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Physik
Präzisionsexperiment KATRIN liefert erste Ergebnisse

Das Neutrino genauer als je zuvor wiegen: Das wollen Physiker am Karlsruher Institut für Technologie. Das Präzisionsexperiment KATRIN misst, wie viel Energie die Elektronen den Neutrinos übrig lassen. Diese gibt Aufschluss über das Gewicht des Teilchens. Nun wurden erste Ergebnisse veröffentlicht.

Von Sophie Stigler | 16.09.2019
Computersimulation eines Neutrinos, spiralförmige Figur
Ein Neutrino entsteht im Experiment KATRIN immer zusammen mit einem Elektron (imago/stock&people/Science Photo Library)
Eigentlich ist es fast schon peinlich. Es ist das zweithäufigste Elementarteilchen des Universums und wir kennen nicht mal die einfachsten Eckdaten. Zum Beispiel, wie schwer es eigentlich ist, das Neutrino. Während ich diesen Satz sage, fliegen Billionen Neutrinos allein durch meinen Daumen. Sie durchströmen alle Ecken des Universums, fast unaufhaltsam. Wie wabernde Geister fliegen sie durch fast alles hindurch. Man könnte meinen, dass sie deswegen keine große Rolle spielen im großen Ganzen. Das stimmt aber nicht. Aber wie einflussreich sie wirklich sind, hängt von ihrer Masse ab:
"Wenn sie schwerer wären, hätten sie all die Strukturen die sich im Universum gebildet haben, Galaxien wie unsere Milchstraße, Andromeda Nebel, all das, was Sie um uns herum sehen, hätten sie zerstört. So wie eine Welle am Strande jetzt einfach ihre Sandburg einebnet, so ähnlich kann man Neutrinos sehen."
Guido Drexlin hat mit seinem Team die letzten rund 20 Jahre auf eine einzige Zahl hingearbeitet. Die Neutrinomasse. Am KIT, dem Karlsruher Institut für Technologie, steht seine Verbündete bei der Suche. KATRIN ist etwa 70 Meter lang und hat einen sehr dicken Bauch: das Spektrometer:
"Jetzt stehen wir am Spektrometer, und können mal zehn Meter hoch schauen. - Vor uns ist das Nichts, sozusagen. - Vor uns. Ja, in diesem Tank natürlich. Das sieht so ein bisschen aus wie ein riesiger Zeppelin."
Das Nichts ist ein Ultrahochvakuum, das in dem silbrigen Stahltank herrscht, damit nichts die Messungen stören kann. Die Neutrinos entstehen etwa 20 Meter weit weg, beim Zerfall von radioaktivem Tritium. Ein Neutrino entsteht dabei immer zusammen mit einem geladenen Teilchen, einem Elektron. Am einfachsten wäre es natürlich, die Neutrinos einzufangen und direkt zu vermessen. Das kann man aber vergessen – sie würden einfach durch jedes Messgerät durchfliegen. Na gut, hat man sich also im KATRIN-Team gesagt: Vermessen wir halt die Elektronen. Die müssen sich die Energie aus dem Tritiumzerfall mit den Neutrinos teilen. Was sie übrig lassen, entspricht der Energie der Neutrinos - und damit laut Einstein ihrer Masse:
"Ich bin ungeduldig, dass es noch nicht März ist - wenn es endlich losgeht mit zehn Milliarden Elektronen pro Sekunde."
Das war letztes Jahr. Dann kam der März 2019. Und KATRIN machte Ernst. Und keiner wusste, ob man überhaupt irgendwas Sinnvolles würde messen können. Und selbst als die ersten Daten aus fünf Wochen Messung da waren, kannten nicht mal diejenigen, die sie auswerten sollten, die richtigen Zahlen:
"Man weiß es aus anderen Studien, dass es den so genannten persönlichen Bias gibt. Das heißt, Analysten tendieren sehr gerne auch dazu, voreingenommen die Daten zu analysieren."
Markus Steidl, stellvertretender Projektleiter von KATRIN:
"Deswegen haben wir die Daten verschleiert. Das heißt, wir haben einen unbekannten Faktor draufgegeben, mit dem wir trotzdem alle Analyseprozeduren testen konnten, aber nicht den wahren Wert ermitteln konnten. Und erst nachdem wir eine Woche lang alles ausdiskutiert hatten, dann haben wir den Faktor enthüllt. Und dann war das tatsächliche Ergebnis auf dem Tisch."
Neutrino 500.000 Mal leichter als ein Elektron
Es ist eine Zahl, aber erstmal nur eine Obergrenze. Das Neutrino ist sehr wahrscheinlich leichter als 1,1 Elektronenvolt – in der Einheit wird die Masse von Elementarteilchen angegeben. Vorher lag die Obergrenze doppelt so hoch:
"Wir sind auf jeden Fall erleichtert. Diesen Faktor 2 haben wir jetzt in der Tasche. Einfach durch das Einschalten des Instruments."
Die Zahl 1,1 Elektronenvolt bedeutet, dass ein Neutrino mindestens 500.000 Mal leichter ist als ein Elektron. Ein Hauch von Nichts. Das Ergebnis zeigt: Die Neutrinowaage KATRIN funktioniert. Eine wirkliche Überraschung, geschweige denn ein Durchbruch, ist das Ergebnis aber nicht. Das räumt selbst Markus Steidl ein:
"Da muss man ehrlich sagen, um in den interessanten Messbereich reinzustoßen, müssen wir fünf Jahre warten."
In der Zeit soll KATRIN die Obergrenze immer weiter nach unten drücken. Bis auf 0,2 Elektronenvolt dürfte die Messgenauigkeit reichen, wenn alles klappt.
"Die nächsten Verbesserungen, die kommen dann einfach durch Mess-Zeit. Wir müssen jetzt fünf Jahre messen, messen, messen."
Ob das für den großen Wurf reicht, ist aber die Frage. Denn wahrscheinlich ist das Neutrino noch leichter. Darauf deuten Beobachtungen im Universum und andere Experimenten hin, erklärt Karl-Heinz Kampert, Astroteilchenphysiker an der Universität Wuppertal:
"Das alles zusammengefügt ergibt eben diese kosmologische Obergrenze die unterhalb dessen liegt, was man mit KATRIN erreichen kann, das ist nach wie vor so. Die Schätzungen unterscheiden sich eigentlich nicht so sehr."
Die Schätzungen sagen: 0,1 Elektronenvolt und drunter. Das ist ärgerlich. Denn, als KATRIN geplant wurde, hatte man Neutrinos noch eine größere Masse zugestanden – und die wäre mitten im Messbereich der Karlsruher Neutrinowaage gewesen:
"Aber da würde man natürlich nicht aufhören sozusagen auf halbem Wege oder Dreiviertel-Wege ein Experiment aufzubauen. Einfach deshalb, weil es eben Modelle sind."
Wenn die Theoretiker daneben liegen, könnte KATRIN also doch noch für eine Überraschung gut sein. Denn in den nächsten Jahren ist kein anderes Gerät in Sicht, das KATRIN auf der Suche nach der Neutrinomasse das Wasser reichen könnte.