Archiv


Peters: Tarifvertrag darf kein "zusätzliches Konkurrenzinstrument" werden

Spengler: Gestern haben die Tarifverhandlungen der deutschen Metall- und Elektroindustrie begonnen und wurden auf Januar vertagt, unter anderem in Berlin-Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, heute wird sich Ähnliches in Bayern, an der Küste und in Niedersachsen abspielen. Gerungen wird um die Frage, wie hoch die Lohn- und Gehaltserhöhung für 3,5 Millionen Beschäftigte im kommenden Jahr ausfallen soll. Die IG-Metall fordert vier Prozent, die Arbeitgeber sagen, das ist zu viel, sie wollen stattdessen eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche und es geht neben diesen konkreten Vorstellungen wohl auch noch darum, wie flexibel, offen, zukunftsfähig die Flächentarifverträge gestaltet werden. Stichwort: Öffnungsklausel. Am Telefon begrüße ich den ersten Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Metall. Einen schönen guten Morgen, Jürgen Peters.

    Peters: Schönen guten Morgen.

    Spengler: Herr Peters, bevor wir auf die Tarifrunde zu sprechen kommen, ein Wort zum Vermittlungskompromiss zwischen Regierung und Opposition. Können Sie damit leben?

    Peters: Wissen Sie, wir müssen mit allen Dingen leben, selbst wenn uns das Eine oder Andere nicht passt. Das Parlament, respektive die Regierung, setzt Fakten und wir müssen sehen, wie wir damit fertig werden.

    Spengler: Nur, manchmal mobilisiert ja die Gewerkschaft gegen solche Parlamentsbeschlüsse.

    Peters: Natürlich haben wir versucht auf den Gang der Dinge Einfluss zu nehmen, das ist auch unsere Aufgabe. Wir müssen sehen, dass wir die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitnehmerschaft schützen, wenn wir meinen, dass da etwas schützenswert ist. Nehmen Sie einmal die Entfernungspauschale, da sind unsere Leute betroffen, da können wir doch nicht einfach sagen, wissen wir nichts, können wir nichts zu sagen, sondern da müssen wir sagen, jawohl, das wird für einige einschneidende Maßnahmen bedeuten, insbesondere die, die lange Anfahrtswege haben, die haben heute einen steuerlichen Vorteil weniger.

    Spengler: Das klingt, als würden Sie bei Ihren Mitgliedern um Verständnis für diesen Kompromiss werben, sie aber nicht dagegen mobilisieren.

    Peters: Wissen Sie, es ist ein Unterschied, ob man zu jedem Detail auch immer wieder die Leute mobilisieren kann, letztendlich lassen die sich auch nicht auf Knopfdruck bewegen. Wir haben insbesondere natürlich auf die Tarifautonomie abgehoben, weil wir sehen, wenn das passiert, was sich dort einige vorstellen, dann ist für die Arbeitnehmer eine Unsicherheit aufgebrochen, die lässt sich nicht mehr reparieren. Das ist etwas, was von Dauer sein wird: nämlich, wenn der Tarifvertrag das, was den Arbeitnehmer im Hinblick auf seine Rechte, im Hinblick auf sein Einkommen sichert, wenn das aufgeknöpft wird, wenn das nicht mehr gelten soll, dann ist Holland in Not. Da muss man schon abwägen, ob das Eine oder Andere, das auch kritikwürdig ist, so viel Wert hat wie das Andere, zu dem wir mobilisiert haben.

    Spengler: Nun haben Sie dem Kanzler in der Reformdebatte versprochen, dass ein Gesetz über Tariföffnungen nicht nötig sei, sondern dass Sie stattdessen als Tarifpartner selbst es den Betrieben leichter machen wollen, von den strengen tariflichen Festlegungen im Vertrag abrücken zu können, wenn es denn nötig ist. Wie machen Sie das denn?

    Peters: Sehen Sie mal, wir haben ja längst solche Dinge. Das ist doch nichts Neues, da bauen doch einige einen Popanz auf. Wir haben immer gesagt, wenn ein Unternehmen in eine schwierige Fahrt kommt, werden wir nicht zugucken, sondern werden sicherlich mithelfen, dass das wieder flott gemacht wird.

    Spengler: Nun sagt aber die Opposition, das kommt immer zu spät.

    Peters: Ja, ja, die Opposition redet viel, wenn der Tag lang ist!

    Spengler: Aber der Kanzler hat auch gesagt, dass man die Tarifverträge öffnen soll.

    Peters: Lassen Sie sich doch mal der Realität nähern und nicht nur einfach eine Ideologie durch die Welt blasen! Die Realität sieht aus, dass wir Unternehmen, dann wenn sie in eine solche Bedrohung kommen, in der Tat auch tarifliche Marscherleichterung verschaffen. Abe, jetzt kommt das Aber dazu, wir können doch nicht unbotmäßig einen Eingriff in den Tarifvertrag zulassen, nur weil einige Neoliberale sich das so vorstellen. Das bedeutet nämlich, dass der Tarifvertrag ein zusätzliches Konkurrenzinstrument wird. Sie müssen sich das doch einmal praktisch vorstellen: wenn ich dem Unternehmen A 5 Prozent oder gar 10 Prozent aus dem Tarifvertrag nachlassen würde, wieso soll denn B, der Konkurrent dazu, nicht zu der gleichen Gewerkschaft kommen und sagen, sagen sie mal, wieso werde ich hier schlechter behandelt als mein Mitkonkurrent? Ich bin Wettbewerber zu dem, ich will die gleichen Wettbewerbschancen! Das heißt, wir würden hier das Einkommen der Arbeitnehmer permanent nach unten regulieren, so tief, dass im Grunde genommen niemand mehr leben kann. Und dazu ist eine Gewerkschaft nicht da, dazu werden wir auch die Hand nicht reichen!

    Spengler: Herr Peters, das verstehe ich. Was ich aber nicht verstehe, ist, was es dann bedeutet, wenn Sie konkret zugestehen, ich zitiere wörtlich, "den Spielraum für weitere betriebliche Gestaltungsspielräume zu erweitern". Was heißt das denn dann?

    Peters: Ich will Ihnen das einmal an einem Beispiel sagen.

    Spengler: Das ist gut.

    Peters: Was ja ganz offenkundig ist, wir haben hier seit geraume Zeit gesagt, wir sind bereit, was die Arbeitszeit angeht, noch flexibler zu sein. Mit einer ungleichen Verteilung kann man beispielsweise Auftragsspitzen auffangen, man kann auch die Flaute damit, wenn Sie so wollen, angemessen berücksichtigen. Das würde bedeuten, dass wir hier mit den Arbeitgebern darüber reden müssen, in welcher Bandbreite ist denn das dann zukünftig nötig, möglich? Das sollen dann die Betriebsparteien miteinander verabreden. Das heißt, wir können hier nicht uferlos die Arbeitszeiten zulassen und dann arbeitet der eine in der Woche 45 Stunden, und wir wissen die gesundheitlichen Folgen bei einer Überlastung, und die anderen sagen, wir halten uns an das, was notwendig ist oder was menschlich zumutbar ist, das heißt hier wieder ungleiche Fahrten. Wir könnten uns vorstellen, zwischen einer Bandbreite 30 nach unten, 40 nach oben, dort kann eine Arbeitszeit schwanken, muss über einen Zeitraum X ausgeglichen werden. Dann müssen wir uns mit den Arbeitgebern darüber unterhalten, wie das, was jetzt auf Arbeitszeitkonten, zeitweilig oder für einen längeren Zeitraum, an Arbeitszeit geparkt oder gebunkert ist, oder wie immer Sie das nennen wollen, wie das gesichert wird. Denn es ist doch völlig logisch, dass der Arbeitnehmer sich nicht sagt, ich summiere Arbeitszeit auf und anschließend ist die Unsicherheit da, ob denn das auch gesichert ist zum Beispiel im Falle eines Konkurses. Sehen Sie, da haben wir schon sehr viele Spielräume, wo die betrieblichen Entscheidungen erweitert werden können, wo es aber immer noch in einer Norm bleibt, die eben nicht eine zusätzliche Konkurrenz und eine unbotmäßige zusätzliche Konkurrenz bedeutet.

    Spengler: Kommen wir noch auf die konkreten Gehaltsforderungen zu sprechen. Vier Prozent fordern Sie, die Mehrheit der Wirtschaftsexperten mahnt nur zwischen ein und zwei Prozent seien gefahrlos möglich.

    Peters: Wissen Sie, die Herren, die dort ihre wissenschaftlichen Ergüsse über die Welt streuen, die haben bisher, jedenfalls nach meiner Kenntnis, kaum recht gehabt, was die Datenlage angeht und was die wirtschaftliche Entwicklung angeht. Es ist oftmals so, dass die, die sich für sich selbst ein Einkommen sichern, den anderen nichts zumuten oder zubilligen wollen. So geht das hier nicht. Wir haben ein Problem, das eine Problem ist die Produktivität, die ist in Deutschland außerordentlich hoch, die höchste fast in der Welt, was uns im Übrigen auch auszeichnet, was den Standort Deutschland auszeichnet, ihn konkurrenzfähig macht gegenüber allen anderen Standorten. Aber diese Produktivität, die in der Gesamtwirtschaft natürlich anders aussieht, als in der Einzelwirtschaft, - wir haben uns der gesamtwirtschaftlichen Sichtweise immer genähert -, wir sagen, um die zwei Prozent bis 2,5 Prozent wird die Produktivität hoch sein. Wenn die Leute also mehr arbeiten, höhere Leistung bringen, dann wollen sie auch an diesem Erarbeiteten teilhaben. Eine Logik, die ich glaube, jedem eigentlich offen sein muss. Dann haben wir natürlich ein Problem, wenn die Preise steigen, bedeutet das, dass das, was an Einkommen heute da ist, durch die Preissteigerung, wenn Sie so wollen, ausgehöhlt wird. Wir müssen also die Preissteigerungsraten auffangen, sonst hat der Arbeitnehmer heute weniger, als er gestern hatte. Das sind schon zwei Dinge, die gemacht werden müssen, damit wir den Status Quo einigermaßen halten und das ist der Streit mit den Arbeitgebern, die natürlich von der Produktivität möglichst wenig abgeben wollen und wir wollen natürlich möglichst viel dafür haben.

    Spengler: Herr Peters, ich muss Ihnen sagen, dass wir auch ein Problem haben. Wir haben nämlich das Problem, dass gleich die Nachrichten kommen und unser Gespräch beendet werden muss. Ich bedanke mich dafür. Das war Jürgen Peters, der erste Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall.