Archiv


Piraten lassen sich nicht abschrecken

Der Piraterieexperte der Münchener Rückversicherung, Dieter Berg, fordert angesichts der Piraterie vor der somalischen Küste mehr Unterstützung durch die Marine verschiedener Länder. 80 Prozent des Erdöls, das vom Nahen Osten nach Europa transportiert wird, gehe über diesen Seeweg, so Berg. Daher sei die Sicherheit dieses Seeweges "absolut wichtig für den Erhalt unserer weltweiten Wirtschaft".

Dieter Berg im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Die Gewässer am Horn von Afrika bleiben ein heißes Pflaster für die internationale Schifffahrt. Die verstärkte Militärpräsenz wirkte offenbar nur kurzfristig abschreckend auf die somalischen Piraten. Nun wagen sich die Freibeuter wieder aus der Deckung. Trotz der Sicherung durch eine indische Fregatte wurde ein deutscher Flüssiggastanker entführt.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Piraterieexperten der Münchener Rückversicherung, Dieter Berg. Guten Tag, Herr Berg!

    Dieter Berg: Guten Tag, Herr Heinlein.

    Heinlein: Warum gelingt es nicht, den Piraten das Fürchten zu lehren?

    Berg: Es ist eine relativ schwierige Situation, die wir derzeit am Horn von Afrika erleben. Das Problem ist die Größe des Seegebietes. Sie müssen sich vorstellen, das Gebiet ist so groß wie halb Europa. Da fällt es auch den verschiedenen Marineeinheiten, die derzeit unterwegs sind, ausgesprochen schwer, die notwendige Schnelligkeit zu zeigen, um Übergriffe zu verhindern.

    Heinlein: Müssen also mehr Fregatten unterwegs sein, um Sicherheit zu garantieren?

    Berg: Es wäre jedenfalls wichtig. Derzeit sind 23 Kriegsschiffe von zwölf Nationen unterwegs. Es ist ein sehr ermutigendes Signal, was auch von politischer Linie und der UNO wie sowohl der NATO gesendet wurde, hier aktiv zu werden, um den Seeleuten zu helfen.

    Heinlein: Gibt es denn eine Art absolute Sicherheit, oder muss man mehr oder weniger mit den Überfällen rechnen in einem so großen Gebiet?

    Berg: Es ist relativ schwierig. Die Hauptproblematik besteht darin, dass Somalia ein Land ist, in dem es keine funktionierende Ordnung gibt. Es gibt keine Regierung, es gibt keine Exekutive. Und solange es auf Dauer nicht gelingt, eine staatliche Institution, eine staatliche Sicherheit in Somalia zu schaffen, solange wird immer das Seegebiet gefährdet und kritisch bleiben.

    Heinlein: Also um Piraterie wirksam zu bekämpfen an diesem Ort, muss in Somalia selber etwas geschehen?

    Berg: Langfristig sicherlich und hier ist sicherlich auch die internationale Gemeinschaft gefragt, diese Projekte zu unterstützen. Kurzfristig allerdings ist es absolut wichtig und notwendig, dass sich die Staatengemeinschaft zusammenfindet, um hier durch Unterstützung der unterschiedlichen Navys und Kriegsschiffe aktiv den Schiffsverkehr zu sichern. Sie müssen sehen: 80 Prozent des Erdöls, das vom Nahen Osten nach Europa transportiert wird, geht über diesen Weg. Die Sicherheit des Meeresweges ist absolut wichtig für den Erhalt unserer weltweiten Wirtschaft.

    Heinlein: Was können denn die Reeder selber unternehmen, um sich besser vor Piraten zu schützen? Ist eine Spur Leichtsinn auch vielleicht unterwegs, aus Gewinnstreben, aus Zeitgründen?

    Berg: Es ist eine relativ schwierige Situation. Als Münchener Rück sind wir der größte Transportrückversicherer weltweit und nehmen insoweit auch Beratungsaufgaben gegenüber unseren Kunden wahr. Die wiederum sprechen mit Reedern. Es gibt verschiedene gut funktionierende Maßnahmen, die Reeder ergreifen können. Das beginnt von Elektrozäunen oben an der Bordwand, die verhindern sollen, dass Piraten entern. Das geht unter Nutzung von Wasserkanonen, um frühzeitig Piraten abzuwehren, bis hin zu einer Satellitenunterstützung, die frühzeitig die Schiffe informiert, wenn sich denn verdächtige Schnellboote nähern, damit die Crews in der Lage sind, hier aktiv zu agieren.

    Berg: Wird auf Ihre Ratschläge gehört, Herr Berg, oder sind die Reeder nach wie vor etwas leichtsinnig?

    Berg: Nein, das sehen wir nicht so. Die Reeder sind hoch sensibilisiert zu dem Thema. Sie müssen sehen: für die hängt ja ein großes finanzielles Risiko daran. Trotz, dass die Versicherungswirtschaft hier auch aktiv Versicherungsprodukte bietet, um die Reeder vor finanziellen Verlusten zu schützen, sehen wir, dass die Schiffe, nachdem sie gekidnappt wurden, zwischen zwei Monate und zweieinhalb Monate einfach dort festliegen, während die Lösegeldverhandlungen laufen. Jedenfalls in der Zeit können die Schiffe nicht genutzt werden, kommt die Ware nicht zum Abnehmer. Das ist ein Riesen finanzielles Problem für die Reeder, ganz abgesehen von der Sicherheit der Mannschaft, die sehr wichtig ist für die Reeder.

    Heinlein: Sind Ihre Versicherungspolicen entsprechend teuerer geworden in den vergangenen Monaten?

    Berg: Die Preise insbesondere in der Kriegsversicherung, wo Piraterie zum Teil mitversichert ist, ziehen deutlich an, müssen auch anziehen, weil das Risikopotenzial hat sich enorm erhöht. Wir haben zwischenzeitlich auch schon Schäden bezahlen müssen, sei es für Beschädigungen von Schiffen bei solchen Kidnapp-Maßnahmen, sei es für Ware, die beschädigt wurde, oder eben auch für Lösegeldzahlungen. Ganz zwingend müssen die Versicherungsprämien hier angepasst werden.

    Heinlein: Lässt sich Lösegeld versichern?

    Berg: Es gibt zwischenzeitlich Lösegeldversicherungen. Im Fachenglischen nennt sich das "Kidnap and ransom"-Deckungen. Das sind kombinierte Versicherungen, die zum einen die Lösegeldzahlung als solches abdecken, zum anderen aber auch den betroffenen Kapitänen und Reedereien Crews zur Verfügung stellen, die sich auskennen in der Führung der Lösegeldverhandlungen, die die lokalen Verhältnisse kennen und ihnen hier insoweit einen Service leisten, um die Crews wieder sicher nach Hause zu bekommen.

    Heinlein: Frage zum Schluss, Herr Berg. Ein Gastanker, ganz aktuell jetzt die Situation, in der Hand von Kriminellen. Wie gefährlich ist aus Ihrer Sicht diese Situation?

    Berg: Die Situation ist insofern derzeit ungefährlich, weil das Gas gekühlt und unter Druck gelagert wird. Das heißt, da besteht keine Explosionsgefahr. Es kann natürlich passieren, wenn Kühlaggregate ausfallen, dass Gas entweicht, unter hohem Druck entweicht. Das ist natürlich eine gewisse Gefahr, wobei insgesamt verschärft sich die Situation. Sie wissen, im Dezember hatten die Piraten einen großen Öltanker, die "Sirius Star" entführt. Auch hier besteht das Potenzial einer Umweltverschmutzung, auch möglicherweise im Zusammenhang mit einer Befreiungsaktion, wenn es zu Schusswechseln kommt, bis hin zu zwei Angriffen im Dezember auf Passagierschiffe. Das heißt, die Eskalation und die Gewaltbereitschaft nimmt deutlich zu auf Seiten der Piraten.

    Heinlein: Der Piraterieexperte der Münchener Rückversicherung, Dieter Berg, heute Mittag im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Berg: Sehr gerne. Auf Wiederhören!