jetzt die Reihen und wir schreiten voran, und wir sind jetzt eine Familie, wir sind ein Siemens, und jetzt geht es los!
Heckmann: Was erwarten Sie denn von dem Nachfolger Peter Löschers?
Bergdolt: Klare Ziele, die einhaltbar sind. Die müssen nicht überdimensionierte sein, die müssen nicht so sein, dass man sie gleich wieder zurücknehmen muss, weil man sich einfach vergaloppiert hat. Klare Erfolgsziele, die man versteht, die man klar kommuniziert und die auch das Unternehmen als Vision packt.
Heckmann: Kann denn ein Wechsel im Vorstand wirklich alles sein, oder hat sich Siemens als Mischkonzern in seiner Struktur nicht überlebt?
Bergdolt: Darüber diskutieren wir seit Jahrzehnten, ob ein Mischkonzern der richtige ist. Da gibt es immer wieder ein Hin und Her. Auf der einen Seite ist hier der Vorteil eines Mischkonzerns, dass, wenn eine Sparte von einer konkunkturellen Delle gepackt wird, kann der andere ausgleichen. Sie sind also nicht so monogamistisch aufgestellt nach dem Motto, jetzt bin ich voll getroffen von einer Konjunkturdelle. Auf der anderen Seite hat immer eine dieser verschiedenen Sparten Schwierigkeiten. Ist eine Glaubensfrage. Ich glaube, dass ein gut positionierter Mischkonzern mit – wenn jeder einzelne Bereich in der Spitzenliga spielt, hat er große Vorteile.
Heckmann: Und wie groß sind dabei die Chancen?
Bergdolt: Das kann man erreichen. Das kann man bei Siemens erreichen.
Heckmann: Daniela Bergdolt war das zum Machtkampf bei der Siemens AG. Peter Löschers Tage, die sind gezählt. Am Mittwoch findet eine Aufsichtsratssitzung statt, die diese Personalie bestätigen soll. Frau Bergdolt, danke Ihnen für das Gespräch!
Bergdolt: Gerne! Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.