Dienstag, 23. April 2024

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Peter Schneider zum 80. Geburtstag
"Denken mit dem eigenen Kopf"

Ob im Berlin oder in Italien; immer war Peter Schneider mittendrin im revolutionären Geschehen der späten 60er Jahre. Umso erstaunlicher, dass der Autor sich in Romanen und Essays fast von Beginn dieser Vergangenheit kritisch gestellt hat. Zum 80. Geburtstag liegt nun ein Essayband aus 30 Jahren vor.

Peter Schneider im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 21.04.2020
Peter Schneider im Funkhaus
Der Intellektuelle Peter Schneider feiert heute seinen 80. Geburtstag (Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi)
"An der Schönheit kann‘s nicht liegen" lautet der Titel eines Buches von Peter Schneider aus dem Jahre 2015, das er Berlin widmete. In dieser Stadt lebt der Schriftsteller seit 1962 und hier wurde er zu einem der Protagonisten der 68er-Generation. In seiner autobiografischen Novelle "Lenz" hat Schneider diese Zeit der Rebellion, der freien Liebe und der politischen Arbeitszirkel kritisch verarbeitet. Früh wandte sich der Autor, dem 1973 mit dem Radikalenerlass der Eintritt in den Schuldienst verweigert wurde, vom Linksradikalismus ab. Aber immer wieder griff er in seinen Büchern die Spannung zwischen gesellschaftspolitischer Aufbruchsstimmung und Desillusionierung auf. So zum Beispiel in "Rebellion und Wahn" von 2008. Mit zu den berührendsten Texten von Peter Schneider gehört sicherlich der Band "Die Lieben meiner Mutter" von 2013, eine Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte seiner Mutter und seiner eigenen Kindheit.
An Kant geschult
Aber Schneider hat sich auch mit Zeitungsartikeln und Essays immer wieder in das Zeitgeschehen eingemischt. Davon zeugt der Band "Denken mit dem eigenen Kopf", jetzt pünklich erschienen zum 80. Geburtstag des Schriftstellers. Das Buch enthält Essays und Artikel aus 30 Jahren, vom Fall der Mauer bis in die jüngste Zeit mit kritischen Gedanken zu Europa. Er selbst bezeichnet im Vorwort diese Zusammenstellung als einen an Kant geschulten "Bildungsroman meines Verstandes". Gemeint ist damit nicht nur die Dokumentation seiner intellektuellen Wandlungen vom linksradikalen Rebellen zum politisch gemäßigten Beobachter des Zeitgeschehens. Schneider hat zudem seine früheren Postionen unter den jeweiligen Texten ausführlich kommentiert und auch revidiert. Es sei die Pflicht eines Intellektuellen, sich immer wieder mit seinen eigenen Irrtümern zu beschäftigen, meinte Schneider im Gespräch mit Maja Ellmenreich. "Es gibt auch Leute, die mich deswegen regelrecht hassen. Also, damit muss ich leben. Der Renegat! Der Verräter." Schneider spielte damit auf seine ehemaligen Generationsgenossen der 68er-Zeit an und deren "Gruppendenken" in den sogenannten K-Gruppen. "Da war ich auch ein halbes Jahr ziemlich fest mit Mao-Thesen dabei!"
Im Streit mit sich selbst
Seitdem steht Peter Schneider immer wieder quer zur bundesdeutschen Linken. So verteidigt er beispielsweise bis heute seine Kritik an der Friedensbewegung, die sich gegen eine deutsche Beteilung am UNO-Einsatz im Balkan-Krieg ausgesprochen hatte. Auch wollte er nicht zustimmen, als nicht wenige Linke im Auftreten der PEGIDA-Bewegung einen neuen Faschismus am Horizont heraufziehen sahen. Auf die Frage von Maja Ellmenreich, ob er diese Bewegung nicht doch unterschätzt habe, meinte Schneider wörtlich: "Ich fand diesen Alarmismus , dass man da sofort eine neue Nazipartei kommen sah, völlig fehl am Platz. Fast hat man sie herbeigerufen!" Aber man müsse sich durchaus um rechtextreme Strukturen, die es bei uns schon lange gebe, durchaus Sorgen machen, räumte der Schriftsteller ein. Das habe er in seinem Buch ja auch deutlich gemacht.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" beschrieb Peter Schneider einmal folgendermaßen: "Ein Renegat, ohne abzuschwören, ein Kritiker, ohne Verräter zu sein". Das mögen nicht alle seiner Generationsgenossen in einem so milden Licht sehen. Aber man kann dem nun 80-Jährigen nach der Lektüre des Buches doch Respekt zollen für seine aufrichtige Bereitschaft, sich mit dem eigenen Denken auseinander zu setzen.