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Pisa-Studie
"Eine neue Qualität ist das Cybermobbing"

Mobbing sei kein neues Thema, sagte Klaus Seifried vom Bundesverband Deutscher Psychologen im DLF. Dass laut aktueller Pisa-Studie jeder zehnte 15-Jährige regelmäßig gemobbt werde, habe ihn nicht überrascht. Eine neue Qualität habe allerdings das Cybermobbing: Die Täter könnten anonym agieren und seien daher enthemmter.

Mike Herbstreuth im Gespräch mit Klaus Seifried | 19.04.2017
    Zwei Schüler prügeln sich am auf dem Schulhof eines Gymnasiums
    Zwei Schüler prügeln sich auf dem Schulhof (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Mike Herbstreuth: Fast jeder sechste 15-Jährige an deutschen Schulen wird regelmäßig gemobbt. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Klaus Seifried vom Bundesverband Deutscher Psychologen. Herr Seifried, Sie haben sich 26 Jahre lang als Schulpsychologe intensiv mit dem Thema Mobbing an Schulen beschäftigt. Fast jeder sechste 15-jährige Schüler regelmäßig Opfer von Mobbing – überrascht Sie diese Zahl?
    Klaus Seifried: Nein, die Zahl überrascht mich nicht. Mobbing ist auch kein neues Thema. Das gibt es schon sehr, sehr lange, und wir haben Zahlen, die zwischen 15 und 20 Prozent schwanken, schon seit Jahren.
    Herbstreuth: Also ist das nicht erst in letzter Zeit so gestiegen diese Zahl. Die war schon immer relativ hoch.
    Seifried: Eine neue Qualität ist das Cybermobbing, also die Benutzung von Smartphones und Neuen Medien, sozialen Medien. Das hat wirklich eine neue Qualität, weil dort die Täter anonymisiert sind, und das führt zu einer Enthemmung und natürlich auch zu einer extremen Verbreitung. Solch eine Nachricht mit diskriminierenden Fotos oder Mitteilungen kann an die ganze Klasse oder an die ganze Schule durch einen Klick versendet werden.
    "Wichtig ist, dass wir ein Frühwarnsystem haben"
    Herbstreuth: Der Grüne-Bildungspolitiker Özcan Mutlu hat als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie auch gefordert, dass eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Mobbing gibt und dass dem Lehrpersonal in Deutschland dringend mehr personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Mobbingprävention gezielt zu schulen. Wie ist Ihr Eindruck? Fehlt es da in diesem Bereich Mobbingprävention an Schulen?
    Seifried: Also in den letzten Jahren haben wir sehr, sehr viel getan, um Gewaltprävention in den Schulen zu verankern, und da hat sich auch wirklich viel verändert. Es gab immer Mobbing, und es wird auch immer Mobbing in der einen oder anderen Form geben. Wichtig ist hierbei, dass wir ein Frühwarnsystem haben, dass wir also durch ein gutes Klassen- und Schulklima die Mitschüler davon überzeugen, dass sie selbst einschreiten, weil die Lehrer und auch die Eltern nur zu einem geringen Prozentsatz – ungefähr zu 30 Prozent - überhaupt von Mobbing erfahren.
    Herbstreuth: Wie schafft man das, dass die Mitschüler da einspringen, wenn jemand gemobbt wird in der Klasse?
    Seifried: Zum Beispiel, dass Klassenlehrer einen Klassenrat abhalten, wo über das Zusammensein in der Klasse gesprochen wird, dass Schüler zu Streitschlichter, zu Konfliktlotsen ausgebildet werden und insgesamt stabile persönliche Beziehungen herrschen. Anonymität fördert Mobbing, fördert Konkurrenz und Neid, und persönliche Beziehungen stabilisieren das.
    "Das Kernproblem ist, dass die Mobbingopfer sich schämen und sich schamvoll zurückziehen"
    Herbstreuth: Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: Ich bin einer dieser 15 Prozent der Schüler, die gemobbt werden mit Beleidigungen oder mit Lästereien. Was kann ich da als Schüler konkret tun?
    Seifried: Das Kernproblem ist, dass die Mobbingopfer sich schämen und sich schamvoll zurückziehen. Das ist ihnen peinlich, aber es ist wichtig, dass sie das offensiv gegenüber den Eltern und den Lehrkräften sagen, dass sie sich Hilfe holen, und wenn dann ein Mobbingopfer gesagt hat, ich werde geärgert, ich werde geschubst, ich werden geschlagen, ich werde erpresst, dann kann die Schule auch etwas tun. Ganz konkret ist es so, dass wir dann als Schulpsychologen uns aktiv mit dem Opfer beschäftigen, aber auch mit den Tätern, dass den Tätern ganz klare Grenzen gesetzt werden, sowas wird an der Schule nicht geduldet, und dass das Opfer auch Hilfe bekommt, zum Beispiel durch Mitschüler, die ihn dann für eine Zeit lang schützen.
    Herbstreuth: Und wenn mein Kind jetzt zu mir kommt, als Elternteil, wie ist da das richtige Vorgehen? Was mache ich dann? Wende ich mich an die Schule, gehe ich zur Polizei?
    Seifried: Wichtig ist erstmal, dass Eltern Zeit haben für ihre Kinder und Jugendlichen, dass sie mit ihnen sprechen und solche Vorkommnisse nicht abtun, dass sie sie überhaupt wahrnehmen. Manche Eltern sagen, da musst du dich wehren, da musst du durch, und das Problem ist, dass die Schüler sich oft nicht wehren können, und da sollten Eltern dann auch die Lehrer ansprechen, Schulpsychologen ansprechen und in schweren Fällen auch die Schulleitung und zum Beispiel auch Strafanzeige stellen, wenn es um Gewalteinwirkung geht oder schwere Kränkungen über längeren Zeitraum.
    Herbstreuth: Sagt der Schulpsychologe Klaus Seifried zu einem der Ergebnisse der PISA-Studie über das Lernumfeld von 15-Jährigen an deutschen Schulen, nämlich, dass fast jeder sechste 15-Jährige regelmäßig Opfer von Mobbing in der Schule wird. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Seifried!
    Seifried: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.