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Pille unter Beobachtung
Verhütung oder Verhängnis?

Die Pille ist das Verhütungsmittel Nummer eins in Deutschland: Sie gilt als sicher und steht sinnbildlich für die sexuelle Befreiung der Frau. Doch zuletzt geriet die hormonelle Verhütung in die Kritik. Das hat auch mit einer jungen Frau zu tun, die gegen den Pharmakonzern Bayer klagt.

Von Monika Dittrich | 17.10.2018
    Eine Frau greift am nach ihrer Pille, die auf dem Nachtschrank liegt
    Hormonelle Verhütung gerät in die Kritik (dpa / Christin Klose)
    Am 11. Juli 2009 wäre Felicitas Rohrer fast gestorben: "Ich hatte schon sehr schlecht geschlafen, ich bin in der Nacht aufgewacht mit Schmerzen im Brustkorb." Am Morgen sei ihr linkes Bein angeschwollen gewesen. "Und mein Bauch war ganz dick, sodass ich kaum die Hose zubekommen habe."
    25 Jahre ist sie damals alt. Sie ist an diesem Morgen auf dem Weg zum Aufnahmetest an der Uni Freiburg, wo sie ein zweites Studium absolvieren will – die Approbation als Tierärztin hat sie bereits in der Tasche. Kurz bevor die Prüfung beginnt, wird sie ohnmächtig. Herbeigerufene Rettungssanitäter und der Notarzt erkennen schnell: Die junge Frau schwebt in Lebensgefahr. Felicitas Rohrer erzählt:
    "Und dann lag ich plötzlich in diesem Rettungswagen und wurde dann in der Uniklinik in den Schockraum gebracht. Und da standen schon ganz viele Ärzte bereit. Und dann war das tatsächlich wie in so einem Film, der abgelaufen ist. Ich wurde auf so einen Tisch gelegt, mir wurden die Klamotten ausgezogen, auch vom Körper geschnitten. Und im Prinzip war es so, dass ich dann irgendwann weg war. Ich hatte furchtbare Schmerzen, habe keine Luft bekommen, und war weg."
    Ihr Herz schlägt nicht mehr: 20 Minuten lang ist Felicitas Rohrer klinisch tot. Die Ärzte schneiden ihr in einer Notoperation den Brustkorb auf und sehen, dass ihre Lunge voll ist mit verklumptem Blut. Ein Blutgerinnsel war zunächst in der Beinvene entstanden, hatte sich gelöst und dann die Gefäße der Lunge verstopft.
    "Bayer hat mein Leben riskiert"
    Thrombose und Lungenembolie: Beides ist ungewöhnlich bei einer bis dahin nach eigener Aussage völlig gesunden Frau, die nicht übergewichtig ist, Sport treibt, nicht raucht, keine Blutgerinnungsstörung hat. Felicitas Rohrer vermutet daher sehr bald: "Schuld ist die Verhütungspille". Sie habe die Pille Yasminelle der Firma Bayer genommen, sagt Felicitas Rohrer.

    Die Yasminelle ist eine Pille der vierten Generation, also ein neueres Präparat. Sie enthält Drospirenon, ein Gestagen, das leicht entwässernd wirkt. Felicitas Rohrer ist überzeugt, dass es dieser Stoff war, der ihr Blut hat gerinnen lassen. Sie spricht von einem Herstellungsfehler und fehlender Aufklärung über das erhöhte Thromboserisiko. Bayer habe ihr Leben riskiert. Deshalb hat sie den Pharmariesen verklagt, auf rund 200.000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz.
    Bayer weist die Vorwürfe zurück; die Yasminelle sei für die entstandenen Gesundheitsschäden nicht ursächlich; die damals erteilten Arzneimittelinformationen seien nicht zu beanstanden.
    Dass die Klage vom Landgericht Waldshut-Tiengen in Baden-Württemberg angenommen wurde, war schon eine kleine Sensation, denn es ist das erste Mal, dass sich ein deutsches Gericht mit dem Risiko einer Verhütungspille beschäftigt. Einen einzigen Verhandlungstag hat es bisher gegeben, das war vor drei Jahren. Seitdem gingen Anwaltsbriefe hin und her, Fristen wurden verlängert, Gutachten in Auftrag gegeben.
    Felicitas Rohrer klagt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld
    Felicitas Rohrer klagt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
    Bayer weist die Vorwürfe zurück
    Nun endlich wird die mündliche Verhandlung fortgesetzt: "Ich brauche viel Geduld, das war mir aber von vornherein klar. Ich bin froh, dass es läuft und dass die Klage geführt wird und sich ein Gericht damit beschäftigt", sagt Felicitas Rohrer.
    Auch in anderen Ländern machen Frauen den Bayer-Konzern für Gesundheitsschäden durch die Einnahme von Verhütungspillen ähnlich der Yasminelle verantwortlich. In den USA hat das Pharma-Unternehmen mit mehr als 10.000 Frauen Vergleiche geschlossen und bereits mehr als zwei Milliarden US-Dollar gezahlt – allerdings ohne Anerkennung einer Haftung, nachzulesen im Bayer-Geschäftsbericht 2015.
    Auch in Frankreich legten Frauen juristische Mittel ein. Die Justiz stellte die Ermittlungen im vergangenen Jahr allerdings ein: Es gebe keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Problemen der Klägerinnen und der Einnahme der Verhütungsmittel, hieß es.
    Bei Bayer stellte sich zu diesem Thema niemand einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Wiederholte Anfragen wurden abgelehnt, Fragen nur schriftlich beantwortet:
    "Die sorgfältige Bewertung aller wissenschaftlichen Daten bestätigt das positive Nutzen-Risiko-Profil von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva wie Yasminelle bei bestimmungsgemäßer Einnahme. Diese Einschätzung wird auch von Gesundheitsbehörden und unabhängigen Experten bestätigt."
    Von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva ist die Rede, weil die meisten Pillen heutzutage zwei Hormone enthalten: ein Östrogen und ein Gestagen. Frauen, die die Pille nehmen, haben grundsätzlich ein höheres Thromboserisiko. Das ist seit Langem bekannt und steht in jedem Beipackzettel. Bei den Pillen der dritten und vierten Generation allerdings ist das Risiko höher als bei älteren Präparaten.
    Größeres Risiko bei neueren Pillen
    Eine Studie der Europäischen Arzneimittelagentur hat 2013 ergeben, dass von 10.000 Frauen, die eine der neueren Pillen einnehmen, neun bis zwölf Frauen innerhalb eines Jahres an einer Thrombose erkranken. Bei den Pillen der zweiten Generation sind es fünf bis sieben Frauen. Und von 10.000 Frauen, die nicht hormonell verhüten und nicht schwanger sind, bekommen im Durchschnitt nur zwei eine Thrombose.
    Diese Zahlen haben auch das BfArM, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte alarmiert. Es ist die Behörde, die in Deutschland über die Zulassung von Medikamenten wacht. Maik Pommer ist ihr Pressesprecher:
    "Also wir reden im Prinzip gar nicht mal darüber, dass das Risiko nicht bekannt war oder dass nicht früh genug darauf hingewiesen wurde. Sondern wir reden bei der Pille vor allem über die Frage: Wie fließt dieses Risiko in die Verordnungsentscheidung ein?"
    Zwar sind Pillen wie die Yasminelle nach wie vor am Markt zugelassen – weil das Verhältnis von Nutzen und Risiko statistisch immer noch positiv sei, sagt Maik Pommer. Die Hersteller mussten allerdings die Formulierungen in den Beipackzetteln anpassen. Und: 2014 hat das BfArM einen sogenannten Rote-Hand-Brief verschickt. Das ist ein Instrument der Behörde, um Ärzte über neu erkannte Risiken oder Nebenwirkungen von Medikamenten zu informieren.
    Keine Verordnung ohne Aufklärung
    Die klare Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte lautet: Ärzte sollen Frauen, die bisher noch keine Pille eingenommen haben, möglichst ein Präparat mit dem geringsten Thromboserisiko verschreiben. Sie sollen mit ihren Patientinnen außerdem eine vom BfArM formulierte Checkliste durchgehen, in der es um individuelle Risikofaktoren wie Rauchen oder Übergewicht geht. Und die Frauen sollen eine Anwenderinnenkarte bekommen, auf der die Symptome einer Thrombose aufgelistet sind.
    Es ist selten, dass das Institut den Ärzten so genau vorschreibt, wie sie ihre Patientinnen zu beraten haben:
    "Die Tatsache, dass wir Checklisten anbieten für Ärztinnen und Ärzte – als Zulassungsbehörde - ist natürlich schon eine sehr außergewöhnliche Situation, die uns hier angemessen schien", sagt Pressesprecher Maik Pommer.
    "Das ist natürlich so, wenn da ein Rote-Hand-Brief kommt vom BfArM – über dem BfArM ist nur noch der blaue Himmel! Das hat schon fast Rechtscharakter. Man muss sich schon daranhalten", sagt Doris Scharrel. Sie ist zweite Vorsitzende beim Berufsverband der Frauenärzte. "Wir vom Berufsverband haben uns auch engagiert, dass das in den Praxen auch bekannt ist, die Patientenkarte mitzugeben und nach der Checkliste vorzugehen. Inwieweit es umgesetzt wird, können wir natürlich nicht beeinflussen. Aber man kann die Empfehlung geben."
    Für die Verhütungsberatung und die Untersuchung einer Kassenpatientin könne sie rund 17 Euro abrechnen, sagt Doris Scharrel, die als Gynäkologin in der Nähe von Kiel praktiziert.
    Das sei keine angemessene Honorierung, zumal für Gespräch und Untersuchung nur elf Minuten veranschlagt würden: "Und das reicht nie aus. Schon allein die Checkliste durchzugehen, die Anamnese zu erfragen, zur Familie, zum Lebensstil, Rauchen, ob Operationen geplant sind", so Scharrel. "Das geht da alles hinein, in die ganze Anamnese. Und dann machen Sie eine ärztliche Bewertung: Was kann ich der aufschreiben?"
    Umkämpfter Markt für Pharmafirmen
    Felicitas Rohrer, die Frau, die den Bayer-Konzern verklagt, kritisiert, dass sie von ihrer Frauenärztin damals nicht richtig über die Risiken informiert worden sei. Sie habe in der Sprechstunde nichts über andere Verhütungsmethoden erfahren; ihre Ärztin habe die Pille als geradezu alternativlos dargestellt.
    In der Praxis bekam sie dann bereits eine Gratispackung der Yasminelle, in einer attraktiven Schachtel, die Felicitas Rohrer aufgehoben hat: "Das ist so eine kleine silberne Box, mit einer Blume drauf und wenn man die aufmacht, ist da ein Schminkspiegel drin."

    In der Metall-Dose liegen der Blisterstreifen mit den Tabletten, der Beipackzettel und noch eine weitere Broschüre, in der allerlei positive Wirkungen des Präparats aufgezählt werden:
    Smile-Effekt, Feel-Good-Faktor und Figur-Bonus: Diese Broschüre erhielt Felicitas Rohrer mit ihrer Pille
    Smile-Effekt, Feel-Good-Faktor und Figur-Bonus: Diese Broschüre erhielt Felicitas Rohrer mit ihrer Pille (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
    "Smile-Effekt, Feel-Good-Faktor und Figurbonus ist da nochmal aufgearbeitet. Sodass man tatsächlich das Gefühl hat, wenn ich diese Pille nehme, wird sich mein ganzes Leben verbessern. Es wird mir gut gehen, ich werde abnehmen, ich werde schöne Haut haben, ich werde glücklich sein", sagt Felicitas Rohrer. "Das ist eine absolute Werbemaßnahme, die einfach für ein verschreibungspflichtiges Medikament meiner Meinung nach nicht angemessen ist."
    Der Markt für hormonelle Verhütungsmittel ist umkämpft, mit den älteren Pillen lässt sich nicht mehr so viel Geld verdienen, weil es längst preisgünstige Generika, also Nachahmerprodukte gibt. Auch deshalb entwickelte die Pharmaindustrie neue Pillen, mit Gestagenen, die leicht antiandrogen wirken – also bei Pickeln oder fettigen Haaren helfen.
    Für den Bayer-Konzern sind die Verhütungspillen ein wichtiges Geschäftsfeld. Allein mit den Präparaten Yaz, Yasmin und Yasminelle hat das Unternehmen im vergangenen Jahr einen Umsatz von 648 Millionen Euro gemacht. Zwar werden diese Pillen inzwischen seltener verordnet und die Umsätze sind rückläufig. Doch gehören sie noch immer zu den umsatzstärksten Arzneimitteln des Leverkusener Pharmakonzerns. Obwohl längst nicht mehr vom Figur-Bonus oder dem Smile-Effekt die Rede ist.
    Und Pillen-Schachteln mit Schminkspiegel gibt es auch nicht mehr, wie Bayer auf Nachfrage erklärt:
    "Seit 2014 gelten verschärfte Regelungen in Bezug auf die Abgabe von Mustern und Werbegeschenken gemäß dem Kodex des Vereins zur Freiwilligen Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie in der Zusammenarbeit mit Fachkreisen. Seither werden keinerlei Werbegeschenke mehr abgegeben."
    Die Pille als Schönheitsmedikament
    Doch auch ohne Werbegeschenke und blumenbedruckte Broschüren verbreitet sich weiterhin die Botschaft, dass bestimmte Pillen gut sein sollen für Haut und Haar. Im Internet, bei Youtube, ist immer noch ein kurzer Film zu finden, den einst die Firma Jenapharm in Auftrag gegeben hat – ein Tochterunternehmen von Bayer. Es wird die fiktive Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, das vielleicht 15 Jahre alt ist, einen Freund hat und nach der richtigen Verhütung sucht.
    Im Film sagt das Mädchen: "Ich habe auch eine wichtige Entscheidung getroffen. – Und die wäre? – Wir haben ja mal über die Pille gesprochen und ich kam jetzt zu dem Schluss, sie zu nehmen."
    Das Mädchen informiert sich gemeinsam mit einer Freundin, wie die Pille funktioniert, wer sie verschreibt, worauf man achten muss. Tante Bea, eine Apothekerin, gibt Auskunft:
    "Die Pille wirkt sehr positiv auf Haut und auf Haare und manche Pillen werden sogar zur Behandlung von Akne eingesetzt."

    Eine Wunderpille, die verhütet und schön macht: Auch wenn dieser schon einige Jahre alte Film von Jenapharm selbst nicht mehr verbreitet wird und Pharmakonzerne diese Nebeneffekte heute auch nicht mehr so herausstellen: Die Wirkung dieses Narrativs ist ungebrochen. Gynäkologen, die die werbenden Argumente der Pharmaindustrie unkritisch weitergeben, gibt es zuhauf. Und auch die Patientinnen selbst sind geprägt davon. Gabrielle Stöcker arbeitet bei der Beratungsstelle Pro Familia in Köln:
    Gabrielle Stöcker von der Beratungsstelle Pro Familia in Köln
    Gabrielle Stöcker von der Beratungsstelle Pro Familia in Köln (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
    "Schöne Haut, schöne Haare, größerer Busen, das sind durchaus Anliegen, mit denen gerade jüngere Mädchen kommen", sagt die Frauenärztin. "Denen muss man schon den Zahn ziehen, dass das ein Schönheitsmedikament ist. Das ist ein Verhütungsmittel mit entsprechenden Risiken und Nebenwirkungen."
    Zu möglichen Nebenwirkungen, die zuletzt Schlagzeilen gemacht haben, gehören auch seelische Verstimmungen bis hin zu Depressionen. Auch Hormonspiralen, wie etwa die Mirena von Bayer, stehen im Verdacht, Depressionen auszulösen oder zu verstärken.
    Depressionen durch hormonelle Verhütung?
    Einige Frauen berichten von Selbstmordgedanken und bringen sie in Verbindung mit einer Hormonspirale, die in der Fachsprache Levonorgestrel-freisetzende Intrauterinsysteme genannt werden, kurz: LNG-IUS. Bayer beruft sich auf eine neuere Risikobewertung der Europäischen Arzneimittelagentur und schreibt:
    "Es gibt keine Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Anwendung von LNG-IUS und isolierten Angstzuständen, Panikattacken, Schlafstörungen oder Unruhe."
    Eine dänische Studie von 2016 hat allerdings gezeigt, dass Frauen, die hormonell verhüten, öfter Antidepressiva brauchen. "Die Antibabypille ist unzumutbar", meint Sabine Kray. Die Journalistin hat im vergangenen Jahr ein viel beachtetes Buch geschrieben mit dem Titel "Freiheit von der Pille":
    "Darin habe ich mich sehr stark mit den Nebenwirkungen auseinandergesetzt, was die Gabe von Sexualhormonen auf die Psyche von Frauen haben kann", sagt Kray. "Weil Sexualhormone eben nicht nur in den Reproduktionsorganen wirken, sondern eben Rezeptoren überall im Körper haben und einen starken Einfluss auf unsere Selbstwahrnehmung, auf unser Wohlbefinden, auf unsere Virilität und auch unser sexuelles Begehren."
    Wenn junge Mädchen anfangen, die Pille zu nehmen, sei das oft der Beginn einer jahre- und jahrzehntelangen Pillengeschichte. Diese Frauen wüssten dann später oft gar nicht mehr, wie sie sich ohne Fremd-Hormone fühlen würden:
    "Das hat ein schwedisches Forscherteam erst kürzlich festgestellt, dass auch das allgemeine Wohlbefinden in einem statistisch signifikanten Ausmaß zurückgeht", erzählt die Journalistin.
    "Es geht da nicht einfach nur darum, habe ich Lust auf Sex, sondern der allgemeine Antrieb, die Energie, die man so zur Verfügung hat, der Drive, die Wucht, wenn man so will, das kann unter der Pille eben auch zurückgehen", sagt Sabine Kray.
    Die Pille ist nach wie vor das Verhütungsmittel Nummer eins in Deutschland. Sie gilt bei richtiger Anwendung nicht nur als besonders sicher. Sie steht auch seit ihrer Einführung in den 60er-Jahren symbolhaft für die Emanzipation der Frau, für eine unbeschwerte Sexualität, dafür, dass Frauen selbst entscheiden können, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen.
    Verquickung zwischen Feminismus und Pharmaindustrie
    Heute allerdings sei die sexuelle Freiheit der Frau nicht mehr abhängig von einem hormonellen Medikament, sagt die Buchautorin Sabine Kray. Es gebe genügend andere, hormonfreie Verhütungsmethoden. Die Fixierung auf die Pille entspringe einer skurrilen Verquickung zwischen Feminismus und Pharmaindustrie – mit einer bitteren Konsequenz für die Frauen:
    "Das sind die Schattenseiten, zu sagen: Frauen müssen können wie Männer. Frauen müssen können, wie sie wollen - das ist eigentlich die Kernaussage, die man daraus ziehen sollte!"
    Sabine Kray empfiehlt jungen Frauen, sich im Zweifel nicht nur in der Arztpraxis zu informieren, sondern auch eine Verhütungsberatung in Anspruch zu nehmen, wie sie beispielsweise Pro Familia anbietet.
    Beraterinnen wie Gabrielle Stöcker haben eine ganze Stunde Zeit für ein solches Gespräch – das ist weit mehr als ein Frauenarzt einräumen kann:
    "Wir bieten eine absolut pharmaunabhängige Beratung an. Wir beraten sachlich, was die Kosten angeht, was die Nebenwirkungen angeht, was die Risiken angeht."
    Trend zu natürlicher Familienplanung
    Tatsächlich kämen heute immer mehr Frauen in die Beratung, die gezielt nach hormonfreien Verhütungsmethoden fragten. Auch Doris Scharrel vom Berufsverband der Frauenärzte macht diese Beobachtung in ihrer Kieler Praxis:
    "Es gibt so eine Bewegung weg von der Pille. Und es wird mehr gefragt, auch mehr nach natürlicher Verhütung gefragt", sagt die Frauenärztin. "Man lässt sich auch mehr darauf ein, seinen Körper zu beobachten, wie Temperaturmethode oder Schleimbeobachtung. Es ist schon eine Phase der Bewusstmachung."
    Natürliche Familienplanung bedeutet, die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage im Zyklus zu identifizieren. Eine Methode, die sich aber zum Beispiel für sehr junge Mädchen nicht unbedingt eignet:
    "Das fängt dann an schon mal mit 14,15 oder sogar mit 13 - die Mädchen haben dann Verkehr, ob mit Pille oder ohne." Ohne Pille sei das eine ziemlich unsichere Sache, so Scharrel. "Weil sie auch mit Kondomen noch nicht richtig umgehen können. Dann muss man auch schauen, dass man eine Schwangerschaft verhindert."
    Eine Schwangerschaft verhindern: Das wollte damals auch Felicitas Rohrer, als sie frisch verliebt war und sich die Pille Yasminelle verschreiben ließ. Heute wünscht sie sich Kinder und wird vielleicht niemals welche bekommen können – wegen der blutverdünnenden Medikamente, die sie seit ihrer Lungenembolie jeden Tag einnehmen muss.
    Ihr Leben hat sich durch die Erkrankung stark verändert. Als Tierärztin kann sie nicht arbeiten, weil sie nicht schwer heben und auch nicht lange stehen darf. Ihren Lebensunterhalt verdient sie jetzt als freie Journalistin. Sie weiß, dass ihr Prozess gegen den Bayer-Konzern noch Jahre dauern kann. Doch sie will ihn unbedingt bis zum Ende durchkämpfen:
    "Mir geht es nicht um das Geld, das ist für Bayer sowieso Peanuts." Wichtig sei ihr etwas anderes: "Dass ein deutsches Gericht offiziell entscheidet, Bayer ist schuldig, ein Medikament in den Verkehr gebracht zu haben, das ein zu großes Risiko darstellt. Das würde ich mir wirklich wünschen."