
Wer alte Menschen zu Hause pflegt und dabei mit ihnen unter einem Dach lebt, kann Arbeit und Freizeit kaum trennen. Meist sind es Betreuerinnen aus Osteuropa, die nicht selten unter prekären Bedingungen leiden. Die Politik sucht nach Lösungen.
Eine stark wachsende Branche
Schätzungsweise 300.000 bis 600.000 Frauen – es sind fast ausschließlich Frauen – kümmern sich um alte Menschen, die zuhause leben. Da es keine staatlichen Zuschüsse gibt, sind die Schätzungen eher grob.
Die Betreuerinnen sorgen dafür, dass das Pflegesystem nicht zusammenbricht. Der Bedarf nach Hilfe ist groß und wird wegen der demografischen Entwicklung weiter wachsen. Fast alle Betreuerinnen kommen aus Osteuropa, aus Polen, Rumänien, Bulgarien, den baltischen Staaten.
Vermittelt werden die Betreuerinnen von Agenturen mit Sitz in Deutschland und Osteuropa. Der Markt wächst: 2009 zählte die Stiftung Warentest 60 Agenturen, 2025 sind es laut Vergleichsportal 24-Pflege-Check schon 800.
Katrin Staffler, die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, nennt die häusliche Pflege auf Deutschlandfunk-Anfrage „systemrelevante Versorgung“. Kein Wunder: 86 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause betreut. Die meisten von ihnen ausschließlich von Angehörigen. Knapp 20 Prozent mit Unterstützung ambulanter Betreuungsdienste und/oder häuslichen Betreuerinnen aus Osteuropa.
Arbeitsbedingungen der Betreuerinnen: belastend und oft prekär
Auf dem Papier machen Betreuerinnen nur das, was auch Angehörige übernehmen könnten. Aufgaben, für die man keine Pflegeausbildung braucht: Hilfe beim An- und Ausziehen, Körperpflege, kochen, aufräumen, waschen, zum Arzt fahren. Oder einfach nur gemeinsam Spazierengehen.
Doch oft machen sie mehr als das. Marta Kolczynkska, eine polnische Betreuerin, berichtet von ihrer ersten Stelle in Deutschland. Anders als mit ihrer Vermittlungsagentur abgesprochen, hatte sie sich um zwei bettlägerige Personen kümmern müssen. Allein. Für das bettlägerige Ehepaar war sie permanent auf Abruf, sie hat sie gefüttert, gewaschen, die Bettpfanne gereicht und das natürlich auch nachts. Marta war im Grunde eine 24 Stunden-Pflegekraft.
Unter solchen und ähnlichen Bedingungen arbeitet ein großer Teil der häuslichen Betreuerinnen in Deutschland, sagt Bernadette Petö von Faire Mobilität. Das Beratungsnetzwerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes unterstützt Beschäftigte aus Osteuropa arbeitsrechtlich.
Die DGB-Beraterinnen haben kürzlich einen „Branchenreport“ veröffentlicht, in dem sich die Erfahrungen aus etlichen Jahren Beratung widerspiegeln. Ihr Fazit: Die Arbeitsbedingungen in der häuslichen Betreuung sind sehr belastend – und auch sehr prekär.
Zu den gravierendsten Problemen gehören die exzessiven Arbeitszeiten, sagt Petö. Sie zählt dabei die nicht vergüteten Bereitschaftszeiten mit. Denn das Werbeversprechen vieler Vermittlungsagenturen ist: „24-Stunden-Betreuung“ oder sogar „24-Stunden-Pflege“.
Bei den betroffenen Familien – die aus eigenen Mitteln oft zwischen 2500 bis 3000 Euro dafür zahlen – weckt das die Erwartung permanenter Verfügbarkeit. „Die arbeiten nicht selten 24 Stunden am Tag und sechs Tage die Woche, sehr oft auch sieben Tage die Woche.“
Die Betreuerinnen arbeiten zwar nicht aktiv 24 Stunden am Tag. Doch sie können oft nicht selbst über ihre Arbeitszeit bestimmen, sollen auch dann verfügbar sein, wenn sie eigentlich nicht arbeiten. Denn ihr Arbeitsplatz befindet sich im Zuhause der Pflegeperson, zugleich der vorübergehende Wohnort der Betreuerinnen.
„Die haben oft dann zum Beispiel ein Babyphon, damit sie hören, ob die zu pflegende Person Hilfe braucht“, so Bernadette Petö von Faire Mobilität.
Die schwierigen Arbeitsbedingungen führen oft zu einer psychischen und physischen Überbelastung der Betreuerinnen. Was auch daran liegt, dass die Frauen oft sehr isoliert in einem völlig fremden Umfeld leben – und oftmals kaum deutsch sprechen.
Beschäftigungsmodelle in der häuslichen Pflege
Auch wenn es in der Praxis viele positive Beschäftigungsverhältnisse gibt, so steht doch fest: Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die häusliche Betreuung sind vage, vieles ist bis heute Grauzone. Und das gilt für alle gängigen Beschäftigungsmolle. Drei haben sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt.
Das Entsendemodell
Beim Entsendemodell schließen die Angehörigen der pflegebedürftigen Person einen Vertrag mit einer Vermittlungsagentur, die entweder in Deutschland oder in einem anderen EU-Land ansässig ist. Die Betreuerin bleibt in ihrem Herkunftsland sozialversicherungspflichtig beim Entsende-Unternehmen beschäftigt, bekommt den Mindestlohn des Herkunftslandes plus eine Entsendezulage.
Das Arbeitgebermodell
Beim Arbeitgebermodell stellen die Angehörigen die Betreuerinnen selbst an – eine Agentur vermittelt und regelt die Formalitäten. In diesem Modell werden die Frauen in Vollzeit meist zum Mindestlohn in Deutschland beschäftigt, die Sozialleistungen werden von der Familie abgeführt.
Die Frauen arbeiten dabei meist zwei Monate bei der Familie in Deutschland – zwei Monate sind sie zuhause. Bezahlt wird in der Regel nur die Zeit bei der Familie. Was bei beiden Modellen ebenfalls nicht vergütet wird: die Bereitschaftszeiten.
Die schwierigen Arbeitsbedingungen und die langen Abwesenheiten von der eigenen Familie nehmen die Frauen aus einem einzigen Grund in Kauf: Sie verdienen so deutlich mehr als in ihrem Heimatland. Weshalb es auch nur wenige wagen, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen.
Eine bulgarische Betreuerin hatte jedoch mit Hilfe des DGB ihren Arbeitgeber in Bulgarien darauf verklagt, Bereitschaftszeit als Arbeitszeit zu vergüten, in ihrem Fall 24 Stunden Arbeit an sieben Wochentagen. Das Bundesarbeitsgericht gab ihr 2021 recht.
Die selbstständige Tätigkeit
Seit diesem Urteil setzt sich in der häuslichen Betreuung mehr und mehr das dritte Modell durch: die selbstständige Tätigkeit. Arbeitszeit- und Mindestlohngesetz gelten hier nicht. Die Betreuerinnen versichern sich selbst, handeln ein monatliches Honorar mit den Familien aus – je nach Aufwand und Fähigkeiten zwischen 2500 und 3000 Euro pro Monat. Auch hier stehen Vermittlungsagenturen zwischen den Betreuerinnen und den Familien.
Philipp Buhr, Gründer der Agentur „Marta“, hält diese selbstständige Beschäftigung derzeit für das rechtssicherste Modell, bezahlbare Betreuung anzubieten. Er hat ein Vermittlungsportal aufgebaut, das Familien und Pflegerinnen zusammenbringt, direkt und ohne Zwischenverdiener.
„Die Betreuungskraft kann Geld verdienen, die Betreuungskraft will auch nicht ins deutsche Sozialsystem einzahlen“, sagt Buhr. Die meisten nähmen lieber das Geld und zahlen in der Heimat ein oder legen sich das Geld auf die Seite.
Wie kann die Bundesregierung die 24-Stunden-Betreuung regulieren?
Sowohl die selbstständige Beschäftigung als auch die direkte oder indirekte Anstellung der Betreuerinnen bringen rechtliche Probleme mit sich: Mehrere Arbeitsgerichte bescheinigten selbstständigen Betreuerinnen Scheinselbstständigkeit. Die direkte Anstellung kollidiert oft mit dem Arbeitszeitgesetz.
Das sieht auch die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Katrin Staffler, so. „Alle bekannten Modelle haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. Da gehört das Risiko der Scheinselbständigkeit mit der Gefahr von Nachzahlungspflichten der Sozialbeiträge genauso dazu wie die Einhaltung und Überwachung des Mindestlohns sowie der Arbeits- und Ruhezeiten.“
Philipp Buhr von der Agentur Marta wünscht sich, dass die Regierung Rechtssicherheit für den Status von selbständigen Betreuerinnen schafft. Selbstständigkeit sei ein erprobtes System, das sich in den letzten Jahren durchgesetzt habe. „Wir haben in der Rechtsprechung gesehen, dass eine Selbstständigkeit in dieser Branche grundsätzlich möglich ist.“
Ansonsten sieht er die Gefahr, dass ein viertes Beschäftigungsmodell noch relevanter wird als ohnehin schon: die Schwarzarbeit.
Die schwarz-rote Regierung scheint eine andere Lösung zu favorisieren: die Anstellung direkt bei den Familien. „Rechtssicherheit gibt derzeit am besten das Anstellungsmodell“, sagt Staffler.
Dass Betreuerinnen im Arbeitgebermodell fair bezahlt und behandelt werden können - unter Beachtung des deutschen Arbeitsrechtes - zeigt die Agentur „faire Care“ der Diakonie. Faircare hofft, dass die Regierung den Markt rechtlich absichert und reguliert. Vor allem müsse es verbindliche Regelungen für Vermittlungsagenturen und klare Vermittlungsstandards geben, „damit es nicht mehr vorkommt, dass Kräfte, die hier gar nicht legal arbeiten dürfen, vermittelt werden, unter Mindestlohn bezahlt werden oder ohne Krankenversicherung nach Deutschland kommen“, wie Projektkoordinatorin Tetiana Darchiashvili sagt.
Darchiashvili hofft auch, dass die Pflegekassen künftig einen Teil der Kosten übernehmen. Das sei denkbar, so die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Staffler. „Wenn es uns gelingt, die Live-In-Betreuung rechtssicherer auszugestalten, werden wir sicher auch Leistungen der Pflegeversicherung für solche Settings verfügbar machen.“