Heinlein: Herr Philipp, Sie haben selber einen Malerbetrieb und sind Meister. Wie lange braucht es denn, um einem Lehrling das Tapezieren beizubringen?
Philipp: Das hängt ganz vom Lehrling ab, wie er sich anstellt, welche Auffassungsgabe und welche Neigung er auch in einem weiten Berufsfeld ab. Es gibt da wie in vielen Bereichen des Lebens keine feste Zahl, wenn es um solche Kenntnisse und Fertigkeiten geht.
Heinlein: Die Bundesregierung will ja nun, dass dieser Lehrling nach einiger Zeit, nach zwei, drei Monaten, im Beruf dann das Tapezieren als Kleinunternehmer dem Kunden ganz legal anbieten kann, ohne dass es dafür einen Meister braucht. Finden Sie das gut?
Philipp: Das sind alles keine neuen Dinge. Das gibt es auch heute schon. Wir haben heute schon Urteile die sagen, dass in bestimmten Bereichen diese Tätigkeiten auch ohne jede Ausbildung ausgeübt werden darf, auch selbständig. Wir haben darüber hinaus im Handwerk einen breiten Katalog bundesweit einheitlicher Ausnahmebewilligungen für Gesellen, die sich selbständig machen können, indem sie einen Betrieb fortführen und ähnliches. So neu ist das alles nicht, was die Bundesregierung hier vorschlägt. Nur bisher ist dies gekoppelt mit einem Qualifizierungsangebot, das ganz im Vordergrund steht, weil unsere Volkswirtschaft von dieser Ausbildung in Breite und in Qualität eben große Vorteile hat. Das ist es, was jetzt in Gefahr gerät.
Heinlein: Aber dem Kunden ist das doch egal, solange diese Dienstleistung preiswerter und in gleicher Qualität angeboten wird?
Philipp: Ja, das sagt man sehr gut aus einer Position heraus, wo man die Qualität kennt und über Jahrzehnte gewohnt ist. Aber schauen Sie sich die Länder an, in denen es diese Situation, die wir haben, nicht gibt. Dort werden Sie auch sehr schnell feststellen, dass die Kunden über die Qualitäten sehr stark jammern, dass dort die gesamten volkswirtschaftlichen Bereiche nicht so funktionieren, weil nicht nur die Qualität nicht stimmt, sondern vor allen Dingen auch die Produktivität nicht stimmt. Denn das was wir im Handwerk hier leisten ist ja nicht zunächst nur für uns alleine, die Ausbildung für den Handwerksbetrieb, sondern darüber hinaus gehen ja mehr als die Hälfte unserer ausgebildeten Leute in die anderen volkswirtschaftlichen Bereiche. Und nicht ohne Grund sagen ja viele Leute auch aus der Industrie und aus anderen Wirtschaftsbereichen, um Gottes Willen, hier fehlt uns demnächst ein ganz wichtiger qualifizierter Nachwuchs. Wer soll dies dann leisten. Wenn dies über einige Jahre nicht geleistet wird, dann gibt es enorme Probleme. Sie können sich das im Übrigen anschauen in den Niederlanden, also in unserem Nachbarland. Dort hat man 1997 die Qualifizierung abgeschafft. Das Ergebnis ist niederschmetternd und der scheinbar günstige Preis alleine tut’s ja nicht, denn ich möchte ja für mein Geld, auch für weniger Geld, was ich ausgebe, dann wenigstens eine einigermaßen akzeptable Leistung bekommen.
Heinlein: Aber gepfuscht wird doch heute auch schon von Meisterbetrieben?
Philipp: Ja lieber Gott noch, wir haben 840.000 Handwerksbetriebe, über 600.000 Meisterbetriebe. Dass dann auch mal eine Arbeit nicht hundertprozentig ausfällt, das liegt wohl in der Natur der Sache. Das passiert in jedem Berufsfeld. Da ist das Handwerk nicht der alleinige schwarze Peter.
Heinlein: Schwarzer Peter ist ein gutes Stichwort. Die Alternative zu preiswerten Handwerksleistungen ist ja oft die Schwarzarbeit.
Philipp: Ja, das kann man schon sagen und das ist eine interessante Geschichte, die hier gerade die Bundesregierung in Argumentationskette aufdeckt. Sie will mehr Selbständigkeit schaffen und die Leute aus der Schwarzarbeit holen. Das ist die eigentliche Begründung, weshalb man hier die Axt anlegt an unser gesamtes Qualifizierungssystem in der gewerblichen Wirtschaft. Man will Statistik verändern, indem man sagt, wir haben weniger Arbeitslose, die Arbeitslosen sollen aus der schwarzen Ecke heraus kommen und sich anmelden können, wir machen das attraktiv für diese und dann haben wir auch ein besseres Bild in unserer Arbeitsmarktstatistik. Das ist das, was einen großen Teil der Gedankengänge der Bundesregierung leitet, aber das ist nur sehr kurz gesprungen, denn Schwarzarbeit hat ja Gründe. Sie liegt ja nicht darin, dass wir unsere Menschen in Deutschland qualifizieren, sondern sie liegt darin, dass die Kosten auf Arbeit bei uns in Deutschland so hoch sind. Wir fordern seit Jahren, dass die Politik insgesamt sich darum kümmert, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gegenüber den Kunden, ob das gewerbliche oder private sind spielt da keine Rolle, wieder verbessert wird, denn die Leute gehen in die Schwarzarbeit, weil eben die Kosten auf Lohn bei uns in Deutschland so hoch sind. Daran wird sich auch nach einer Reform der Handwerksordnung nichts ändern. Auch ein Ich-AGist, der sich nachher vergrößert und einen echten Betrieb aufbaut, oder auch die Gesellen, die sich selbständig machen sollen, die haben ja die gleichen Abgaben zu zahlen nachher im ordentlichen Betrieb wie jeder andere Betrieb auch. Von daher kann er nicht billiger sein. Das ist ein Trugschluss.
Heinlein: Herr Philipp, also Sie wollen alles so lassen wie es ist und den Meister weiter unter Artenschutz stellen?
Philipp: Überhaupt nicht! Ich finde das Vokabular, das benutzt wird, indem man sagt die Zünfte und der Meisterzwang und wie Sie jetzt sagen Artenschutz, das ist eine Diskriminierung des Handwerks, wo doch Millionen Menschen dabei sind, sich ständig zu erneuern und zu reformieren. Wir haben seit dem November letzten Jahres der Bundesregierung kontinuierlich Veränderungsvorschläge gemacht. Wir wollen anfangen an dem Ende, wo es juristisch, rechtlich und praktisch wirklich ein Problem gibt. Das ist nämlich die Frage der Inländerdiskriminierung und der Europafestigkeit unserer Wirtschaftsordnung im Bereich des Handwerks. Hier haben wir ganz konkrete Vorschläge gemacht, wie wir alles das, was in Europa Handwerk ist, auch in Deutschland als Handwerk zulassen, auch ohne diese Qualifikationen, die man bei uns nicht kennt. Wir haben handfeste Vorschläge gemacht dafür, wie dies dann auch auf Deutsche umgesetzt werden kann. Allerdings haben wir auch ein Feld daneben aufgemacht, indem wir parallel dazu Qualifikationsstrukturen und Angebote machen. Qualifikation ist immer ein Angebot. Es gibt keinen Meisterzwang. Es ist ein Angebot, einen Meister zu machen, aber dann auch mit Aussichten, dass man, wenn man sich dieser Qualifikation unterzogen hat, erfolgreich selbständig sein kann.
Heinlein: Herr Philipp, für welche Meisterberufe wollen Sie denn den Meisterzwang abschaffen?
Philipp: Ich schaffe keinen Meisterzwang ab. Es gibt keinen Meisterzwang. Jeder Mensch, der heute zur Meisterprüfung geht, macht dies freiwillig.
Heinlein: Aber die Frage ist doch, für welche Berufe, in welchen Berufen künftig Gesellen auch alleine Betriebe eröffnen können und Lehrlinge ausbilden können.
Philipp: Das können heute schon die Gesellen in allen Berufen, wo wir auch Meisterprüfung haben, wenn die Punkte, die wir festgelegt haben, gemeinsam mit der Bundesregierung und den Landesregierungen zu Ausnahmegenehmigungen ausreichen. Sie können es in Zukunft immer auch dann tun, wenn wir die europäischen Richtlinien anwenden, in Teilbereichen von Handwerksberufen, so wie die Bundesregierung es sich vorstellt. Aber dann, wenn wir diesen Teilbereich auch in seiner Qualifikationsstufe an der richtigen Struktur festmachen können, werden Inländer genauso wie Ausländer dann auch sich selbständig machen können. Was ein großer Fehler ist, die Gefahr, die in diesem derzeitigen Konzept steckt. Wir sind nicht gegen die Modernisierung. Wir wollen eine Modernisierung der Handwerksordnung. Wir wollen sie europafest und zukunftsfest machen. Aber was die Bundesregierung hier zur Zeit aus dem Blick verloren hat ist das, dass unsere Bevölkerung ja parallel zu dem selbständig sein und werkeln auch eben Qualitäten benötigt, und die benötigt unsere gesamte Volkswirtschaft. Wenn sie parallel dazu mit uns diesen Weg geht und parallel dazu die Kosten absenkt im Bereich der Lohnzusatzkosten, im Bereich der Steuern, dann wird auch der Bereich des Binnenmarktes wieder wachsen und blühen. Das ist das, was wir brauchen. In einem schrumpfenden Markt zerstören sie alles, wenn sie jetzt auch noch dann den Bereich derer, die daran partizipieren, so weit vergrößern, dass die existierenden Betriebe, die heute die Gesellen beschäftigen, die die Lehrlinge ausbilden, immer weiter zurückgehende Umsätze haben. Damit zerstören sie die Grundlagen, von denen wir heute noch leben.
Heinlein: Handwerkspräsident Dieter Philipp heute Morgen hier im Deutschlandfunk. – Herr Philipp, herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio