Freitag, 26. April 2024

Archiv


Planierter Kleist

Die Stuttgarter Wagenhallen sind Schauplatz des Stücks "HermannSchlachten07", eine Paraphrase auf den Hermann-der-Cherusker-Mythos. Die romantische Textvorlage der "Hermannsschlacht" Heinrich von Kleists hat Dorna Safaian in die Gegenwart übertragen.

Von Christian Gampert | 24.08.2007
    Am Eingang werden die Bestandteile von Böllern verteilt, mit denen man nach erfolgtem Zusammenbau den "Kampf gegen die römischen Aggressoren" unterstützen möge: Einfach die geflochtene Lunte am "Sprengsockel" anbringen und los, empfiehlt der "führende Kampfmittelhersteller Baur-Niessner-Ballistic". Was sich der islamische Selbstmordattentäter als Anleitung aus dem Internet herunterladen muss, in den Stuttgarter Wagenhallen wird es dem Publikum ironisch als Bastelsatz mitgegeben, wenn er sich auf den Weg in die "Hermannsschlacht" macht, die hier auch eine Schlacht gegen die etablierte Kultur ist.

    David Baur und Markus Niessner, die Bombenbastler, sind Künstler und haben mit diversen Kollegen eine Burg gebaut, die Teutoburg. Sie besteht aus verschiedenen, kreisförmig angeordneten Sperrmüll-Installationen, Bunkern, Käfigen, Zelten, Bars, bergähnlichen Aufbauten, die sarkastisch auf Globalisierung und Ökonomisierung Bezug nehmen und die nun das Bühnenbild für eine alternative "Hermannsschlacht" abgeben. Kleist hatte in seinem Stück den Befreiungskampf der Cherusker gegen die Römer beschworen, also den Sieg des Arminius, der sich dann Hermann nennt, gegen den römischen Statthalter Varus. Im Grunde aber hatte er in diesem historisierenden Gewande den Widerstand gegen Napoleon voranbringen wollen. Wenn heute die linksalternative Szene sich das Stück schnappt und umkrempelt, dann soll da noch ganz anderes erzählt werden: einerseits die amerikanische Invasion in den Irak, andererseits aber die Situation der freien Theaterszene selbst, die sich ganz anders dünkt als die etablierte Theaterwelt und von sogenannten Übernahme-Angeboten bedroht fühlt, von Kapital und Staatstheater.

    Deshalb hat man sich ganz ins Schmutzige, Unfertige, Frühindustrielle zurückgezogen. Als Gleiche unter Gleichen will man dort zusammenspielen wie Hermann der Cherusker mit dem Suebenfürsten Marbod. Wer aus dem Stuttgarter Zentrum zu den Wagenhallen fährt, in den früher Straßenbahnen repariert wurden, der kommt wie zu Lehrzwecken unweigerlich an den Protzbauten diverser Banken am Hauptbahnhof vorbei. Dann geht es hinaus auf das Gelände des alten Güterbahnhofs, und dort, hinter einem Schotterparkplatz, erwartet uns diese weite, staubige Halle, in der Hermann, der Cherusker, in einem Campingwagen haust, umgeben von einem Vorgärtchen aus Sandsäcken. Hermann trägt einen weißgrauen Kapuzenpullover und Kampfstiefel, während Gattin Thusnelda sich rein kleidungstechnisch mit den römischen Invasoren schon angefreundet hat. Varus, der römische Distrikt-Verantwortliche, ist zunächst nur auf Monitor zu sehen; Flavius, ein germanischer Überläufer, ist schwul. Zur Rettung Germaniens setzt Hermann die ganze Familie ein, und auch Regisseur Jonas Zipf hat eine ganze wohngemeinschaftsähnliche Theaterfamilie aufgeboten, um Kraft und Widerständigkeit der Alternativkultur zu beweisen.

    Und dazu fährt man einiges auf: einen bedrohlichen Klangteppich aus metallischen Sounds und Experimentalpunk, eine europäisch-afrikanische Trommelgruppe und ein eckstatisch tanzendes Frauenkollektiv, denen der Sinn nach Rache gegen Rom steht; hölzerne Menschenstumpf-Skulpturen, Torsi, die den weiten Raum bevölkern. Erstaunlich ist allerdings, wie konventionell dann Theater gespielt wird: Sobald die Schauspieler den Mund aufmachen und Kleist-Sätze hervorbringen müssen, erhebt das gute alte Stadttheater sein müdes Haupt: schwer pathetisch wird da herumgebellt, und man steht da wie auf der Stellprobe.

    Auch die politische Analyse scheint nicht sehr scharfsinnig: die Amerikaner im Irak agieren eben nicht wie die Römer in Germanien, sie sind eher hilflos; und die Bagdader Attentate und Schlächtereien sind zumeist Kämpfe zwischen Sunniten, Schiiten und (vielleicht) El Kaida um Einfluss und Herrschaft in einem künftigen Irak. In der Stuttgarter Inszenierung aber fahren die Römer in amerikanischen Overalls auf einer Planierraupe durch die Halle und machen alles platt. Und ein Selbstmord-Attentäter opponiert gegen die Fremdherrschaft. So planiert die Aufführung das Kleist-Stück und nebenbei auch den eigenen Anspruch, ganz anderes Theater zu machen. Wenn nicht alles täuscht, werden wir all diese Akteure demnächst im etablierten Theater antreffen; politische Korrektheit ist dort ja wohlgelitten.