Liminski: Aber dieser Zwangsrabatt gilt ja nicht für die Ewigkeit. Er ist doch begrenzt.
Peters: Ja, da haben Sie Recht. Er soll ja in dieser Höhe nur für dieses Jahr gelten. Es sieht wie eine befristete Maßnahme aus, ist es aber meiner Meinung nicht, weil erstens der Zwangsrabatt grundsätzlich weiterlaufen wird, zwar auf einem niedrigen Niveau von 6 Prozent, aber zweitens - und das kommt im nächsten Jahr hinzu - würden wesentliche Teile von unseren patentgeschützten Arzneimitteln in das Festbetragssystem eingegliedert werden. Das bedeutet, dass der Staat nun wirklich massiv in die Preisgestaltung für patentgeschützte Arzneimittel eingreifen will.
Liminski: Na ja, aber die Arzneimittelfirmen sind doch bisher hervorragend mit dem Festbetragssystem ausgekommen. Die Umsätze sind doch in den letzten Jahren unübersehbar gestiegen.
Peters: Ja, wir haben uns natürlich auf das Festbetragssystem, so wie es ursprünglich angelegt war, eingerichtet, das stimmt. Aber Sie müssen auch wissen, dass es angelegt war auf Arzneimittel, deren Patentschutz ausgelaufen war und für die es dann billige Nachahmerpräparate gab. Dass man hierfür Erstattungsobergrenzen festlegt, macht wirklich Sinn, auch für die Produkte der forschenden Industrie, obwohl es jedes Mal zutrifft, wenn ein Arzneimittel aus dem Patent geht, dass dann riesige Umsatzanteile bei uns wegbrechen. Aber ich denke, dass die forschende Industrie sich diesem Wettbewerb stellen muss, weil es dann auch ein Anreiz ist, um neue und bessere Arzneimittel zu entwickeln, um wieder für die neue Periode vorbereitet zu sein.
Liminski: Was ist denn nun anders bei den patentgeschützten Arzneimitteln?
Peters: Das ist eine ganz andere Geschichte. Festbeträge für patentgeschützte Arzneimittel sind eine völlig andere Sache. Bei patentgeschützten Arzneimitteln wirken Festbeträge, ich würde sogar sagen, verheerend, denn was will ein Patent? Mit einem Patent will man ja, dass die Hersteller ein Produkt für eine befristete Zeit exklusiv, das heißt auch mit eigener Preishoheit vermarkten können. Es ist extra dafür eingerichtet, dass die Forschungsausgaben von heute amortisiert werden können und dass auch Anreize geschafft werden können für die Innovationen von morgen. Ich möchte vielleicht ein paar Zahlen nennen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass es durchschnittlich etwa 800 Millionen bis 1 Milliarde Dollar kostet, bis eine neues Arzneimittel auf den Markt kommen kann, und dafür brauchen wir durchschnittlich etwa zehn Jahre intensive Forschung. Das bedeutet, dass wir es hier zu tun haben mit einer Industriebranche, die ihre Forschung mit sehr hohem Risiko vorantreibt. Deswegen sind diese Patente so existentiell wichtig, und ich finde, es wäre sehr schade, wenn in Deutschland gerade dieser Aspekt unterminiert wird.
Liminski: Kommen wir zu Deutschland zurück, und zwar zur gesundheitspolitischen Bilanz. Vor 15 Jahren galt Deutschland noch als die Apotheke der Welt. Heute liegt das größte deutsche Pharmaunternehmen nach Umsatz etwa an der 18. Stelle im Weltmaßstab. Was ist denn passiert? Was ist in Deutschland falsch gelaufen?
Peters: Es gibt vielleicht mehrere Gründe dafür, aber ein wesentlicher Grund dafür ist, denke ich, die Überregulierung, die seit Jahrzehnten eigentlich stattfindet. Seit Ende der achtziger Jahren hat die Gesundheitspolitik für den Sektor Arzneimittel immer wieder neue Instrumente entwickelt, um diesen Markt zu deckeln. Man hat ja erst mal die Festbeträge gehabt. Dann hat man die Arzneimittelbudgets für die Ärzte gehabt. Seit einigen Jahren gibt es die Zwangsrabatte. Jetzt gibt es diese Attacke auf den Patentschutz. Wissen Sie, in Deutschland ist es so, dass die Arzneimittelhersteller selten wissen, unter welchen Bedingungen sie im nächsten Jahr wirtschaften werden. Wenn Sie wissen, dass das Forschungsprojekt über zehn Jahre dauert, ist das eigentlich eine unakzeptable Situation. Deswegen sind Forschungsinvestitionen massiv ins Ausland verlagert worden, und das Resultat sehen Sie jetzt. Jetzt kommen die neuen Arzneimittel, aus den USA, aus der Schweiz, aus England, aus Frankreich.
Liminski: Sie sind Belgier, arbeiten sozusagen in einem amerikanischen Unternehmen. Wenn man Sie so hört, haben Sie überhaupt noch Interesse am deutschen Markt?
Peters: Ja, sicherlich. Ich glaube, man soll nie aufgeben. Deutschland hat viele Vorteile. Die Deutschen sind sehr tüchtig und haben immer wieder bewiesen, dass sie letztlich auch sehr realistisch ist. Deshalb bin ich immer noch optimistisch und setze darauf, dass sich in den nächsten Jahren wieder ein innovationsfreundliches Klima durchsetzen wird. Aber wir dürfen damit nicht mehr lange warten, und es ist sicherlich auch nicht gut, dass man immer wieder alten Ideen nachhängt, die längst überholt sind. Es ist nun wirklich Tatsache, dass Deutschland im Arzneimittelmarkt überhaupt kein Hochpreisland mehr ist. Wir wissen auch, dass in Deutschland weniger Arzneimittel benutzt werden als in anderen Ländern, und was eigentlich am schlimmsten ist, ist, dass viel weniger innovative Mittel eingesetzt werden. Wenn ich mir die letzten fünf Jahre anschaue, die neuen Wirkstoffe, die eingeführt worden sind, das ist gerade mal 9 Prozent des Gesamtmarkts. Deswegen können wir sogar über eine Unterversorgung mit innovativen Medikamenten der deutschen Bevölkerung sprechen.
Liminski: Wenn Deutschland doch so interessant ist, wen haben Sie denn als nächstes Unternehmen auf dem deutschen Markt im Auge? Wer ist denn reif für eine Übernahme?
Peters: Sie verstehen, dass ich darauf nicht antworten kann. Dazu möchte ich mich nicht äußern. Aber vielleicht mal ein Wort dazu, wie wir bei Johnson & Johnson vorgehen. Da ist es so, dass wir seit Jahren die Strategie verfolgen, aus eigener Kraft stark zu werden und zu wachsen. Die neuesten Zahlen zum Beispiel unserer Forschungsinvestitionen dieses Jahres werden jetzt schon über 3,6 Milliarden Dollar sein. Dieses Investment wird jedes Jahr um 8 bis 10 Prozent noch gesteigert. Also setzen wir viel ein, um immer wieder neue Medikamente zu entwickeln. Was auch wichtig ist, ist, dass wir immer wieder Kooperationen suchen mit den kleinen aber hoch innovativen Biotechnologieunternehmen. Daraus entstehen oft dann auch ideale Partnerschaften.
Liminski: Nach dem, was Sie so ausführen, ist es wohl überflüssig, nach den Arbeitsplätzen zu fragen, die forschende Pharmaindustrie in Deutschland schaffen könnte.
Peters: Ja, hier sprechen Sie das eigentliche Drama an. Unsere forschende Industrie kann jedes Jahr viele neue Arbeitsplätze schaffen, aber - was wir vorher besprochen haben - die politische Rahmenbedingungen verhindern das. Am besten gebe ich Ihnen ein Beispiel aus meinem eigenen Unternehmen. Sie haben gesagt, wir haben etwa 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und wir haben 2004 fest eingeplant, 120 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn nun aber Mitte oder Ende des letzen Jahres klar wurde, dass diese 16 Prozent Zwangsrabatt aus heiterem Himmel auf uns zugestürzt sind, dann hat das dazu geführt, dass wir diese Schaffung dieser 120 neuen Arbeitsplätzen überhaupt nicht haben umsetzen können. Ich weiß auch, dass beispielsweise bei anderen Unternehmen sogar Arbeitsplätze abgebaut werden. Es ist schade, weil es nichts Schöneres für einen Unternehmer gibt als neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ich bin aber optimistisch und ich denke, wenn die politischen Rahmenbedingungen wieder auf Innovation umgepolt werden, wird auch diese Industrie wieder in der Lage sein, einen großen Beitrag dazu zu leisten, um wieder neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.
Liminski: Schön für einen Unternehmer sind auch höhere Preise für seine Produkte. Deswegen, gar nicht überflüssig, die letzte Frage nach den erhöhten Zuzahlungen. Da ist am Wochenende auch eine neue Diskussion ausgebrochen. Die Zuzahlung für patentgeschützte Arzneimittel soll steigen. Man spricht sogar von bis zu 40 Euro pro Packung. Das machen nach Zeitungsberichten mehrere Hundert Euro für den Patienten aus. Davor warnen die Hersteller, also die Pharmaindustrie. Warnen Sie mit? Sehen Sie auch diese Gefahr?
Peters: Ja, gut, ich habe ja vorher versucht zu verdeutlichen, was mit diesen patentgeschützten Mitteln vorgeht. Ich glaube, es wäre eine wirklich dramatische Folge einer verfehlten Politik, und ich würde sagen, das Sinnvollste wäre wirklich, die patentgeschützten Arzneimittel nicht unter einen Festbetrag zu stellen.
Liminski: Besten Dank für das Gespräch.