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Pilotenstreik
"Man sollte versuchen, Arbeitskämpfe zu vermeiden"

Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hat an die Beteiligten im Lufthansa-Streik appelliert, miteinander zu verhandeln. Erst einmal solle die Möglichkeit einer gütlichen Einigung bestmöglich ausgeschöpft werden und erst dann sollten die Parteien darüber nachdenken, ob sie "mit dem Streik aufeinander losgehen", sagte Thüsing im DLF.

Gregor Thüsing im Gespräch mit Birgid Becker | 24.11.2016
    Lufthansa-Flugzeuge in Frankfurt am Main
    Lufthansa-Flugzeuge in Frankfurt am Main (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Birgid Becker: Der Streik der Lufthansa-Piloten: Rund 315.000 Passagiere und müssen für morgen noch ihre Reisepläne ändern. Morgen geht es weiter mit dem Streit, etwas kleinerer Maßstab. Da geht es lediglich um die Lufthansa-Verbindungen in Deutschland und in Europa, nicht um die Langstrecken. Aber es ist weiterhin keine Annäherung in Sicht, sodass Politiker bereits das Reizwort von der "Zwangsschlichtung" in die Debatte geworfen haben.
    Mitgehört hat der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. Guten Tag.
    Gregor Thüsing: Guten Tag!
    Becker: Diese demonstrative Gelassenheit, wie sie eben im Beitrag die Vereinigung Cockpit verbreitet hat, die galt ja erst einmal der Perspektive, dass die Lufthansa erneut die Karte "Schadenersatz" vor Gericht ziehen könnte. Ist das so aussichtslos? Kann Cockpit da in der Tat so beruhigt sein?
    Thüsing: Die Frage, ob der Schadensersatzanspruch besteht, das müssen die Gerichte klären. Es war ja ein einstweiliges Verfügungsverfahren, in dem zumindest vorläufig die Rechtswidrigkeit des Streiks festgestellt wurde. Das ist grundsätzlich auch ein Grund für Schadensersatzforderungen. Aber man muss natürlich sehen: Wird die Lufthansa das wirklich tun? So eine Klage, wäre sie denn erfolgreich, würde sicherlich der Vereinigung das Rückgrat brechen. Aber dann würde eine neue Vereinigung entstehen, die vielleicht noch aggressiver gegenüber der Lufthansa auftreten würde.
    Insofern wäre das letztlich etwas, was kaum weiterführen würde. Aber Drohpotenzial steckt da bestimmt dahinter.
    "Zwangsschlichtung ist koalitionsrechtlich ein böses Wort"
    Becker: Was vielleicht mit noch weniger Gelassenheit zu sehen ist: Aus der Politik, vom stellvertretenden Unions-Fraktionsvorsitzenden Fuchs kam bereits die Forderung, der Gesetzgeber solle doch Änderungen in Betracht ziehen, um in solcher Lage zu einer Zwangsschlichtung zu kommen. Das ist ein Reizwort, Zwangsschlichtung. Was sagen Sie? Was spricht für den Weg?
    Thüsing: Zwangsschlichtung ist koalitionsrechtlich ein böses Wort. Wir haben in Deutschland in Artikel neu Absatz drei unseres Grundgesetzes die Freiheit der Koalitionsbildung und auch der Koalitionsbetätigung geschützt, und zur Koalitionsbetätigung gehört grundsätzlich auch das Streikrecht.
    Das schließt nicht aus, dass der Gesetzgeber Spielregeln entwickelt, wie dieses Recht sinnvoll in die Interessen der Allgemeinheit eingebettet werden kann, und da ist das Wort Zwangsschlichtung vielleicht nicht so ganz treffend gewählt. Aber es gab schon mal Vorschläge im Hinblick auf die Verpflichtung einer Gewerkschaft und der Arbeitgeberseite dazu, zuerst zumindest eine Schlichtung einmal zu versuchen und sich einen Schlichterspruch anzuhören. Und wenn man den dann nicht überzeugend findet, dann mag die eine oder andere Seite entscheiden, dass sie den Arbeitskampf aufnimmt. Aber erst einmal soll miteinander geredet werden. Erst mal soll die Möglichkeit einer gütlichen Einigung bestmöglich ausgeschöpft werden und erst dann sollten die Parteien darüber nachdenken, ob sie mit dem Streik und vielleicht sogar mit der Aussperrung aufeinander losgehen sollen.
    Es gibt einen Entschließungsantrag des Bundesrats noch aus dem vergangenen Jahr, der darauf hindeutete. Der Freistaat Bayern hat das bereits gefordert: der verbindliche Versuch einer Schlichtung, bevor in diesen Bereichen des Verkehrs, der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge gestreikt werden kann.
    Becker: Dieser Vorschlag kam ja unter anderem von Ihnen im Verein mit mehreren Arbeitsrechtlern. Sie haben es Einlassungspflicht genannt.
    Thüsing: Es ist eine Verhandlungspflicht. Es ist eine Pflicht, sich auf eine Schlichtung einzulassen. Eine Zwangsschlichtung wäre es dann im strengsten Sinne des Wortes, wenn man sagen würde, das Ergebnis ist verbindlich und ihr könnt nichts dagegen tun.
    Das, glaube ich, geht ein bisschen weit. Aber ich glaube, eine Arbeitgeberseite und eine Gewerkschaftsseite hätte es doch sehr schwer, liegt ein Schlichterspruch erst mal auf dem Tisch, sich dagegen mit überzeugenden Argumenten zu wehren. Wenn sie die hat, dann soll sie dem Streik und der Aussperrung das freie Feld geben.
    Aber man sollte doch sehr viel stärker gerade im Hinblick auf die Allgemeinheit versuchen, Arbeitskämpfe zu vermeiden, denn es gibt Bereiche, da ist der Streik, ist der Arbeitskampf im Hinblick auf die Öffentlichkeit weniger weit reichend, und es gibt Bereiche, auf die die Öffentlichkeit ganz maßgeblich angewiesen ist, und wenn in Kindergärten, wenn bei der Bahn, wenn bei den Airlines gestreikt wird, dann ist das eben was anderes, als wenn bei VW gestreikt wird.
    "Das Streikrecht muss sein"
    Becker: Oder muss man an der Stelle mit dem Cockpit-Sprecher doch sagen, Streik mag man nur, wenn er keinen betrifft?
    Thüsing: Streik mag man nur, wenn er keinen betrifft. Das ist eine schöne Formulierung. Ich würde es anders formulieren: Das Streikrecht muss sein und das Streikrecht muss auch Cockpit haben. Aber hier ist nicht nur die Lufthansa, hier ist nicht nur die Gewerkschaft im Spiel; hier ist auch eine Öffentlichkeit im Spiel, die ein Interesse daran hat, dass die essenziellen Leistungen, auf die das öffentliche Leben angewiesen ist, größtmöglich zur Verfügung stehen.
    Und ich glaube, es ist legitim, wenn die Politik versucht, Regeln zu formulieren, die einerseits die Kampfkraft der Gewerkschaft nicht schwächen, andererseits aber den Streik so weit wie möglich nach hinten schiebt, damit man erst einmal sieht, kann man nicht auch ohne dieses doch recht rabiate Mittel zu vernünftigen Ergebnissen in der Tarifverhandlung kommen.
    "Das Problem Streik haben wir mit diesem Gesetz nicht gelöst"
    Becker: Eins noch zum Schluss. Nun hat die Politik sich ja bereits vorsichtig mittelbar doch ins Streikrecht eingemischt, hat eingegriffen. Sie hat im vergangenen Jahr das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Kurz ein Wort zum Ende. Das hilft nun hier nicht? Das hilft nur im Fall von konkurrierenden Gewerkschaften, und Konkurrenz hat Cockpit ja nicht?
    Thüsing: Das ist vollkommen richtig. Das kann ich gar nicht anders formulieren. Hier hatte man ein Gesetz gewählt, bei dem man der Öffentlichkeit suggeriert hat, es sei notwendig, um Arbeitskampf-Niederlegungen gerade in dem Bereich, den wir gerade besprechen, zu minimieren. Sie haben klar gesagt, dazu taugt das Gesetz nicht. Und unabhängig von aller verfassungsrechtlichen Legitimität oder nicht muss man sehen: Dieses Problem Streik im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, im Bereich des öffentlichen Dienstes, im Bereich der Dienstleistungen, auf die die Öffentlichkeit angewiesen ist, das haben wir mit diesem Gesetz nicht gelöst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.