Dienstag, 16. April 2024

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Pflege in der Corona-Pandemie
"Die Impfbereitschaft ist sehr hoch"

Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, geht davon aus, dass durch den Impfstoff von AstraZeneca Impfungen für weitere Gruppen schneller angeboten werden können. Menschen mit Erkrankungen, die bisher nicht auf der Liste stünden, könnten durch den neuen Impfentwurf priorisiert werden, sagte er im Dlf.

Andreas Westerfellhaus im Gespräch mit Sandra Schulz | 03.02.2021
Ein Senior wird von einer medizinischen Fachkraft mit dem Pfizer-BioNTech-COVID-19-Impfstoff geimpft. Am Mittag hatte das Kreisimpfzentrum in der Messe Friedrichshafen aufgemacht.
Andreas Westerfellhaus ist erleichtert, dass bereits in vielen Bereichen die zweite Impfung angeboten werden konnte. (dpa)
In der kommenden Woche sind die nächsten Bund-Länder-Gespräche im Kampf gegen die Coronakrise geplant. Eine Lockerung der Maßnahmen scheint sich momentan nicht abzuzeichnen. Und auch die Debatte um die Corona-Impfungen geht weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel geht davon aus, dass jedem Bürger bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot gemacht werden kann. Ein Ort an dem die Impffrage besonders intensiv diskutiert wird, sind die Alten-und Pflegeheime. Immer wieder zeigte sich das Robert-Koch-Institut besorgt über die hohe Anzahl an Infektionen - häufig mit tödlichen Folgen. Daher stehen diese Einrichtungen auf Platz eins der Impfprioritätenliste.


Andreas Westerfellhaus ist der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Im Dlf sagte er, die Impfbereitschaft in den Pflegeeinrichtungen sei sehr hoch. Die Hoffnung, wieder zu einem Alltag zurück zu kommen, würde die Diskussion bestimmen. Er zeigte sich erleichtert darüber, dass bereits in vielen Bereichen die zweite Impfung angeboten werden konnte. Dennoch gebe es einige Ressorts, die derzeit Sorge trügen, ob sie für eine zweite Impfung ausreichend Impfstoff haben.
Andreas Westerfellhaus sitzt bei einer Tagung vor einem Mikrofon
Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung (picture alliance / dpa / Andreas Gora)
In den vergangenen Wochen habe man mit den zu dem Zeitpunkt zugelassenen Impfstoffen gearbeitet - der Impfstoff der Firma AstraZeneca habe damals nicht dazu gehört. "Dieser kann die Situation erheblich entlasten", sagte er.
"Wenn wir jetzt einen Impfstoff, der viel leichter zugänglich ist, möglicherweise auch in Hausarztpraxen verimpft werden kann, anderen vorzugsweise zur Verfügung stellen können, ich finde, muss man das auch betonen, dass auch das ein Fortschritt ist, wo dann andere Impfstoffe, die wir bisher verimpft haben, weiter der Risikogruppe eins und damit älteren Personen zur Verfügung stehen", so Westerfellhaus im Dlf.
Er fordert, pflegenden Angehörigen wie auch den Menschen, die zuhause sind, aber auch zum Beispiel in Tagespflege-Einrichtungen oder Assistenzkräfte, die Menschen mit Behinderung begleiten, diesen Impfstoff zur Verfügung zu stellen.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt darauf, dass Mitte Januar die ersten Risikogruppen in Deutschland geimpft sind. Trotzdem rechnet er damit, dass die Situation bis zum Ende des Winters schwierig bleibt. Beim Thema Impfung forderte er im Dlf eine offene Debatte.
Das gesamte Interview:
Sandra Schulz: Wir haben die Eindrücke jetzt aus Sachsen gehört. Was ist Ihr Bild? Wie geht es den Pflegebedürftigen jetzt aktuell in der Pandemie?
Andreas Westerfellhaus: Na ja. Wie wir gerade gehört haben: Die Impfbereitschaft ist sehr hoch und die verbundene Hoffnung und die Erleichterung, wieder zu Normalitäten des Alltags zu kommen, bestimmt die Diskussion, und darüber bin ich sehr froh; auch froh, dass es vorangeht und dass in vielen Bereichen, wie wir gerade gehört haben, auch die zweite Impfung angeboten werden kann. Ich hoffe, das führt schnell dazu, dass uns allen dabei auch die Normalität, auf die wir so dringend warten, zurückgegeben wird.

"Wir haben ja bis jetzt mit den zugelassen Impfstoffen gearbeitet"

Schulz: Die Normalität? Das Zwischenziel jetzt mit Blick auf diese Alten- und Pflegeheime, das ist sicherlich, dass die Angehörigen wieder besser rein und raus können. Es gibt ja Bundesländer, die auch schon melden, dass die Alten- und Pflegeheime durchgeimpft sind. Ist das schon Realität?
Westerfellhaus: Ja, wir haben in vielen Bereichen doch regional schon die zweite Impfung verabreicht. Wir haben natürlich auch Ressorts, die jetzt ganz große Sorge haben, was ist mit dem zweiten Impfstoff, haben wir genügend da. Ich weiß zum Beispiel aus meiner Heimat in Nordrhein-Westfalen, man hat von vornherein daran gedacht, auch für die zweite Impfung Rückstellungen zu bilden, damit in jedem Fall denjenigen, die die erste Impfung bekommen haben, auch die zweite Impfung angeboten werden kann.
Schulz: Diese Sorgen gründen sich jetzt auch auf die Kürzungen zum Beispiel von AstraZeneca?
Westerfellhaus: Nein, das eigentlich nicht, denn die stehen ja jetzt vor der Zulassung oder werden jetzt zugelassen. Wir haben ja bis jetzt mit den zugelassen Impfstoffen gerechnet und gearbeitet. Das heißt: AstraZeneca als ein wirksamer Impfstoff kommt jetzt dazu und kann die Situation, wie ich hoffe und auch daran glaube, doch erheblich entlasten.
Schulz: Der ist bisher nicht eingepreist, denn da wäre sonst auch die nächste Frage, ist in Deutschland von der Impfkommission ja auch gar nicht für über 65jährige empfohlen.
Westerfellhaus: Das ist richtig. Aber das heißt ja nicht – das muss ich an der Stelle auch noch mal betonen -, dass er nicht wirksam ist, sondern dort gab es in dieser Altersgruppe über 65 zu wenige Probanden, dass man eine sichere Aussage machen kann. Wenn wir jetzt einen Impfstoff, der viel leichter zugänglich ist, möglicherweise auch in Hausarztpraxen verimpft werden kann, anderen vorzugsweise zur Verfügung stellen können, ich finde, muss man das auch betonen, dass auch das ein Fortschritt ist, wo dann andere Impfstoffe, die wir bisher verimpft haben, weiter der Risikogruppe eins und damit älteren Personen zur Verfügung stehen.
Schulz: Aber wenn jetzt ein älterer Mensch das Angebot hat, mit AstraZeneca geimpft zu werden – Sie sagen jetzt, die Empfehlung heißt ja nicht, dass man es nicht machen kann -, würden Sie dem oder der dann dazu raten?
Westerfellhaus: Nein. Ich denke mal, die Verordnung, die jetzt auf dem Weg ist und die wir jetzt auch nicht kennen, weil sie in der Ressortabstimmung ist, wird sich ja darauf beziehen, dass man über 65jährigen den Moderna und den anderen Impfstoff von BioNTech anbietet. Ich glaube, das ist die Klassifikation. Und sobald AstraZeneca zur Verfügung steht, weitere Gruppen schneller öffnen kann, die nicht zu der älteren Gruppe gehören. Ich glaube, dass diese Auswahl sich hier nicht stellen wird.

"Manchmal hilft die Post, mit der man jemand eine Karte schickt, dann ist Ihr Impftermin"

Schulz: Schneller öffnen ist sicherlich das Zauberwort in den Ohren vieler Menschen, wenn sie das jetzt hören. Wir haben gerade über die Lage in den Alten- und Pflegeheimen gesprochen. Den Menschen, die pflegebedürftig sind, die sich nicht in so einer Einrichtung befinden, ist damit ja noch nicht geholfen.
Westerfellhaus: Das ist sehr wichtig und deswegen ist meine Forderung ja auch, pflegenden Angehörigen wie auch den Menschen, die zuhause sind, aber auch zum Beispiel in Tagespflege-Einrichtungen oder Assistenzkräfte, die Menschen mit Behinderung begleiten, diesen Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Das war bislang eine Herausforderung, indem man gesagt hat, wir müssen mit, wie wir gerade gehört haben, mobilen Teams mit einem hoch empfindlichen Impfstoff eine große Menge an Menschen impfen. Ich glaube, wenn wir einen Impfstoff haben, der vor der Zulassung steht, mit dem wir wirklich auch in die Haushalte gehen können oder wo wir auch andere über die hausärztliche Versorgung zur Verfügung stellen können, wird man dem nachkommen können. Aber ganz klar: Meine Erwartung ist schon die, dass das Pflegepersonal in Tagespflege-Einrichtungen, pflegende Angehörige, die pflegebedürftigen Menschen, die den größten Teil ausmachen, die zuhause leben, und wie gesagt das Assistenzpersonal von Menschen mit Behinderung jetzt mit in die hohe Priorisierung aufgenommen wird.
Pflege in Zeiten der Corona-Pandemie - Die Isolation der Alten
Die Pflegeheime sind in einem Dilemma: Sie sollen die Alten schützen, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind. Aber mit welchen Folgen? Telefon oder Video-Konferenzen können Nähe und Berührung nicht ersetzen. Und auch nicht die Hilfe der Angehörigen bei der Pflege.
Schulz: Die Forderung habe ich wahrgenommen. Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass dieser Forderung nachgekommen wird? Im Moment sprechen wir über Menschen, über Angehörige, die in Telefon-Hotlines hängen, teilweise über viele Stunden, die teilweise versuchen, über Portale online Termine zu buchen. Von mobilen Impfteams haben da, glaube ich, viele Angehörige und viele Pflegebedürftige noch nicht profitiert.
Westerfellhaus: Das ist richtig und da lassen Sie mich auch ganz ehrlich sagen, das ist für mich in vielen Bereichen unverständlich, was dort abgelaufen ist. Wenn ich einen Tag benenne, an einem Montag, wo sich über 80jährige melden können für ein Impfzentrum, dass da Tausende von Menschen anrufen, oh welche Verwunderung, damit musste man rechnen. Ich weiß nicht, wie in einigen Bundesländern ja passiert, warum man nicht professionelle Dienstleister einsetzt, für die so was in anderen Fällen ja Tagesgeschäft ist. Aber nicht zurückblicken! Ich höre, dass es jetzt in vielen Bereichen besser läuft. Und da, wo es nicht läuft, muss ganz schnell mit Hochdruck nachgearbeitet werden. Und wie wir in anderen Bundesländern auch sehen: Manchmal hilft einfach die gute alte Post, mit der man jemand eine Karte schickt, dann ist Ihr Impftermin und dann können Sie das dort und dort tun.

"Wir sind dabei zu impfen und wir werden genügend Impfstoff haben"

Schulz: Es warten ja auch händeringend Menschen auf Impfungen, die unter 70 oder 80 sind – Menschen mit Behinderungen, Menschen, die pflegebedürftig sind. Sind die vergessen worden?
Westerfellhaus: Nein, die sind jetzt in der neuen Impfverordnung. Wie gesagt, die ist ja noch in der Abstimmung. In der Impfverordnung sind sie aufgenommen. Das heißt, dass dort, wo besondere Risiken bestehen, auf Attestierung des Hausarztes – so ist es zumindest angedacht – genau hier eine höhere Priorisierung vorgenommen werden kann.
Schulz: Aber Sie haben es gesagt: Diese Verordnung ist jetzt in der Abstimmung. Die Impfungen laufen ja schon seit Ende Dezember. Damit ist für viele Menschen ein ganzer Monat Zeit verloren gegangen. Hat da vielleicht auch der Pflegebevollmächtigte, haben Sie da vielleicht nicht laut genug erinnert und gemahnt?
Westerfellhaus: Wir haben von Anfang an über die Priorisierung sprechen müssen – deswegen, weil ein reglementierter Impfstoff zur Verfügung steht. Wir mussten von Anfang an auch Priorisierungen vornehmen, wie kann man impfen mit mobilen Teams in letztendlich großen Gruppen. Dass wir natürlich den Hinweis gegeben haben, welche Gruppen stehen auch dahinter, wer muss auch berücksichtigt werden, hat nichts damit zu tun, dass es nicht gleichwertig ist oder gleich nötig ist, sondern letztendlich mit der Menge des verfügbaren Impfstoffs.
Lassen Sie mich aber eines sagen. Wir haben im Frühjahr 2020, als die Pandemie so richtig an Fahrt aufnahm, gezeigt und gehofft, dass wir irgendwann in anderthalb Jahren bis zwei Jahren einen Impfstoff zur Verfügung haben. Jetzt haben wir nach einem Jahr den Impfstoff. Wir sind dabei zu impfen und wir werden dieses Jahr genügend Impfstoff zur Verfügung haben. Das muss man jetzt da, wo es organisatorische Mängel gegeben hat, schnellstmöglich nachbessern.
Aber ich muss auch sagen, wir müssen auch sehen: Wir waren viel schneller. Wir können allen schneller ein Angebot machen, und das ist die Betonung, die man auch wirklich mal wieder artikulieren muss.

"Menschen mit Erkrankungen priorisieren"

Schulz: Ich verstehe, dass diese Punkte immer wieder genannt werden, was jetzt aus Ihrer Sicht alles gut gelaufen ist. Aber ich möchte noch mal bei den Pflegebedürftigen unter 65 bleiben. Da ist gestern ein Fall berichtet worden, ein Mann aus Frankfurt. Der musste sich seine Impfdosis jetzt gerichtlich erstreiten. Ist es das, was Pflegebedürftige zusätzlich zu ihrem Alltag noch brauchen?
Westerfellhaus: Nein, das brauchen sie sicherlich nicht. Deswegen wird jetzt in dem Impfentwurf, der jetzt zur Abstimmung steht, eine Klausel eingeführt, dass Menschen mit Erkrankungen, die bisher nicht auf der Liste stehen, aber ein sehr hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben, priorisiert werden können. Dafür ist ein ärztliches Attest oder von einem durch eine Gesundheitsbehörde beauftragten Arzt nötig und nicht der Gang vors Gericht. Das ist nicht zumutbar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.