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Physik-Nobelpreis
"Jetzt können wir das Universum hören"

Der größte Teil des Universums sei dunkel, sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, Karsten Danzmann. Sein Institut ist Teil der Kooperation um die diesjährigen Nobelpreisträger in Physik. Mit dem Nachweis von Gravitationswellen habe man praktisch ein neues Sinnesorgan bekommen, erklärte Danzmann im Dlf.

Karsten Danzmann im Gespräch mit Ralf Krauter | 03.10.2017
    von links nach rechts: Rainer Weiss, Barry C Barish und Kip S Thorne sieht man auf dem Bildschirm eines Computers bei der Verkündung des Nobelpreises für Physik 2017
    Rainer Weiss, Barry C Barish und Kip S Thorne werden 2017 den Nobelpreis in Physik für ihre Forschung an Gravitationswellen erhalten. (AFP - Jonathan Nackstrand)
    Ralf Krauter: Ja, aber die Alarmglocken, die schrillten damals nicht in Louisiana, wo es gerade Nacht war, sondern in Hannover bei Forschern am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Als der Todesschrei der schwarzen Löcher die Erde traf, da waren nämlich gerade die deutschen Mitglieder der LIGO-Kooperation zuständig für die Datenauswertung der Detektoren. Deren Chef ist seit vielen Jahren Professor Karsten Danzmann, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Ich habe ihn vorhin gefragt, wie war das damals, am 14. September 2015, als Ihnen die erste Gravitationswelle ins Netz ging?
    Karsten Danzmann: Ja, das war schon alles völlig unglaublich, es waren tatsächlich zwei Postdocs in unserem Institut, die ersten Menschen, die jemals schwarze Löcher beim Sterben gehört haben. Es war um 11:50 Uhr an einem wunderschönen Montagvormittag, da saß Marco Drago vor seinem Computer und bekam einen Alert von der Online Search Pipeline, die etwas Merkwürdiges festgestellt hatte in den LIGO-Daten, und guckte sich das an, dachte sich nichts weiter und sah auf einmal auf seinem Bildschirm etwas, das so aussah wie das, wonach wir seit einem halben Jahrhundert gesucht haben. Es sah genauso aus wie das Verschmelzungssignal von zwei kompakten Objekten. Dann hat er seinen Kollegen Andi Lundgren dazugeholt – guck dir das doch mal an –, und die Reaktion der beiden war genauso wie die Reaktion von uns allen später: Unglaube. Wir haben es nicht geglaubt. Wenn man so lange nach etwas sucht und man findet es plötzlich, dann ruft man nicht plötzlich, Heureka, ich hab’s gefunden, sondern dann ist man erst mal skeptisch und sagt, na ja, das müssen wir uns mal genauer anschauen. Man weiß ja als Wissenschaftler, dass viel schiefgehen kann, es kann rauschen – das muss man sich sehr genau langsam anschauen. Ich würde sagen, bei mir hat es bestimmt zwei, drei Wochen gedauert, bis ich zum ersten Mal mir gestattet habe, ansatzweise zu glauben, dass da gerade was ganz Großes passiert war. Und bis wir schließlich davon überzeugt waren, dass es ziemlich echt war, was wir da hatten, das hat Monate gedauert.
    Krauter: Aber als Sie dann überzeugt waren, dass das real ist und kein Wunschtraum, da war Ihnen dann schon auch klar, dass das Stoff für einen Nobelpreis sein würde?
    Danzmann: Ja, das war immer klar, von Anfang an.
    Krauter: Das Nobelkomitee hat ja nun heute beschlossen, den Nobelpreis für den ersten experimentellen Nachweis von Gravitationswellen zu vergeben, zur Hälfte an Rai Weiss und zu je einem Viertel an Barry Barish und Kip Thorne. Geht diese Gewichtung der Preisvergabe denn aus Ihrer Sicht in Ordnung, ist das dem Anteil der einzelnen Forscher angemessen?
    Danzmann: Ach, ich glaube, man darf das nicht zu weit treiben. Ja, das haben die nun gut gemeint, das ist auch so, dass Rai sicherlich die große Figur ist, die über allem leuchtet, aber ob nun 25 Prozent oder 33 Prozent, "personal merit" ist keine exakte Wissenschaft, das kann man nicht messen. Es wird sicherlich viel drüber diskutiert werden, ob es diese drei nun auch hätte treffen sollen. Das hat schon viel inneren Sinn, was das Komitee da getan hat: Rai Weiss für die Anfänge, Kip Thorne für die Theorie und Barry Barish für das gesamte Team. Das ist eben schwierig, wenn so viele Menschen an einer großen Entdeckung beteiligt waren. Man muss sie irgendwie repräsentieren, und ich glaube, das ist hier ganz gut gelungen.
    "Wir sind ja alle repräsentiert über die Figur von Barry Barish"
    Krauter: Wie schmerzhaft ist es denn für Sie, dass der europäische Beitrag da jetzt letztlich, zumindest war die Personen angeht, komplett ignoriert wurde? Auch Sie und Ihre Leute am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik haben ja durchaus wichtige Beiträge geleistet bei dem ganzen Unterfangen.
    Danzmann: Ja, ich glaube, das müssen wir voneinander trennen. Wir sind ja alle repräsentiert über die Figur von Barry Barish, und was die Beitrage anbetrifft, da wird noch viel drüber geredet werden, wer was beigetragen hat. Wissenschaftler tun ihre Arbeit ja nicht für die Preise, sondern aus innerem Antrieb, und wir wissen alle, was wir beigetragen haben, und das reicht uns. Dieser Nobelpreis ist auch unserer.
    "Deutsche Forscher haben seit einem halben Jahrhundert eine Pionierrolle auf dem Gebiet der Gravitationswellenforschung gespielt"
    Krauter: Trotzdem ist da ja so ein kleines Wermutströpfchen, vielleicht weil viele der ursprünglichen Konzepte ja auch in deutschen Labors entwickelt wurden und weil Deutschland sogar selbst mal auf bestem Weg war, so einen großen Gravitationswellen-Laser-Interferometer-Detektor zu bauen – da gab es sehr konkrete Pläne in den späten 80er-, frühen 90er-Jahren. Woran ist man da letztlich gescheitert?
    Danzmann: Die meisten Menschen wissen nicht, dass Deutschland und deutsche Forscher seit einem halben Jahrhundert eine Pionierrolle auf dem Gebiet der Gravitationswellenforschung gespielt haben. Mein Vorgänger in der Max-Planck-Gesellschaft, Heinz Billing, war einer von drei Menschen in der Welt, die damals, vor einem halben Jahrhundert, zusammen mit Rai Weiss und Jo Weber experimentell versucht haben, Gravitationswellen nachzuweisen. Das ging auch sehr lange, und Deutschland war immer vorne mit dabei, bis dann Anfang, Mitte der 90er-Jahre das BMFD den Geldhahn abgedreht hat und die Förderung der Gravitationswellen in Deutschland eingestellt hat.
    "Die LIGO-Detektoren hätten auch in der Lüneburger Heide stehen können"
    Krauter: Also das Bundesforschungsministerium letztlich hat strategisch andere Entscheidungen getroffen.
    Danzmann: Ja, genau. Damals lag das LIGO Proposal auf dem Tisch, aber auch das GEO Proposal, welches wir zusammen mit britischen Forschern geschrieben hatten, und die waren in etwa in einem gleichen Zustand der Reife, würde ich sagen. Kurz darauf kam das französisch-italienische Virgo Proposal auch noch. Während LIGO aber in den USA gute Fortschritte machte und schließlich als eigener Eintrag im Budget genehmigt wurde vom Kongress, fielen die Gravitationswellen in Deutschland hinten runter – aus verschiedenen Gründen. Das ist nie ganz geklärt worden, warum eigentlich. Vielleicht war das einfach so, dass in den Nachwehen der deutschen Wiedervereinigung Leute keine Muße hatten, über so was Merkwürdiges wie Gravitationswellen nachzudenken. Es war eine ganze Akademie der Wissenschaften im Osten abzuwickeln, da gab es wahrscheinlich drängendere Probleme. Aus heutiger Sicht war das ziemlich ungeschickt, die LIGO-Detektoren hätten auch in der Lüneburger Heide stehen können.
    Krauter: Was in Deutschland dann gebaut wurde, war eine Technologie-Testplattform, GEO600, die steht bei Ihnen in Hannover am Rand einer Apfelplantage. Wie wichtig war die, um dahin zu kommen, die LIGO-Detektoren so weit zu optimieren, dass sie letztlich die Gravitationswellen wirklich nachweisen konnten?
    Danzmann: Na ja, der wesentliche Schritt war der von Initial LIGO zu Advanced LIGO, das war ja ein fünfjähriger Upgrade, um den es da ging. Innerhalb von fünf Jahren wurden die ursprünglichen LIGO-Detektoren buchstäblich ausgekernt, es ist da nicht viel geblieben, und es wurde neue Technologie etabliert. Und da sind wir sehr stolz, dass der größte Teil dieser Technologie von uns kam.
    Krauter: Die Laser zum Beispiel werden in Hannover gefertigt.
    Danzmann: Ja, die wurden hier hergestellt und ausgeliefert, aber es sind auch viele andere, die teilweise sehr ins technologische Detail gehen. Ich glaube, das führt zu weit, das zu erklären.
    Krauter: Da geht's um schwingungsgedämpfte Spiegelaufhängung, clevere Auswertestrategien von Interferometer-Signalen und all solche Laser-optischen Tricks.
    Danzmann: Ja, genau.
    "Dieser Preis ist auch unser Preis"
    Krauter: Das heißt, was nehmen Sie mit von diesem Tag heute – der Preis geht in Ordnung und ein Teil landet auch bei Ihnen, weil Sie doch maßgeblich beteiligt waren.
    Danzmann: So fühlt es sich an. Dieser Preis ist auch unser Preis. Und es ist nun mal so, man muss sich konzentrieren. Es wird viel drüber diskutiert, ob man den Nobelpreis nicht an Kollaborationen vergeben sollte, wie das ja beim Friedensnobelpreis möglich ist. Das ist ein zweischneidiges Schwert – der Nobelpreis, muss man sehen, erfüllt ja auch noch eine andere Funktion: Das ist die einzige Zeit im Jahr, wo die Leute auf die Wissenschaft achten. Die Welt ist laut, und wenn man gehört werden will, muss man lauter sein als der Rest der Welt. Also diese Funktion muss er erfüllen, und die Menschen brauchen Helden, und Helden müssen Gesichter haben. Und diese drei Leute heute, die haben Gesichter, damit können sich die Leute identifizieren. Wenn Sie das an eine anonyme Kollaboration vergeben, dann verpufft das. Ich glaube nicht, dass das dieselbe Wirkung hätte für die Öffentlichkeit.
    Krauter: Jetzt hören Ihnen heute zumindest alle Hörer des Deutschlandfunks zu, was würden Sie denen mit auf den Weg geben, was sollte jeder über Gravitationswellen wissen?
    Danzmann: Der größte Teil des Universums ist dunkel, das sollte jeder sich klarmachen. Über 99 Prozent unseres Universums sind dunkel und werden niemals mit Licht oder irgendeiner Art von elektromagnetischen Wellen detektiert werden können. Aber alles unterliegt der Schwerkraft, und alles, was der Schwerkraft unterliegt und sich bewegt, strahlt Gravitationswellen aus. Das ist so, als ob uns ein neues Sinnesorgan gegeben wurde. Wir sind taub durch eine dunkle Welt gestapft bisher und haben gelegentlich mal ein paar Lichtblitze gesehen. Jetzt können wir das Universum hören, und das wird uns ein ganz neues Universum schenken. Das ist erst der Anfang für eine blühende Gravitationswellen-Astronomie.
    Krauter: Sagt Karsten Danzmann, Max-Planck-Direktor in Hannover.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.