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Philosophie
Das Dilemma der weißen heterosexuellen Männer

Ist die Zeit vorbei, in der die weißen Männer die unangefochtene Vormachtstellung haben - in der Politik, in der Wirtschaft, in der Familie? Ja, sagt der deutsch-italienische Philosoph Luca Di Blasi. Er betitelte sein neues Buch "Der weiße Mann. Ein Anti-Manifest."

Von Katharina Hamberger | 23.12.2013
    Am Anfang steht das Dilemma. Das Dilemma, in dem sich der weiße, heterosexuelle Mann heute befindet - und das Luca Di Blasi so beschreibt:
    "Dass man als weißer, heterosexueller Mann in verschiedenen Diskursen vor dem Anspruch steht sich selber endlich deutlicher zu markieren, als weiß, als heterosexuell, als Mann. Weil man bisher immer in einer privilegierten, unmarkierten Position war. Also, man war immer derjenige, der die andern markiert hat, als anders, als abweichend auch diskriminiert hat."
    Diese privilegierte Position bröckelt. Die Vormachtstellung der weißen Männer wird zunehmend nicht mehr einfach als gegeben hingenommen. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass ein Staatsoberhaupt weiß und männlich ist; genau so wenig, dass Führungspositionen in Unternehmen von weißen Männern besetzt werden. Aktuelle Ereignisse, die diese Entwicklung abbilden, sind der Grund, warum Di Blasi sein Buch gerade jetzt veröffentlicht hat, obwohl er schon im Sommer 2009 damit begonnen hat. Die Zeit schien nun reif zu sein für dieses Thema, sagt der Philosoph:
    "Vor genau einem Jahr wurde Barack Obama wiedergewählt und im Zuge dieser Wiederwahl wurde die Frage nach dem weißen Mann gestellt und zwar in einer Weise, die wohl vertraut ist. Auf der einen Seite wurde er verabschiedet. Aber diese Verabschiedung begleitet auch die Reflexion des weißen Mannes. Und dann gab es noch so einige Fälle, die sich um die Jahreswende 2012/ 2013 verbunden haben. Diese sogenannte Sexismus-Debatte, Brüderle-Debatte. Wo auch der Eindruck erschien, dass ein bestimmter Typ von weißem Mann als Fossil, als Relikt einer vergangenen Zeit verabschiedet werden könnte."
    Und das brachte Di Blasi zu dem richtigen Schluss:
    "Eine Reflexion der spezifischen Lage weißer Männer ist überfällig."
    Das versucht der Philosoph nun in seinem Buch zu vollziehen. Di Blasi beschreibt zunächst die Situation der WHM, der "White Heterosexual Men", wie sie bislang immer bestanden hat. Und zwar über einen schlichten, aber spannenden Weg. Di Blasi geht dabei vom Begriff der Intersektualität aus:
    "Wo es um die Verbindung von verschiedenen Diskriminierungskategorien geht. Also, dass jemand vielleicht muslimisch und weiblich oder vielleicht sogar noch lesbisch ist. Da kommen verschiedene Diskriminierungskategorien zusammen. Und dieser Begriff hatte mich interessiert und es war eine Art Gedankenexperiment am Anfang: Was ist, wenn man das umdreht?
    Also die Frage: Wenn mehrere Diskriminierungsmerkmale zusammenfallen - kann das auch für Dominanzmerkmale gelten? Ja, sagt Di Blasi:
    "WHM sind also jene, die lange Zeit von schmerzhaften Markierungen weitgehend verschont geblieben sind, oder, negativ formuliert, die keinen nennenswerten Diskriminierungsstatus für sich beanspruchen können."
    Genau das verhindere, so Di Blasi, dass die WHM sich als eine Gruppe fühlen, die sich über Abgrenzungsmerkmale - also auch Eigenschaften, für die sie diskriminiert wird, definiert. Die WHM seien damit auch kein Teil des Multikulturalismus, sondern stünden aufgrund ihrer Unmarkiertheit außerhalb. Bei der Suche nach dem Bild und auch dem Selbstbild der WHM setzt sich der Autor mit Theorien zur Selbstwahrnehmung auseinander. Das setzt beim Leser ein gewisses Grundwissen voraus. Zum Beispiel geht es um Niklas Luhmanns Systemtheorie und den "Blinden Fleck", also der Nicht-Wahrnehmbarkeit der eigenen Beobachterposition.
    Riskante Selbstreflexion
    Nach der Beschreibung der Situation, in der sich die WHM gerade befinden, spielt der Autor durch, was passiert, wenn sie tatsächlich eine Selbstreflexion wagen würden. So ist schon die Beschäftigung mit der eigenen Geschontheit der weißen Männer problematisch, weil sie eben ihre bessere Stellung nur durch die Diskriminierung anderer erreicht haben. Sie können deshalb kein Wohlwollen derjenigen erwarten, die von ihnen diskriminiert worden sind. Das wiederum könnte aber dazu führen, dass die Selbstreflexion kippt oder anders ausgedrückt - wieder misslingt:
    "Gerade weil weiße Männer seit einiger Zeit eine symbolische Abwertung erfahren, besteht die wahrscheinlich verführerischste heutige Form männlicher Selbstreflexion darin, nach dem Vorbild der Selbstthematisierung anderer Gruppen die eigene 'Schlechterstellung' zu reflektieren."
    Sprich: Es besteht die Gefahr, "Privilegienabbau als Diskriminierung misszuverstehen". Plötzlich sehe sich der weiße Mann als Opfer, zum Beispiel der Emanzipation.
    "Angesichts dieser Diskriminierungsgeschichte und angesichts ihrer auch gegenwärtigen und dominanten und geschonten Stellung erscheint jeder Versuch der WHM, sich als Opfer umzudeuten, im besten Fall wehleidig, im schlimmsten Fall reaktionär und ressentimenthaft."
    Eine zweite Gefahr besteht laut Di Blasi darin, dass dieser Umdeutungsversuch wiederum umschlägt - etwa in die Angst vor Entmännlichung oder vor einem überhand nehmenden Multikulturalismus. Beides könne Hass schüren. Exemplarisch nennt Di Blasi den norwegischen, rechtsterroristischen Attentäter Anders Breivik. Das ist nur ein Beispiel für die Aktualität des Buches.
    Am Ende stellt sich natürlich die Frage: Gelingt es ihm, eine Lösung für das zu Beginn beschriebene Dilemma zu finden? Also gibt es für den weißen Mann die Möglichkeit sich so weit mit sich selbst zu beschäftigen, dass er am Ende auch ein Teil von vielen Teilen im Multikulturalismus wird? In seinem Buch spielt Di Blasi das durch. Und das Positive ist: Er akzeptiert - ganz Wissenschaftler - auch das Scheitern dieses Versuches. Denn an allen Ecken und Enden stößt dieser, zumindest in der Theorie, an seine Grenzen: Das Dilemma bleibt.
    "Solange es diese Dominanzverhältnisse gibt, ist es eigentlich unmöglich, sich in irgendeiner Form zu partikularisieren oder eine Gruppe zu bilden."
    So zeitgemäß, so spannend die These Di Blasis ist, sein Buch liest sich nicht einfach nebenbei. Der Philosoph bleibt konsequent seiner wissenschaftlichen Sprache treu. Seine Verweise auf andere Theorien verleiten den Leser zudem dazu, die Lektüre zu unterbrechen und das Wissen zu bestimmten Begriffen wieder aufzufrischen. Jedoch lohnt es sich.
    Luca Di Blasi: "Der weiße Mann. Ein Anti-Manifest." transcript, 112 Seiten, 18,99 Euro, ISBN: 978-3-8376-2525-7.