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Peter Richter: "Dresden revisited"
"Das ist kein Nest von alten Jammer-Ossis"

Peter Richter im Gespräch mit Gisa Funck | 31.08.2016
    Ewa ein dutzend Männer spielen Blasinstrumente vor Publikum in einem Park.
    Einheimische und Flüchtlinge musizieren am 18.08.2016 zusammen im Großen Garten in Dresden in der "Banda Internationale". (dpa/Arno Burgi)
    Gisa Funck: Sie schreiben in Ihrem Dresden-Buch, Heimat sei ein heikler Begriff immer noch für Sie, warum eigentlich?
    Peter Richter: Tja, es ist ein süßeres Wort für Zurückgebliebenheit. Heimat ist ja unter Leuten meinesgleichen, so aufgeklärten Großstadtbewohnern, heute kaum noch irgendwie anders denkbar als mit der Nachsilbe "Tümelei".
    Tja, Es ist ein belasteter Begriff: Die Nazis haben ihn ideologisch überstrapaziert. Die DDR dann übrigens genauso. Dort war "Heimat" dann das süßere Wort für "Bei Fluchtversuch wird geschossen" oder so. Heute sieht man das Wort zuverlässig auf Wahlplakaten von rechten Parteien. Wo manche Linke darum wieder schon das ganze Wort für rechtsradikal halten. Wobei man sich die Frage stellen könnte: Ob die nicht, wenn sie gegen die Gentrifizierung zu Felde ziehen, was ganz Ähnliches meinen. Nämlich: den Verlust von vertrauten Umgebungen. Es ist also kompliziert mit anderen Worten.
    Funck: Es ist kompliziert. Sie wurden 1973 in Dresden geboren, sind im Stadtteil Loschwitz aufgewachsen. Inzwischen aber wohnen Sie weit weg: nämlich als Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in New York. Doch in Ihrem Buch behaupten Sie, Sie wären eigentlich nie richtig aus Dresden wegkommen. Was hält Sie denn immer noch so in Ihrer Dresdner Heimat?
    Richter: Na, der pompöse Untertitel, den ich der Sache gegeben habe, ist ja: "Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt." Das ist natürlich ganz klar bei Erich Kästner geklaut. "Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen, die Heimat lässt mich nicht fort", heißt es ja bei dem. Und das war bei ihm die Begründung, weswegen er bei den Nazis nicht emigriert ist. Für mich trifft das in Teilen ja auch zu. Ich bin ja auch aus Dresden in Sachsen, und die Heimat hat mich aber fortgelassen. Ich bin gewissermaßen auch vor den Nazis hier emigriert, damals Anfang der 90er. Und ich liebe diese Stadt wirklich immer noch. Und am Ende definiert sich die wahre Heimat wahrscheinlich immer noch als der Ort, für den man sich in der Fremde oder in der Zweitheimat am häufigsten rechtfertigt.
    Funck: Ja, Sie sagen "rechtfertigen". Tatsächlich steht Ihre Geburtsstadt Dresden gerade nicht im allerbesten Ruf. Da kursieren diese Negativ-Schlagworte: "Pegida-Hochburg", "Dunkeldeutschland", darauf kommen Sie selbst in Ihrem Buch. War Ihnen Ihre Dresdener Herkunft eigentlich noch nie peinlich?
    Richter: Na, wenn Sie mich das aus Köln jetzt mit diesem Tonfall so fragen, kann ich ja gar nichts anderes tun, als mich da zum Apologeten meiner eigenen Stadt aufzuschwingen, weil das so offenkundig Unsinniges impliziert. Das ist kein Nest von griesgrämigen alten Jammer-Ossis hier, wenn man sich das Mal realistisch anguckt. Das ist eine Stadt, in der sie ein jugendliches Rathaus, übrigens auch ein ziemlich linkes zusammengewählt haben. Also, viele der Klischees, mit denen man es außerhalb Dresdens zu tun bekommt, sind schon schmerzhaft. Aber wenn ich hier hingegen dann mit Leuten zu tun habe, die schon sauer sind, wenn man ihnen nur mitteilt, dass Dresden außerhalb von Dresden ein ganz schönes Imageproblem hat, dann kommt man einer Mentalitätsproblematik auf die Spur, die vielleicht mit dieser Tal-Kessellage hier zu tun hat. Es ist noch nicht einmal strittig, ob dieses Negativ-Image außerhalb von Dresden vielleicht berechtigt ist oder ungerecht, sondern es wird schon abgestritten, dass es das überhaupt gäbe.
    Funck: Ach wirklich?!
    Richter: Ja, das kriegt man hier überhaupt nicht mit! Also, großes Erstaunen bei vielen Leuten. Und wenn, dann wird’s einem quasi selber zur Last gelegt, dass man als Medienvertreter, die Stadt schlechtrede.
    Funck: Hat das etwas mit einem großen Selbstbewusstsein der Dresdner zu tun – oder warum nehmen die das nicht so wahr, wie über Ihre Stadt geredet wird?
    Richter: Ja, da ist ein ziemlich robustes Selbstbewusstsein, eine gewisse Selbstgewissheit auch da. Das hat zu Image-Problemen geführt schon tief in der DDR. Wenn man da in Berlin war oder in Leipzig, und dann plötzlich gehört hat, dass die kein bisschen der Meinung sind, dass Dresden der einzig lebenswerte Ort auf der Welt ist. Das hat schon für Verstörungen gesorgt, wenn man ursprünglich von hierher kam.
    Funck: Sie spüren dieser sächsischen, dieser Dresdner Mentalität in Ihrem Buch auch nach. Und Sie sagen: Ja, es gibt schon so etwas wie eine Tradition des Haderns – oder soll ich sogar sagen: Des Meckerns - ist da was dran?
    Richter: Ich fürchte schon. In Sachsen ist es so, das ist ein stolzes Kurfürstentum gewesen, das das militärische Glück verlassen hatte. Dass dann von den Preußen an die Kandare genommen wurde – und das sich aus seinem militärischen Unglück gewissermaßen durch Gewerbestolz und Fleiß und Kultur, nicht unwesentlich, wieder herausgearbeitet hat. Und das prägt natürlich schon eine Mentalität mit einem gewissen Stolz.
    Funck: Trotzdem stellen Sie in Ihrem Buch die These auf: Eigentlich seien wir alle Dresdner. Also, Sie geben Dresden so eine Vorreiter-Rolle für Deutschland – oder habe ich das falsch gelesen?
    Richter: Ich stelle eine Menge Thesen auf, aber man soll ja gerade in Zeiten des Populismus keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen stellen. Sondern man soll vielleicht erst mal die schwierigen Fragen richtig formulieren. Und eine dieser Fragen wäre: Ob nicht Dresden gerade mit dieser Zerrissenheit, mit dieser extremen Zerrissenheit, die sich hier in der Stadtgesellschaft schon vor ein, zwei Jahren angedeutet hat, ob Dresden damit nicht eigentlich Avantgarde war. Avantgarde, in dem Sinne, dass Dresden schon vor ein, zwei Jahren da war, wo ganz Deutschland heute ist. Genauso zerrissen zwischen radikalen Kritikern der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und radikalen Befürwortern und ganz vielen Leuten, die relativ ratlos dazwischen hin- und herschlingern. Man sieht’s ja, dass es kein exklusiv Dresdnerisches Thema ist. Das sieht man ja spätestens seit den Wahlen im späten Frühling. Man wird es bei den nächsten Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern sehen, vielleicht bei der Bundestagswahl.
    Funck: Also macht man es sich zu einfach, meinen Sie, mit dem "Dresden-Bashing"?
    Richter: Ja, wem auf all’ diese Fragen immer nur "Dresden-Bashing" einfällt, der ist eigentlich intellektuell nicht wesentlich weiter als die, die er kritisieren will. Und daraus leitet sich dann auch meine zweite, genauso thesenhafte Frage ab: Kann es sein, dass Pegida hier in Dresden die Öffentlichkeit und Politik in ganz Deutschland, auch – sagen wir mal – ein bisschen abgelenkt haben von den ganz realen Bedrohungen, die mit dem Islamismus in den deutschen Alltag kommen? Denn, ob und wie sich der Islamismus am besten bekämpfen lässt, das weiß ja offenbar so richtig noch niemand. Aber, dass man entschieden gegen alles eintreten muss, was rechts ist oder in Teilen auch rechtsextrem daherkommt, damit kennen wir uns in diesem Lande eben besser aus. Und das ist möglicherweise auch einfach bequemer.
    Funck: Also ich habe Ihr Buch gelesen als eine Dresden-Verteidigungsschrift. Wollten Sie auch einfach nochmal einfach zeigen: Dresden ist viel mehr nur als Pegida, AfD, Ex-DDR usw.?
    Richter: Wo soll ich da anfangen? Pegida sind, was auch immer man von denen hält und was auch immer Pegida sein mag, es sind relativ wenige Leute. Das ist ein Promille-Satz der Stadtbevölkerung hier! Das Zweite ist: Natürlich ist Dresden nicht DDR. Es war ja immer schon so eine Art Gegenstück zur DDR. Oder der Teil der DDR, der am wenigsten mit der DDR zu tun haben wollte. Und dass ich mich nun zum Dresden-Verteidiger oder zumindest zum Dresden-Versteher versuche aufzuschwingen, das hat ganz einfach damit zu tun, dass es mir auch ein bisschen gegen den Strich geht, dass das Nichtverstehen-Wollen mittlerweile als moralisches Statement offensichtlich durchgeht. Wann hat das eigentlich angefangen, dass das Verstehen von Dingen, die wir nicht mögen, ein Schimpfwort geworden ist? Also: "Frauenversteher", "Russlandversteher" und jetzt irgendwie auch "Dresden-Versteher"? Aber es ist ja eigentlich eine intellektuelle Bankrotterklärung, wenn man sagt, man kann sich noch nicht mal versuchsweise in Positionen von Leuten hineinversetzen, mit denen man sich auseinandersetzen will.
    Funck: Was mich gewundert hat in Ihrem Buch: Sie erzählen auch viel über die aktuellen Verhältnisse in den USA. Warum blicken Sie so oft über den Teich von Dresden hinüber in die USA?
    Richter: naja, zwei Gründe. Erstens: Da bin ich jetzt. Das ist mein Standort, das ist mein Beobachtungsposten. Das andere ist, dass man jetzt ganz häufig hört, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Oder sich als Einwanderungsland begreifen müsse. Und dann liegt natürlich das Vorbild Amerikas, als dem größten Einwanderungsland der Welt nahe. Nur: Was kann man von Amerika lernen? Ich hab’s ja vor Augen: Das stellt sich dann deutlich unsentimentaler dar. Es ist auf jeden Fall "kein Spaziergang im Park", wie man dort sagen würde. Einwanderung hat dort immer zu Konflikten geführt. Das muss man einfach wissen, auch zwischen den verschiedenen Einwanderergruppen untereinander. Brooklyn, wo ich wohne, das ist ein vernarbtes Kampfgebiet der verschiedenen Bindestrich-Ethnien, die da aneinandergeraten sind. Italo-Amerikaner, Irish-Americans. Asiaten, Schwarze, Juden.
    Funck: Wollen Sie damit klarmachen: Integrationspolitik ist nicht so einfach, wie sie manchmal dargestellt wird?
    Richter: Ja, am Ende ist immer die simple Botschaft: Es ist nicht so einfach! Beziehungsweise: Es ist teilweise auch ganz anders, als es hier dargestellt wird. "Immigration" heißt übersetzt in Amerika: Passkontrolle, Fingerabdrücke, also ein Einwanderungsland ist eher ein ziemlich strenges Grenzregime. Und man muss sich auch entscheiden, ob man Einwanderungsland sein will oder ein ausgiebiger Sozialstaat, weil beides sich ja ein bisschen auszuschließen scheint. Die USA achten jedenfalls sehr drauf, dass Einwanderer nicht von Sozialleistungen abhängig sind, sondern arbeiten können. Und zwar möglichst sofort. Also, es gibt dort den festen Glauben an Integration durch Arbeit. Aber das setzt, fürchte ich, leider auch ein bisschen positiveres Verhältnis zum Kapitalismus als solchem voraus. Und zum schnöden Gewinnstreben, als das - so glaube ich - hier in Deutschland salonfähig ist.