
Der schwarz-roten Bundesregierung wird mitunter vorgeworfen, mit großen Ankündigungen überzogene Erwartungen zu schüren – was dann wiederum Enttäuschung auslösen kann. Der „Herbst der Reformen“ war so ein Beispiel. Ähnliches zeichnet sich nun bei der Pflege ab. CDU/CSU und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag „tiefgreifende strukturelle Reformen“ bei Gesundheit und Pflege angekündigt. Doch Kritiker vermissen bisher ein klares Konzept.
Was sind die großen Baustellen in der Pflege?
Zunächst sind da finanzielle Probleme. Sechs Milliarden Euro fehlen bis 2027 in der Pflegekasse, bis 2029 sind es sogar 12 Milliarden. Hinzu kommt ein akuter Fachkräftemangel. Außerdem klagen viele Pflegekräfte und Angehörige von pflegebedürftigen Menschen über zu viel Bürokratie im Alltag. Zugleich kostet die Pflege in Heimen wegen gestiegener Löhne und Sachkosten immer mehr. Betroffene zahlen deshalb höhere Eigenanteile.
Verschärfen dürfte sich die Situation durch die demografische Entwicklung. Erwartet wird laut Bevölkerungsprognosen ein weiterer Anstieg der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland. 1999 waren bundesweit rund zwei Millionen Menschen pflegebedürftig, Ende 2023 waren es bereits 5,7 Millionen. Dies liegt teilweise allerdings auch daran, dass mehr Menschen als früher als pflegebedürftig eingestuft werden.
Was schlägt die Bund-Länder-Gruppe zur Pflege vor?
In einem 48-seitigen Papier sowie in einer kürzeren „Roadmap“ werden Ideen und Vorschläge aufgelistet. Unstrittig ist, dass die Pflegeversicherung eine Teilversicherung bleiben soll. Also müssen Betroffene auch weiterhin die Pflegekosten teilweise mitfinanzieren. Außerdem hält man im Kern an den fünf Pflegegraden fest -von geringen (Pflegegrad 1) bis zu schwersten Beeinträchtigungen (Pflegegrad 5). Allerdings könnte sich die Definition der Pflegegrade ändern, weshalb Leistungskürzungen nicht ausgeschlossen sind.
Laut Arbeitsgruppe soll die Prävention gestärkt werden, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden - etwa durch freiwillige entsprechende Gesundheitschecks im Alter. Weiterhin soll geprüft werden, ob Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit für die Pflege reduzieren, künftig eine teilweise finanzielle Kompensation erhalten können. Durch den Abbau von Bürokratie und Regulierung sollen Einrichtungen und Pflegepersonal entlastet werden, außerdem wirbt das Papier für mehr Flexibilität beim Personaleinsatz und für Digitalisierung.
Die Ergebnisse seien „eine gute Grundlage, um im engen Austausch innerhalb der Bundesregierung und mit den Ländern einen Gesetzentwurf zu erarbeiten“, sagt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Die Kernfrage bleibe „die nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung“.
Welche Kritik gibt es an den Vorschlägen?
Für die Vorsitzende des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, ist das Papier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine „Zusammenschreibung dessen, was wir alles wissen“. Es gehe jetzt aber um eine politische Entscheidung. „Uns muss klar sein, dass wir dieses System Gesundheit angehen müssen. Es reicht ja nicht, nur über die Pflegeversicherung nachzudenken.“ Vogler plädiert dafür, Gesundheitskompetenz und Prävention zu stärken. „Es werden wirklich 25 Prozent der Pflege-Fachpersonen in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Wir werden aber einen massiven Anstieg der Pflegebedürftigkeit haben“, so Vogler.
Ähnliche Kritik kommt von Verbänden, Kassen und Fachleuten. Sozialverbände monieren vor allem, die Vorschläge im Papier seien unkonkret. Auch klare Aussagen zur Finanzierung werden angemahnt.
Die „Roadmap“ bleibe in den entscheidenden Fragen „vage und stiftet mehr Verwirrung als Orientierung“, sagt die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. Statt einen klaren Fahrplan aufzuzeigen, drückten sich die versammelten Verantwortungsträger „vor eindeutigen Aussagen und liefern keine Entscheidungen für eine nachhaltige Struktur- und Finanzierungsreform in der Pflegeversicherung“.
Welche anderem Ideen gibt es für eine Pflegereform?
Strukturen der Pflege wie Nachbarschaftshilfe müssten stärker eingebunden werden, um sie verlässlich zu machen, sagt Notburga Ott, emeritierte Professorin für Sozialpolitik an der Ruhr-Universität Bochum, die sich im Verein „Wir pflegen“ engagiert. „Die Bereitschaft in der Gesellschaft“ müsse man „systematisch einbinden“.
Für Unmut sorgt, dass alternative Methoden zur Finanzierung der Pflege wie die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, eine Solidarabgabe für „Babyboomer“ oder die Heranziehung von anderen Einkommensarten wie Aktien von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe nicht geprüft wurden.
Der Sozialverband Deutschland verweist darauf, dass laut einer Umfrage eine große Mehrheit für die Einführung einer solidarischen Bürgervollversicherung sei: „In diese würden auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige einzahlen. Zugleich übernähme sie einen deutlich höheren Anteil der Pflegekosten als die aktuelle Teilversicherung.“
Es gibt auch den Vorschlag, Besserverdienende zur Finanzierung der Pflege stärker zu belasten. Dazu soll die Lohngrenze, auf die man Pflegebeiträge zahlen muss, von 5.500 auf 8.000 Euro steigen. Doch Gesundheitsministerin Warken lehnt das bisher ab. Sie will keine Mehrbelastungen. Die CDU-Politikerin steht also im Jahr 2026 politisch unter Druck, eigene Vorschläge zu machen und durchzusetzen.
tei, mit AFP und epd













