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Pionier der elektronischen Musik.

Er war der Doyen der israelischen Musik, der Komponist und Pianist Josef Tal. Die Jugendjahre in Berlin und das Studium an der dortigen Hochschule für Musik haben den Sohn eines Rabbiners für sein Leben geprägt.

Von Albrecht Dümling |
    Wie vom Blitz getroffen war Josef Tal, als er 1931 in der Berliner Hochschule für Musik auf Apparaturen des Ingenieurs Friedrich Trautwein stieß. Es waren Oszillatoren, mit denen synthetische Klänge erzeugt werden konnten. Diese Vorläufer der modernen Synthesizer eröffneten dem Musikstudenten ungeahnte Möglichkeiten. Er stürzte sich, wie er später schrieb, "mit Haut und Haar in diese Zauberwelt". Sein Kompositionslehrer Heinz Tiessen hatte ihn schon auf Arnold Schönbergs Zwölftontechnik hingewiesen. Aber die elektronischen Klänge bedeuteten einen Schritt darüber hinaus.
    "Ich bin nicht über die Zwölftonmusik hinausgekommen, weil ich klüger bin als Schönberg, sondern weil ich mich auch interessiert habe: Was ist nach Schönberg alles geschehen?"

    Als Sohn eines Rabbiners war Josef Grünthal, wie er zunächst noch hieß, am 18. September 1910 in Pinne bei Posen zur Welt gekommen. Nur Monate später folgte der Umzug nach Berlin, wo sein Vater die Leitung eines jüdischen Waisenhauses übernahm. An der Berliner Musikhochschule beeindruckte den jungen Studenten neben der Elektronik besonders der für das Musikleben in Preußen verantwortliche Leo Kestenberg. Die Musik begriff er seitdem als ein Mittel der Kommunikation und der Erziehung.

    Die Herrschaft Adolf Hitlers beendete für Josef Tal diese glückliche Periode. In Deutschland gab es für ihn, den Juden, keine Zukunft mehr. Im März 1934 bestieg er am Anhalter Bahnhof einen Nachtzug, der ihn nach Triest bringen sollte. Die Eltern blieben zurück. Nur jüdische Auswanderer saßen in diesem Sonderzug, dessen Ausfahrt aus Berlin dem Komponisten unvergesslich blieb.

    "Eine halbe Minute vor Abgang des Zuges begann die Menschenmenge die jüdische Nationalhymne Hatikwah zu singen. Im Echo der mächtigen Bahnhofshalle brach sich der Klang viele, viele Male. Es brauste ein überwältigender Hymnus aus dem unendlichen Universum Gottes. Unter diesem Klangrausch setzte sich der Zug im Schritttempo langsam in Bewegung.
    Die Eltern saßen auf ihrer Bank wie zwei Skulpturen. Sie sahen in eine unerreichbare Ferne."

    Den vielstimmigen Gesang der Ausreisenden empfand Josef Tal als visionäre Klangwolke. An Musikmachen war aber in Palästina, der neuen Heimat, zunächst nicht zu denken. Erst nach mehreren Jahren wurde Tal Lehrer für Klavier und Komposition am Jerusalemer Konservatorium und schließlich 1948 Direktor der neuen Musikakademie.

    Ähnlich wie Leo Kestenberg, mit dem er wieder zusammentraf, wollte er hier das in Berlin Begonnene fortsetzen. Nicht ein israelischer Nationalstil war sein Ziel, sondern der Anschluss an die westliche Avantgarde. Anknüpfend an seine Erfahrungen an der Berliner Hochschule gründete Tal 1961 in Jerusalem ein elektronisches Studio, er wurde zum Vorkämpfer der elektronischen Musik in Israel. Die neuen Klänge verwendete er auch 1970 in seinem Concerto Nr. 6 für Klavier und Elektronik. Einen Markstein für das Musikleben in Israel bedeutete es, als die Israelischen Philharmoniker 1957 in Tel Aviv einen neuen Konzertsaal erhielten, einen visionären Bau ähnlich der Berliner Philharmonie. Zur Eröffnung dieses Saales schrieb Tal sein Orchesterstück "Festliche Vision".

    Obwohl Josef Tal den Vater im Holocaust verloren hatte, kehrte er zu Besuchen gern nach Berlin zurück. 1969 wurde er Mitglied der Akademie der Künste. 1985 veröffentlichte er seine Autobiografie "Der Sohn des Rabbiners". In Berlin wurden viele seiner Werke aufgeführt, auch seine Oper Der Turm. Immer suchte Josef Tal nach dem Neuen. Seine letzte Veröffentlichung war überschrieben "Musica nova im dritten Millenium". In Jerusalem ist er 2008 im Alter von fast 98 Jahren gestorben.