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Pflege
Entlastung nur für Angehörige

Erwachsene Kinder von pflegebedürftigen Eltern werden finanziell bessergestellt. Der Bundestag hat beschlossen, dass sie künftig erst ab einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 Euro für die Heimkosten der Eltern aufkommen müssen. Patientenschützern geht das nicht weit genug.

Von Frank Capellan | 08.11.2019
Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Mit den Stimmen von Union, SPD und Bündnis90/Die Grünen passierte das Gesetz gestern abend das Parlament. (Christoph Soeder/dpa)
Es war ein Lieblingsanliegen des Arbeitsministers, es ist eine Angelegenheit, die Hubertus Heil auch als Gewinnerthema für seine Sozialdemokratie sieht. Und so beklagt er auch ganz direkt, dass der Bundestag zu spätabendlicher Stunde die Entlastung von Kindern pflegebedürftiger Menschen beschließt.
"Es ist ein wichtiger Schritt und ehrlich gesagt hätte das eine andere Tageszeit auch vertragen, damit Menschen wissen, was wir hier in diesem Land machen. Das ist ein Arbeitsparlament, es ist anstrengend, das hier zu machen, aber wir leisten heute einen Beitrag, das Leben von Menschen konkret zu verbessern."
Wer ein Jahresbruttoeinkommen von weniger als 100.000 Euro hat, muss künftig nicht mehr für die Heimkosten der pflegebedürftigen Eltern aufkommen. Wer ins Altersheim muss und den Platz nicht selbst finanzieren kann, der kann Sozialhilfe in Anspruch nehmen. SPD-Minister Heil spricht von einem Beitrag der Menschlichkeit. Es sei längst überfällig gewesen, Angehörigen, die durch die Pflegebedürftigkeit von Mutter und Vater ohnehin in einer schwierigen emotionalen Situation sind, unter die Arme zu greifen.
"Und wenn man sich das vergegenwärtigt, dass für viele Familien es emotional belastend ist, wenn Angehörige Pflegebedürftig werden, dass es organisatorisch anstrengend ist, dass es oft Menschen sind, die in der Mitte des Lebens stehen, die arbeiten, die vielleicht auch Kinder erziehen, dann ist es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit jedenfalls unkalkulierbare, finanzielle Risiken beim Unterhaltsrückgriff diesen Menschen von den Schultern zu nehmen, das machen wir heute!"
AfD kritisiert Abwälzung der Kosten auf die Kommunen
Das Parlament stimmt ihm grundsätzlich zu. Auch die Opposition. Der AfD-Abgeordnete Jürgen Pohl beklagt allerdings, dass die Kosten auf Städte und Gemeinden abgewälzt würden.
"Es darf durch die Pflege keine Pflegebedürftiger und kein Angehöriger zum Sozialfall werden, das muss ehernes Ziel unserer Gesellschaft sein, aber: ein großes Aber – stattdessen machen Sie die Kommunen zum Sozialfall durch dieses Gesetz."
Der Sozialminister rechnet mit Mehrkosten von 300 Millionen Euro jährlich. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des deutschen Städtetages, spricht von 500 Millionen. Als Träger der Sozialhilfe könnten die Kommunen also die Leidtragenden sein, denn das Gesetz sieht bisher keinen Kostenausgleich vor. Kritik daran auch von den Liberalen – der Abgeordnete Jens Beeck
"Besser wäre es gewesen, dieses Gesetz nicht nur zu verabschieden, sondern die Finanzverantwortung dann auch dorthin zu legen, wo das Gesetz verabschiedet wird. Diese Finanzlast den Kommunen aufzubürden, ist grundfalsch!"
Patientenschützer sehen praktisch kaum Effekte
Eugen Brysch, Chef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, fürchtet allerdings, dass das Gesetz zu wenige Menschen erreichen wird. "Es klingt groß, wird aber in der Praxis kaum zu spüren sein", glaubt er. Für ihn bleibt ein Kernproblem: Die Pflegebedürftigen Menschen selbst werden nicht entlastet. Seiner Ansicht nach macht Pflege weiterhin arm und zwingt viele Betroffene in die Sozialhilfe.
Im Bundestag erhält das Gesetz am Ende die Zustimmung von Union, SPD und Grünen. Teil des Vorhabens ist auch eine Entlastung von Menschen, die erwachsene Kinder mit einer Behinderung haben. Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung und ebenfalls Sozialdemokrat, hatte gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil schon lange auf eine entsprechende Gesetzesänderung gedrängt.
"Die angeblich besseren Gene oder das unfallfreie oder krankheitsfrage Leben hat sich ja niemand sozusagen verdient, sondern das Schicksal weist das ja zu letztlich, und vor dem Hintergrund ist der Sozialstaat gut beraten, hier ein Korrektiv und einen Ausgleich zu schaffen!"
Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen, über die Kostenfrage dürfte dabei nochmals gestritten werden.