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Piratenangriff als Präventionsübung

Die deutschen Reeder haben die Bundesregierung aufgefordert, mehr gegen Piraten - beispielsweise am Horn von Afrika - tun zu dürfen: also ob und wie sich Frachter zum Selbstschutz bewaffnen dürfen. Abseits dessen wird der Einsatz gegen Piraten auch geübt. Im Piraterie-Präventionszentrum in Neustadt.

Von Sibylle Hoffmann | 06.09.2012
    Elf Männer und zwei Frauen lehnen an der Reling der ehemaligen Fregatte "Köln" und sehen, wie zwei Schnellboote von Achtern über die flachen, grauen Ostseewellen auf sie zurasen. Die Bundespolizei stellt einen Piratenangriff nach. Schüsse knallen, die Schiffssirene heult, und die Besatzung an Bord der Fregatte muss jetzt eilig, aber vorsichtig, die schmale, steile Leiter in den halbdunklen Bauch des Schiffes hinuntersteigen. Die Gruppe nimmt teil an einem zweitägigen Pirateriepräventionstraining, das die Bundespolizei in Neustadt in Holstein für Sicherheitsoffiziere von Reedereien, - also für Kapitäne und Büromitarbeiter - mehrmals im Jahr kostenlos anbietet. Praktische Übungen auf der Ostsee wechseln sich ab mit Vorträgen und Diskussionen. Klar ist: Frachter mit einer Bordwand, die nur drei Meter aus dem Wasser ragt, sind gefährdeter als große Schiffe.

    Unten im Schiffsbauch muss sich die Gruppe in einem kleinen Sicherheitsraum einschließen, während draußen die "Piraten" versuchen, mit einer Fräse den Raum aufzubrechen.

    "Das Ganze wird ein psychodynamischer Raum, der Auswüchse erleben wird, die Sie sich bis dato noch gar nicht vorgestellt haben."

    Der Polizeipsychologe Markus Schmidt warnt die Workshopteilnehmer. Die Schiffsmannschaften, die aus aller Welt bunt zusammengewürfelt sind, müssen in dieser beängstigenden Situation zusammenhalten. Ausreichend Nahrungsmittel brauchen sie, Matratzen, Ersatzbatterien fürs Funkgerät und für die Taschenlampen sollten bereitliegen. Das Präventionstraining der Bundespolizei befasst sich mit diesen praktischen Fragen genauso ausführlich wie mit technischen Vorrichtungen zur Abwehr von Piraten – von doppelt gerolltem NATO-Draht an der Reling bis zur Nebelmaschine, die im Schiffsinneren den Piraten die Sicht versperrt. Auch Waffenkunde gehört dazu. Piraten aus Somalia schießen meistens mit Kalaschnikows.

    "Laden und Entladen kann man nur. Das ist so die Standardwaffe des ambitionierten Piraten."

    Nach Erkenntnissen der Polizei spielt sich ein Piratenangriff in zwei Schritten ab. Der erste ist die dynamische Zugriffsphase, in der die Piraten an Bord gelangen:

    "Die Phase übrigens, in der die Wahrscheinlichkeit, schwer verletzt zu werden oder zu versterben, am allergrößten ist, das ist die Zeit, die für beide Seiten am stressigsten ist – somit auch die höchste Möglichkeit auf beiden Seiten, elementare Fehler zu machen."

    Während der zweiten, statischen Phase, versuchen die Piraten vor allem, die Besatzungsmitglieder einzuschüchtern.

    "Sprich: Festhalten, Gewahrsam, verbunden in der Regel auch mit Befragung. Das heißt, es geht gar nicht immer darum, bestimmte Informationen zu bekommen, sondern es geht darum, diese Gruppe bearbeitbar und handelbar zu machen. Und dafür sind Scheinbefragungen, die verbunden sind mit Scheinerschießungen, sehr, sehr gut tauglich."

    Im Prinzip aber wollen die Piraten ihre Geiseln nicht töten, denn nur für lebende Geiseln können sie Lösegelder fordern. Der Golf von Aden ist 540 Seemeilen lang, das sind ungefähr 1000 Kilometer. Bis zu vier Tagen kann es also dauern, bis Soldaten der Atalanta-Mission oder eines anderen Kriegsschiffes ein gekapertes Schiff am Horn von Afrika erreichen.

    "Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage: Auch eine Befreiung müssen die Geiseln erst mal überleben. Denn es ist eine Riesengemengelage, so eine Befreiung. Und wenn man nicht hundertprozentig weiß, wo die Geiseln sind, ist für jede Interventionskraft die neue Entscheidung: Geisel – Geiselnehmer?"

    Noch ist es Frachtern, die unter deutscher Flagge fahren, verboten, bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord zu nehmen. Das hängt vor allem mit einem Gesetz zusammen, dass die Ausfuhr von Waffen reguliert. Um dieses Gesetz zu umgehen, haben einige deutsche Reedereien ihre Frachter ausgeflaggt und nehmen nun bewaffnete Securityguards in ausländischen Häfen an Bord. Das hat Erfolg: Auf diesen Schiffen ist noch keine Geiselnahme gelungen. Allerdings kosten die bewaffneten Teams viel Geld: circa 4000 Euro und mehr pro Tag. Inzwischen hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der Abhilfe schaffen soll: Besonders zertifizierte, bewaffnete Sicherheitskräfte sollen künftig auch auf deutsch geflaggten Schiffen erlaubt werden. Die Zertifizierung soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle übernehmen. Die Bundesregierung und der Verband deutscher Reeder erhoffen sich davon, dass wieder mehr Schiffe sicher unter deutscher Flagge fahren werden – die Reedereien allerdings müssen die Sicherheitskräfte bezahlen. Und es gibt Kapitäne, die skeptisch sind:

    "Wenn da ein Pirat aus Versehen erschossen wird durch das Sicherheitsteam, trägt der Kapitän die Verantwortung, weil er der Leiter des Schiffes ist und die Oberhand hat. Ich meine, diesen Schuh würde ich mir auch ungern anziehen, würde mir auf der anderen Seite aber nichts daraus machen, denn wer Gewalt sät, muss Gewalt zurückerwarten oder so."