Freitag, 29. März 2024

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Pionier der Zwölftonmusik
Vor 75 Jahren wurde Anton Webern versehentlich erschossen

Der Österreicher Anton Webern war einer der sperrigsten Komponisten der Moderne. In den 1930ern auf dem Höhepunkt seiner Karriere, beraubten ihn die Nazis schlagartig fast aller Möglichkeiten, seine Werke aufzuführen. Als sich das mit Kriegsende zu ändern begann, kam es zu einem tragischen Unfall.

Von Stefan Zednik | 15.09.2020
    Der österreichische Komponist Anton Webern auf einer Fotografie von1940
    Anton Webern um 1940 (picture-alliance / Imagno / Austrian Archives)
    "Gerne möchte ich, dass ihr abends ins Konzert kommt: Ich habe ein schönes Programm: Schubert, Rosamunde, meine Bearbeitung der Schubert-Tänze und die Brahms-Serenade in D-Dur. Alles liebe, freundliche Musik."
    Anton Webern befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er 1933 Freunde zu einem Konzert unter seiner musikalischen Leitung einlädt. Der Kollege Alban Berg: "Webern ist der größte lebende Dirigent, seit Mahler überhaupt der größte." Berg, Webern und der beiden gemeinsame Lehrer Arnold Schönberg bilden das Trio von Komponisten, das unter dem Begriff der "Neuen Wiener Schule" in die Musikgeschichte eingehen sollte. Der 1883 in einer Wiener Beamtenfamilie geborene Webern nimmt ab 1904, 21-jährig, Unterricht bei Schönberg. In der Schrift "Der Lehrer" beschreibt Webern eindringlich dessen Methode:
    "Schönberg verlangt vor allem, dass der Schüler nicht beliebige Noten zur Ausfüllung einer Schulform schreibe, sondern dass er diese Arbeiten aus einem Ausdrucksbedürfnis heraus leiste. Dies ist eine Erziehung zur äußersten Wahrhaftigkeit gegen sich selbst. Sie ergreift neben dem rein-musikalischen auch alle anderen Gebiete des menschlichen Lebens."
    Verabschiedung aller tonalen Strukturen
    Der Unterricht bei dem nur neun Jahre älteren Schönberg trägt bald Früchte, die gemeinsame Suche nach neuen Formen des musikalischen Ausdrucks beherrscht alles. Noch ist man jedoch ein gutes Stück von der musikalischen Revolution des 20. Jahrhunderts, dem Verlassen aller tonalen Strukturen, entfernt.
    Wie seinen Mitstreitern gelingt es Webern nur langsam, sich durchzusetzen, materiell bewegt er sich die meiste Zeit seines Lebens an der Armutsgrenze. Doch in den späten 20er-Jahren findet seine Musik, auch international, zunehmend Gehör. Neue Musik, nun bereits atonal nach dem Zwölftonprinzip konzipiert, setzt sich durch.
    Ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime
    Seine 1. Symphonie wird 1930 in New York uraufgeführt, Webern ist auf dem Zenit seines künstlerischen Schaffens. Er reist durch Europa zu Aufführungen seiner Musik und erlebt viel Anerkennung, bis die Ereignisse 1933 allen avantgardistischen Bestrebungen ein jähes Ende bereiten. Dennoch ist sein Verhältnis zu dem autoritären Regime seines eigenen Landes wie zu dem des benachbarten Deutschland uneindeutig, es scheint beinahe von Sympathie geprägt. Was die Komponistenfreunde, manche im fernen Exil, mit Befremden wahrnehmen. "Er vertrat ernstlich die Meinung, dass um der lieben Ordnung willen eine jede Obrigkeit respektiert werden müsse und der Staat, in dem man lebt, um jeden Preis anzuerkennen sei", berichtet der Komponist Karl Amadeus Hartmann, Privatschüler Weberns ab 1941.
    Eindeutig ist, was die Machthaber von seiner Musik halten: Webern verliert schnell alle Möglichkeiten der Präsentation seiner Werke. Nur in England und der Schweiz kommt es zu gelegentlichen Aufführungen, mühsam hält er sich und seine Familie mit musikalischen Brotarbeiten, der Einrichtung von Klavierauszügen etwa, über Wasser. Als schließlich die zwölf dunkelsten Jahre vorbei sind und alte Weggefährten der kompositorischen Moderne sich um ihn bemühen, gar eine Professur an der Wiener Musikhochschule in Aussicht steht, kommt es zu einem tragischen Unglück. Am Abend des 15. September 1945 ist der Komponist bei seinem offenbar in Schwarzmarktgeschäfte verwickelten Schwiegersohn zu Gast, als dieser verhaftet werden soll. Als der unbeteiligte Webern vor das Haus tritt, um eine lange ersehnte Zigarre zu rauchen, wird er in einer irrtümlich angenommenen Bedrohungssituation von einem amerikanischen Soldaten erschossen.