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Pinkwart: Politik ist schuld am Fachkräftemangel

Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland fordert der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), den Zuzug hochqualifizierter Ausländer zu erleichtern. Um diese Nachwuchstalente für die deutsche Wirtschaft nutzen zu können, sollte die bestehende Einkommenshürde deutlich gesenkt werden.

Moderation: Dirk Müller | 22.08.2007
    Dirk Müller: Es muss vielleicht so etwas wie ein Donnerschlag gewesen sein, denn plötzlich stellt die Bundesregierung fest: es gibt zu wenig Fachkräfte in Deutschland. Das wiederum bedeutet Milliarden Verluste für die deutsche Wirtschaft. Dabei beklagen sich die Unternehmen schon seit Jahren über den Mangel an Spezialisten, ganz gleich ob diese von hier oder aus dem Ausland stammen. Die viel beschworene "blue Card" und andere Karten haben demnach nicht allzu viel gebracht. Zugleich belegen jüngste Untersuchungen: die Zahl der Hochschullehrer, diese geht stetig zurück, damit eben diejenigen, die selbst Spitzenkräfte sind und Spitzenkräfte ausbilden. - Am Telefon begrüße ich nun Andreas Pinkwart (FDP), Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!

    Andreas Pinkwart: Guten Morgen!

    Müller: Herr Pinkwart, sind Hochschullehrer eine Last?

    Pinkwart: Nein, im Gegenteil. Das ist eine ganz entscheidende Größe. Das ist unser Kapital, Zugewinnung der Zukunft und deswegen müssen wir die Hochschulen auch so ausstatten, dass wir mit besten Köpfen an unseren Lehrstühlen auch den Nachwuchs ausbilden können, den wir dringend brauchen.

    Müller: Es gibt 1500 Professoren weniger als noch vor zehn Jahren, sagt eine jüngste Studie. War das richtig?

    Pinkwart: Ja. Das bezieht sich auf den Zeitraum 1995 bis 2005. Hier sind tatsächlich Stellen abgebaut worden. Wie wir jetzt sehen ist das eine verfehlte Entwicklung, nicht zuletzt mit Blick auf den wachsenden Bedarf einerseits in der Wirtschaft, auf der anderen Seite aber auch mit Blick auf steigende Studierendenzahlen. Deswegen haben wir ja auch etwa mit dem Hochschulpakt Bund und Länder jetzt gegengesteuert und deutlich gemacht, die Hochschulen brauchen nicht weniger Geld, sondern deutlich mehr Mittel.

    Müller: Warum weiß das die Politik so spät?

    Pinkwart: Das ist eine gute Frage. Wir erleben allerdings Zyklen nicht nur in der Politik in den Einschätzungen, sondern leider auch in der Wirtschaft. Auch dort ist über lange Strecken Personal abgebaut worden, auch im Bereich der Ingenieure. Die Nachwuchspflege ist gerade auch in den großen Unternehmen nicht in der Weise vorgenommen worden, wie das wünschenswert gewesen wäre. Zwischendurch hatten wir erhebliche strukturelle Probleme, konjunkturelle Probleme, weil Reformen in diesem Land leider nicht frühzeitig angepackt worden sind. Und auch jetzt beobachten wir ja in der Phase eines konjunkturellen Aufschwungs, dass die Politik in Berlin nicht schnell genug handelt, um zu einer nachhaltigen Besserung zu kommen. Das ist der Nachteil, den wir haben. Die Politik ist zu kurzsichtig, versucht sich in Versprechungen immer wieder zu üben, statt nachhaltig langfristig angelegte Politik zu machen. Und wenn sie das täte, dann würde sie natürlich mehr gerade in Richtung Forschung und Technologie tun.

    Müller: Ist das auch ein Hinweis an die eigene Adresse?

    Pinkwart: Ja. Wir haben natürlich hier gerade in Nordrhein-Westfalen in den letzten Landesregierungen erheblich umgesteuert. Sie müssen sehen: im Jahre 2003 haben die Bundesrepublik Deutschland und das Land Nordrhein-Westfalen alleine in der Metropole Ruhr viermal so viel für Steinkohlesubventionen aufgewendet wie für Forschung und Entwicklung. Das zeigt: wir hatten eine völlig verkehrte Prioritätensetzung. Das ändern wir jetzt. Sie haben das verfolgt. Wir haben es erreicht, dass endlich ein Ausstiegsszenario für die Steinkohlesubvention beschlossen werden konnte. Auch das dauert eigentlich noch viel zu lange, aber immerhin ist jetzt am Horizont klar: Die Mittel, die wir bisher für die Subventionierung der Vergangenheit eingesetzt haben, können wir in den nächsten Jahren noch viel stärker in Zukunft investieren. Dieserlei Veränderungsprozesse müssten wir insgesamt noch viel mutiger voranbringen.

    Müller: Herr Pinkwart, wenn wir auch auf die vergangenen Jahre in Nordrhein-Westfalen blicken und nehmen uns die aktuellen Zahlen vor, dann ist es so, dass auch in Nordrhein-Westfalen massiv abgebaut worden ist bei den Hochschullehrern. Beispielsweise Naturwissenschaften, beispielsweise auch die wichtigen Ingenieurwissenschaften. Warum ist dieser Fehler jahrelang gemacht worden?

    Pinkwart: Das müssten Sie eigentlich die Vorgängerregierung fragen, die das hier vorgenommen hat. Wir - das kann ich nur sagen - haben mit Amtsübernahme folgende Maßnahmen getroffen: Wir haben einen Zukunftspakt in einmaliger Weise geschlossen, auch durch den Landtag genehmigt, über die gesamte Legislatur. Es gibt keine Kürzungen an den Hochschul-Budgets. Im Gegenteil: sie bekommen durch die globale Ausreichung der Mittel die Chance, Effizienzgewinne zu 100 Prozent auch in der Hochschule zu behalten. Wir haben darüber hinaus den Hochschulen das Recht eingeräumt, Studienbeiträge zu erheben, was im erheblichen Umfang auch dazu beiträgt, die Situation im Bereich der Lehre zu verbessern, unter anderem auch durch zusätzliches Personal, um die Betreuungsrelation zu verbessern. Wir haben dann nicht zuletzt auf meine Initiative mit dem Bund den Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern organisieren können.

    Allein in Nordrhein-Westfalen werden wir in den nächsten Jahren fast eine halbe Milliarde Euro für zusätzliche Studienplätze zur Verfügung stellen. Wir haben darüber hinaus erstmalig jetzt durch den Bund auch die Regelung, dass bei den DFG-Forschungsprojekten die sogenannten Overhead-Kosten auch zum Teil wenigstens erstattet werden. Das macht die Hochschulen auch im Forschungsbereich stärker. Und nicht zuletzt haben Bund und Länder gemeinsam die Exzellenz-Initiative aufgelegt. Hierfür stellen wir alleine in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Also Sie sehen: wir geben jetzt auch mehr Geld ins System.

    Müller: Herr Pinkwart, wir müssen ein bisschen auf die Uhr schauen. Deswegen muss ich Sie leider unterbrechen. - Reden wir noch einmal ganz kurz auch über die Fachkräfte. Brauchen wir aufgrund der aktuellen Situation, aufgrund der aktuellen Analyse mehr ausländische Fachkräfte?

    Pinkwart: Ja. Sicherlich sollten wir vor allen Dingen eines tun. Ich habe das auch im Bundesrat kurz vor der Sommerpause noch mal unterstrichen. Wir sollten doch vor allen Dingen eines tun, dass wir die ausländischen Studierenden, die hier an unseren Hochschulen bestens ausgebildet worden sind, nach ihrem Abschluss dann, wenn sie hier eine Tätigkeit anstreben, auch im Land behalten können. Wir haben noch Hürden aufgebaut, die weltfremd sind, die die Besten daran hindern, hier in Deutschland danach tätig werden zu können. Wir sollten dringend diese Hürden beseitigen.

    Müller: Es gibt eine sogenannte Vorrangprüfung, die politisch äußerst umstritten ist. Das heißt inländische Bewerber werden bevorzugt gegenüber ausländischen Bewerbern. Ist das politisch praktikabel?

    Pinkwart: Es sollten die besten genommen werden. Bei der Nachfragesituation, die wir haben, werden alle guten Absolventen eine Arbeitsplatzperspektive bekommen. Wir haben ja jetzt Übernahmehürden, auch was das Einstiegsgehalt anbetrifft, für ausländische Absolventen mit einem Jahresgehalt von 85.000 Euro. Das ist bei weitem zu hoch, um sicherzustellen, dass wir diese Nachwuchstalente auch für unsere Wirtschaft nutzen können. Jeder Ingenieur, der zusätzlich hier eine Arbeit aufnimmt, schafft ja neue zusätzliche Arbeitsplätze, die wir auch für andere Qualifikationen dringend brauchen. Insofern sollten wir hier den Mut haben, uns zu öffnen. Wir könnten stärker wachsen. Es würde allen eine bessere Beschäftigungsperspektive geben, auch den Nichtakademikern.

    Müller: Herr Pinkwart, um da noch mal konkret nachzufragen. Diese sperrige, wie ja viele sagen, Vorrangprüfung, habe ich Sie richtig verstanden: die muss weg?

    Pinkwart: Es geht gar nicht nur um die Vorrangprüfung. Es geht darum, dass wir eine Einkommenshürde haben für die freie Wahl von Arbeitsplätzen durch ausländische Absolventen. Die liegt bei gegenwärtig 85.000 Euro. Die könnten wir auf eine realistische Höhe zwischen 40.000 und 60.000 Euro absenken. Das würde uns ganz wesentlich dabei helfen, dass wir gute Absolventinnen und Absolventen aus dem Ausland hier auch in Deutschland zum Einsatz bringen können.

    Müller: Und wenn das getan ist, wird dennoch dann hinterher der inländische Bewerber bei entsprechender Qualifikation bevorzugt?

    Pinkwart: Nein! Das sehe ich nicht, dass der dort bevorzugt werden müsste. Dann haben wir Freiheit in der Wahl der besten Absolventen durch die Unternehmen. Wir haben ja heute eine Lücke. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen zurzeit 10.000 Ingenieure, die händeringend gesucht werden. Hier hat jeder inländische wie ausländische Absolvent eine beste Arbeitsmarktchance.

    Müller: Der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Pinkwart: Danke Ihnen herzlich!