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Pflegeausbildung in Bayern
Pflegeschüler fordern Verzicht auf Abschlussprüfung

Für Pflegeschüler in Bayern ist eine vernünftigte Vorbereitung auf ihre Abschlussprüfung derzeit kaum möglich. Die Prüfung soll trotzdem stattfinden. Widerstand formiert sich - eine Petition mit rund 7.000 Unterzeichnern sieht eine andere Lösung vor.

Von Michael Watzke |
Pflegeausbildung an der Puppe in Sachsen-Anhalt
Ausbildung an Puppen (hier in Sachsen-Anhalt) ist Standard, aber Prüfung an einer Puppe? Pflegeschüler in Bayern stören sich an den Behelfsmaßnahmen ihres Gesundheitsministeriums. (picture alliance / dpa / Waltraud Grubitzsch)
Auf Facebook hat Julia Schmidt ein neues Profilbild eingestellt. Es zeigt die Altenpflegeschülerin mit einer Plastikpuppe und dem Satz "Nein danke". Die Zwanzigjährige sagt: "Es ist kompliziert!" Und damit meint die Bayreutherin nicht ihren Beziehungsstatus. Sondern das Verhalten des bayerischen Gesundheitsministeriums:
"Es würde uns schon sehr helfen, wenn wir einfach mal mehr Informationen bekommen würden. Input bekommen würden. Wir müssen arbeiten UND lernen. Aber wir arbeiten gerade nur, weil Lernen gerade gar nicht möglich ist."
Ein Handwerker arbeitet an Badezimmer-Fliesen.
Azubis und Betriebe in Wartemodus
Die Pandemie wirkt sich auch auf Berufsausbildungen aus. Zwischenprüfungen werden abgesagt, Abschlussprüfungen drohen auszufallen. Für viele Auszubildende bringt das Probleme bei der anschließenden Jobsuche.
Prüfungsvorbereitung fällt momentan aus
Julia Schmidt ist im dritten Lehrjahr und steht – wie zehntausende Mitschülerinnen und Mitschüler in ganz Deutschland - kurz vor ihrer Abschluss-Prüfung als Altenpflegerin. Aber ordentliches Lernen und Vorbereiten sei derzeit bei der täglichen Belastung in den Altenheimen einfach nicht drin.
"Normalerweise hätten wir jeden Montag in der Woche Prüfungs-Vorbereitungen. Von 16 bis 18 Uhr. Das fällt natürlich aus. Dann hätten wir in den Pfingstferien komplett zwei Wochen Prüfungsvorbereitung gehabt. Fällt auch aus. Wir kommen gar nicht zum Lernen. Mittlerweile lässt die Pflegeschule alles auch ein wenig baumeln."
Sie mache den Pflegeschulen keinen Vorwurf, sagt Schmidt. Aber warum bestehe das zuständige Gesundheitsministerium in Corona-Zeiten auf Praxisprüfungen und bestimmten Tests an Plastikpuppen?
"Das können wir doch an einer Puppe nicht machen! Eine Infusion legen? Um es zu lernen – okay! Aber eine Prüfung an einer Puppe durchführen? Das funktioniert nicht! Wir müssen doch mit den Patienten kommunizieren. Alles kommt mit in die Berechnung der Noten rein."
Petition für Verzicht auf die Prüfung
Unterstützung erhält die junge Oberfränkin von Heidrun Riesop, ihrer früheren Sozialpflege-Ausbilderin. Riesop hat eine Internet-Petition gestartet.
"Diese Petition will erreichen, dass die Vornoten gewertet werden. Und dass auf die Prüfung verzichtet wird. Für diesen einen Jahrgang."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Rund 7.000 Schülerinnen und Schüler aus den Bereichen Altenpflege, Heilerziehung und Krankenpflege haben bis jetzt unterschrieben. Ihr Argument: In den vergangenen Jahren hätten die Prüfungsergebnisse zu 98 Prozent die Vornoten der Ausbildung bestätigt. Und wer doch eine Prüfung wolle, etwa um sich zu verbessern, der solle sie später absolvieren dürfen. Nach Corona, sagt Petitionsinitiatorin Riesop. Denn:
"Die Vornoten fallen ja nicht vom Himmel. Es gibt ja auch Vornoten für die Praktikumsbesuche. Die laufen genauso ab wie die Prüfungen."
Ministerium: "Prüfungen werden modifiziert stattfinden"
Das bayerische Gesundheitsministerium, das für die vor den Sommerferien geplanten Prüfungen im Freistaat zuständig ist, äußert sich auf Anfrage des Deutschlandfunks schriftlich:
"Die Abschlussprüfungen werden modifiziert stattfinden. Insbesondere müssen Auszubildende nicht befürchten, aufgrund des pandemiebedingten Unterrichtsausfalls bzw. fehlender Praxisstunden ihre Prüfung nicht zu bestehen. Hier werden wir in Bayern von einer großzügigen Rücktrittsmöglichkeit Gebrauch machen."
Nicht möglich sei es, so das Ministerium, Auszubildende ohne Abschlussprüfung ins Feld zu schicken. Das verbiete das Krankenpflegegesetz:
"Die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnungen 'Gesundheits- und Krankenpfleger/in', 'Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in' oder 'Altenpfleger/in' darf bundesgesetzlich nur erteilt werden, wenn die vorgeschriebene Prüfung bestanden wurde."
"Keine fairen Prüfungsbedingungen"
Dieses Argument überzeugt die Petenten aus der Alten- und Krankenpflege nicht. Denn schon jetzt würden die Auszubildenden wegen des Fachkräftemangels und der Coronakrise de facto als Fachkräfte arbeiten, auch wenn sie nicht so bezahlt würden. Und wer die Sicherheitsvorkehrungen kenne, die derzeit in Altenheimen zum Schutz vor Infektionen gelten, der wisse, so Riesop:
"Dass die praktischen Prüfungen gerade gar nicht möglich sind. Weder in der Altenpflege noch in der Heilerziehungspflege. Und auch in den Krankenhäusern sind die Prüfungen massiv erschwert. Und das sind keine fairen Prüfungsbedingungen."
Riesop fürchtet eine Klagewelle, wenn Bayern und andere Bundesländer die Prüfungen wie geplant durchziehen. Es sei zwar schön, dass es derzeit überall Beifall und bunte Bilder für die Fachkräfte in der kritischen Infrastruktur gebe. Aber wenn es um wichtige Anliegen gehe, dann fehle die Unterstützung. Findet auch die Bayreuther Altenpflegeschülerin Julia Schmidt:
"Ich hoffe, dass die Vornoten anerkannt werden oder uns anderweitig geholfen wird. Ich habe aber keine Ahnung, was die mit uns vorhaben. Ich find's einfach nur ne Sauerei."