Archiv


Physischer Interpret mit unerschöpflichen Gesten

Fabelhaftes Aussehen, sprühender Humor, Direktheit und Vitalität prädestinierten Laurence Olivier zum Filmstar in Hollywood. Doch das Theater blieb Zeit seines Lebens seine große Leidenschaft.

Von Marli Feldvoß |
    Lord Laurence Olivier wurde nicht zufällig als jüngster seiner Zunft zum Peer, dann auch noch zum Baron Olivier of Brighton ernannt. Er war schlichtweg der berühmteste britische Schauspieler des letzten Jahrhunderts, der "Statthalter Shakespeares auf Erden". Sein Ruhm bleibt, weil er seine großen Shakespeare-Rollen als Hamlet, Heinrich V., Richard III. oder Othello, fast alle in eigener Regie, auf Celluloid bannte. Unvergessen die Schlussszene Hamlets: der waghalsige Sprung aus viereinhalb Metern Höhe, mit dem der Prinz von Dänemark seinen Widersacher König Claudius niederzwang. Der für Claudius extra engagierte Stuntman verlor beim Aufprall das Bewusstsein und zwei Zähne dazu. Oliviers mit vier Oscars ausgezeichneter Hamlet war kein Zauderer, eher ein Womanizer mit Ödipuskomplex und mit einer wunderbaren unvergleichlichen Stimme:

    An der Stimme Oliviers schieden sich lange die Geister. Ihm fehle das Gefühl für die Sprachmusikalität der Verse, meinten die einen, andere schätzten gerade seinen Realismus, den Anspruch, Shakespeare der Alltagsdiktion anzugleichen.

    Der am 22. Mai 1907 in Dorking, Surrey geborene Laurence Kerr Olivier entstammt keiner Schauspielerdynastie, sondern einem Pfarrhaus. Als 9-jähriger fiel er als Brutus in einer Schulaufführung von "Julius Cäsar" auf, mit 15 als Katharina in "Der widerspenstigen Zähmung". Zum wahren Shakespeare-Darsteller wurde Olivier, ab 1930 auch auf der Leinwand präsent, erst 1935 an der Seite des großen John Gielgud. Gielgud holte den Kollegen und Freund für seine legendäre "Romeo und Julia"-Inszenierung, in der beide, alternierend, den Romeo und den Mercutio spielten. Aber noch kam Oliviers impulsiver, stürmischer, allzu lebensechter Romeo nicht gut an. Er hatte erst mit der Verfilmung von "Heinrich V." das Massenpublikum auf seiner Seite. Im Kriegsjahr 1944 gedreht, gilt der Klassiker bis heute als einer der größten und pathetischsten Propagandafilme. Damit wurde Laurence Olivier zum Nationalhelden.

    Laurence Olivier war ein heroischer Schauspieler, ein viriler Darsteller, der durch körperliche Präsenz fesselte, ein physischer Interpret mit unerschöpflichen Gesten, ein Chamäleon, das sein Publikum in Staunen versetzen wollte, ein Charakterschauspieler, kein passiver Intellektueller. Aber er war auch ein Hollywoodstar. Das hatte er seinem fabelhaften Aussehen, seinem sprühenden Humor, seiner Direktheit und Vitalität zu verdanken. Er glänzte als dummer Heathcliff in William Wylers "Wuthering Heights", als schwacher Darcy in "Pride and Prejudice", als zwielichtiger Maxim de Winter in Alfred Hitchcocks "Rebecca". Später übertrug er seine großen Bühnenerfolge etwa John Osbornes "The Entertainer" auf die Leinwand oder agierte neben Marilyn Monroe in "The Prince and the Showgirl". Seine großen Verdienste prädestinierten ihn zum ersten Direktor des neu gegründeten National Theatre in London.

    "Diese Art von Arbeit gefällt mir einfach. Es macht mir Spaß, eine Schauspieltruppe zu gründen, ein Stück zu inszenieren oder auch ein Theater zu leiten. Ich arbeite gern mit Schauspielern und freue mich auf diese ganz neue Herausforderung."

    Das Theater war und blieb seine große Leidenschaft. Bei den Dreharbeiten zu John Schlesingers "Marathon Man" im Jahr 1976 soll er zum Kollegen Dustin Hoffman gesagt haben: "Du solltest das Schauspielern lernen, mein Junge. Dann könntest Du Dir all das ersparen." Hoffman war nämlich zwei Tage lang auf den Beinen geblieben, um das Gefühl "ausgezehrt" zu erzeugen. Laurence Olivier starb, geplagt von Gicht, Muskelschwund und Krebs, am 11. Juli 1989 mit 82 Jahren.